"Wir sind schon eine Drogengesellschaft"
Mit der Vision legaler Drogen in seinem Roman "DZ" stellt Selim Özdogan die Frage nach dem realen Umgang mit Rauschmitteln. Die Gesetzgebung sei willkürlich und ohnehin nicht durchsetzbar. Sein Vorschlag: Der Staat bekommt das Monopol für den Drogenhandel.
Joachim Scholl: Wer in der letzten Woche unser Radiofeuilleton live von der Frankfurter Buchmesse verfolgt hat, wird seine Stimme eventuell noch im Ohr haben – der Schriftsteller Selim Özdogan war bei uns am Messestand von Deutschlandradio Kultur. Sein neuer Roman "DZ" kam dabei allerdings zu kurz, weil wir ein anderes Thema am Wickel hatten. Aber wir haben Selim Özdogan versprochen, das nachzuholen, auch weil uns dieses Buch mit seinem Thema sehr wichtig erscheint. Jetzt ist Selim Özdogan bei uns im Studio. Guten Morgen, schön, dass Sie da sind!
Selim Özdogan: Schönen guten Morgen!
Scholl: Amerika ist untergegangen, die DZ ist entstanden, heißt es an einer Stelle im Roman. Bevor ich langwierig erkläre, Herr Özdogan, was ist die DZ?
Özdogan: Die DZ ist ein Gebiet in Südostasien, wo sich mehrere Länder zusammengeschlossen haben und Drogen komplett legalisiert haben. Und es sieht so aus, als sei es eine freiere Welt, demgegenüber steht ein sehr sicherheitsfanatisches Europa, und es sieht erst mal so – ich glaube, es sieht zu Beginn des Romans so aus, als hätten wir halt …
Scholl: Eine schöne neue Drogenwelt.
Özdogan: So gesehen, ist das tatsächlich – die DZ ist so ein bisschen die schöne neue Welt à la Huxley, und Europa ist ein bisschen dieses sicherheitsüberwachte 1984.
Scholl: Wer lebt in dieser Zone, und was gibt es denn da so alles an Drogen?
Özdogan: Es gibt alles, was heute so gemeinhin bekannt ist, plus – oder auch so Sachen, die eher abseitig und kaum bekannt sind - plus Drogen, die ich erfunden habe, was ein großer Spaß ist. Auf einmal hat man eine Leinwand, auf der man sich frei austoben kann. Und als Schriftsteller und als jemand, der mit Sprache und Klang beschäftigt ist, lag es auch ein bisschen nahe, etwas – also namentlich eigentlich zwei Drogen zu nehmen, die direkt aufs Sprachzentrum oder auf die Sprachwahrnehmung wirken.
Da haben wir einmal WMK, was dazu führt, dass man alle Sprachen verstehen kann und auch ein Verständnis dafür entwickelt, wie Sprache überhaupt entstanden ist. Es gibt noch einen Schöpfungsmythos dazu im Buch. Und dann haben wir Metaphorizin, was verdeutlicht, dass Sprache ja grundsätzlich erst mal eine Metapher ist.
Selim Özdogan: Schönen guten Morgen!
Scholl: Amerika ist untergegangen, die DZ ist entstanden, heißt es an einer Stelle im Roman. Bevor ich langwierig erkläre, Herr Özdogan, was ist die DZ?
Özdogan: Die DZ ist ein Gebiet in Südostasien, wo sich mehrere Länder zusammengeschlossen haben und Drogen komplett legalisiert haben. Und es sieht so aus, als sei es eine freiere Welt, demgegenüber steht ein sehr sicherheitsfanatisches Europa, und es sieht erst mal so – ich glaube, es sieht zu Beginn des Romans so aus, als hätten wir halt …
Scholl: Eine schöne neue Drogenwelt.
Özdogan: So gesehen, ist das tatsächlich – die DZ ist so ein bisschen die schöne neue Welt à la Huxley, und Europa ist ein bisschen dieses sicherheitsüberwachte 1984.
Scholl: Wer lebt in dieser Zone, und was gibt es denn da so alles an Drogen?
Özdogan: Es gibt alles, was heute so gemeinhin bekannt ist, plus – oder auch so Sachen, die eher abseitig und kaum bekannt sind - plus Drogen, die ich erfunden habe, was ein großer Spaß ist. Auf einmal hat man eine Leinwand, auf der man sich frei austoben kann. Und als Schriftsteller und als jemand, der mit Sprache und Klang beschäftigt ist, lag es auch ein bisschen nahe, etwas – also namentlich eigentlich zwei Drogen zu nehmen, die direkt aufs Sprachzentrum oder auf die Sprachwahrnehmung wirken.
Da haben wir einmal WMK, was dazu führt, dass man alle Sprachen verstehen kann und auch ein Verständnis dafür entwickelt, wie Sprache überhaupt entstanden ist. Es gibt noch einen Schöpfungsmythos dazu im Buch. Und dann haben wir Metaphorizin, was verdeutlicht, dass Sprache ja grundsätzlich erst mal eine Metapher ist.
"Wir sagen, wir brauchen Alkohol als soziales Schmiermittel"
Scholl: Das sind die irren, auch schönen Seiten, also WMK, dieser Stoff, der einem wirklich eine völlig neue Sprachwelt eröffnet, da denkt man als Leser oder als Literaturfan und Sprachenfreak sofort, oha, das würd ich sofort nehmen, irrer Stoff! Erzählt wird die Geschichte zweier Brüder. Der eine lebt in diesem alten Europa, der andere ist in der DZ untergetaucht. Und der eine macht sich jetzt auf die Suche nach dem anderen, und in diese Handlung wird nun das ja doch triste oder ernste und traurige Problem verwoben, das unsere ganze moderne Welt diskutiert.
Herr Özdogan: Wie gehen wir mit Drogen um? Wäre es nicht besser, ehrlicher, sie zu legalisieren, um damit der Kriminalität das Wasser abzugraben, oder öffnet man damit die Büchse der Pandora. Der Roman gibt darauf keine eindeutige Antwort. Aber war das der Punkt für Sie, daraus überhaupt einen Roman zu machen?
Özdogan: Es war auch ein Punkt, daraus einen Roman zu machen, und es wäre ja komisch – also ich finde es immer komisch, wenn Schriftsteller eindeutige Antworten geben. So ein Schriftsteller ist nicht unbedingt jemand, der Licht ins Dunkel bringt, sondern derjenige, der nach Feuer fragt. Die Frage ist, warum gehen wir damit so um, wie wir damit umgehen. Die Frage ist auch: Warum sagen wir nicht, wir sind ja schon eine Drogengesellschaft, eigentlich so, das wird ja in dieser ganzen Legalisierungsdebatte, so ein bisschen fällt das unter den Tisch. Es wird getrunken, es wird geraucht, es wird Kaffee getrunken, sodass – Kinder kriegen Ritalin, was in der Drogenszene auch missbraucht wird.
Wir sind schon eine Drogengesellschaft, aber wir ziehen halt sehr willkürlich eine Linie und sagen, das hier ist okay, hat eine Tradition und ist gesellschaftlich akzeptiert, und wir brauchen Alkohol als soziales Schmiermittel, und auf der anderen Seite – oder wir sagen bei Ritalin, das ist ein Medikament, das ist gut. Und auf der anderen Seite wird das als Droge missbraucht. Es gibt gar keinen klaren – die Unterscheidung zwischen Droge und Medikament ist erst mal eine willkürliche. Und die Drogengesetzgebung ist auch erst mal eine willkürliche, die nicht auf einem wissenschaftlichen Fundament basiert.
Scholl: Man merkt, wie sehr Sie recherchiert haben, an ganz vielen auch chemischen Details, wissenschaftlichen Details für diese Drogen. Gerade im Bezug zum Beispiel auf neue synthetische Drogen, also Kokain, Heroin, Cannabis sind in Ihrem Roman so eher old-school. Ist das auch die Entwicklung, die Richtung, in die die Drogenwelt jetzt geht? Dass also immer neue Drogen auf den Markt kommen und man aber eigentlich sie gar nicht mehr so richtig bekämpfen kann, in dem Sinne,dass man sagt, ah ja, da wird es angebaut, sondern das ist viel aus der Fabrik?
Özdogan: Es kommt sehr, sehr viel aus der Fabrik. Es ist eine Entwicklung. Ich habe angefangen, für den Roman zu recherchieren, das war 2008, und seitdem habe ich live mitbekommen, wie sich Sachen geändert haben, und es ist mit der jetzigen Gesetzgebung auch kein Ende abzusehen. Wir haben, ich glaube, mittlerweile hunderte von Cannabinoiden auf dem Markt. Das sind synthetische Stoffe, die ähnlich wie Cannabis wirken.
Während Cannabis weitgehend erforscht ist, weiß man bei den Stoffen so – es hat nicht mal Tierversuche gegeben, und die werden auf den Markt geworfen und Menschen konsumieren das, weil es sich in einer rechtlichen Grauzone bewegt und noch nicht verboten worden ist. Und für jedes Cannabinoid, das doch von der Gesetzgebung erfasst wird, kommen drei oder vier neue auf den Markt. Es sieht so aus, als würde es in diese Richtung gehen. Und es sieht auch so aus, als würde sich Drogenhandel immer mehr ins Internet verlagern.
Herr Özdogan: Wie gehen wir mit Drogen um? Wäre es nicht besser, ehrlicher, sie zu legalisieren, um damit der Kriminalität das Wasser abzugraben, oder öffnet man damit die Büchse der Pandora. Der Roman gibt darauf keine eindeutige Antwort. Aber war das der Punkt für Sie, daraus überhaupt einen Roman zu machen?
Özdogan: Es war auch ein Punkt, daraus einen Roman zu machen, und es wäre ja komisch – also ich finde es immer komisch, wenn Schriftsteller eindeutige Antworten geben. So ein Schriftsteller ist nicht unbedingt jemand, der Licht ins Dunkel bringt, sondern derjenige, der nach Feuer fragt. Die Frage ist, warum gehen wir damit so um, wie wir damit umgehen. Die Frage ist auch: Warum sagen wir nicht, wir sind ja schon eine Drogengesellschaft, eigentlich so, das wird ja in dieser ganzen Legalisierungsdebatte, so ein bisschen fällt das unter den Tisch. Es wird getrunken, es wird geraucht, es wird Kaffee getrunken, sodass – Kinder kriegen Ritalin, was in der Drogenszene auch missbraucht wird.
Wir sind schon eine Drogengesellschaft, aber wir ziehen halt sehr willkürlich eine Linie und sagen, das hier ist okay, hat eine Tradition und ist gesellschaftlich akzeptiert, und wir brauchen Alkohol als soziales Schmiermittel, und auf der anderen Seite – oder wir sagen bei Ritalin, das ist ein Medikament, das ist gut. Und auf der anderen Seite wird das als Droge missbraucht. Es gibt gar keinen klaren – die Unterscheidung zwischen Droge und Medikament ist erst mal eine willkürliche. Und die Drogengesetzgebung ist auch erst mal eine willkürliche, die nicht auf einem wissenschaftlichen Fundament basiert.
Scholl: Man merkt, wie sehr Sie recherchiert haben, an ganz vielen auch chemischen Details, wissenschaftlichen Details für diese Drogen. Gerade im Bezug zum Beispiel auf neue synthetische Drogen, also Kokain, Heroin, Cannabis sind in Ihrem Roman so eher old-school. Ist das auch die Entwicklung, die Richtung, in die die Drogenwelt jetzt geht? Dass also immer neue Drogen auf den Markt kommen und man aber eigentlich sie gar nicht mehr so richtig bekämpfen kann, in dem Sinne,dass man sagt, ah ja, da wird es angebaut, sondern das ist viel aus der Fabrik?
Özdogan: Es kommt sehr, sehr viel aus der Fabrik. Es ist eine Entwicklung. Ich habe angefangen, für den Roman zu recherchieren, das war 2008, und seitdem habe ich live mitbekommen, wie sich Sachen geändert haben, und es ist mit der jetzigen Gesetzgebung auch kein Ende abzusehen. Wir haben, ich glaube, mittlerweile hunderte von Cannabinoiden auf dem Markt. Das sind synthetische Stoffe, die ähnlich wie Cannabis wirken.
Während Cannabis weitgehend erforscht ist, weiß man bei den Stoffen so – es hat nicht mal Tierversuche gegeben, und die werden auf den Markt geworfen und Menschen konsumieren das, weil es sich in einer rechtlichen Grauzone bewegt und noch nicht verboten worden ist. Und für jedes Cannabinoid, das doch von der Gesetzgebung erfasst wird, kommen drei oder vier neue auf den Markt. Es sieht so aus, als würde es in diese Richtung gehen. Und es sieht auch so aus, als würde sich Drogenhandel immer mehr ins Internet verlagern.
"Staatlich kontrollierte Abgabe"
Scholl: Internet, das ist ein Stichwort. Das spielt eine ganz große Rolle in dem Roman. In Ihrer utopischen Welt gibt es einen ganz realen Handel auch mit Drogen. Diese DZ ist natürlich ein Eldorado für sozusagen Drogenlieferanten, die von der – also die Drogen, die von der DZ aus dann in die Welt gehen. Und das Medium ist hier das Internet. In diesem Zusammenhang ist ganz interessant: Jüngst wurde eine Internetdrogenplattform geschlossen, Silk Road, das war so eine Art virtueller Drogenumschlagplatz. Sie haben sich dazu auch geäußert, Herr Selim Özdogan. Ist das die Zukunft, also auch Drogen aus dem Internet? Das ist ja noch weniger zu stoppen, oder?
Özdogan: Da ist tatsächlich die Frage – da geht es gar nicht mehr um Drogen, sondern die Frage ist ein bisschen, wie wollen wir unser Internet haben? Wollen wir weiterhin ein freies Netz mit Netzneutralität oder wollen wir die komplette Überwachung? Wenn wir die komplette Überwachung wollen, dann sind diese Sachen im Internet zu stoppen. Wenn wir das nicht wollen, bietet das Netz immer die Möglichkeit, dass dort halt auch diese abgeschlossenen kleinen Communities entstehen, die fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit agieren.
Und die Schließung von Silk Road funktioniert, wenn ich das jetzt richtig einschätze, genauso wie die Sache mit den Cannabinoiden, die ich erzählt habe. Das ist jetzt geschlossen worden. Silk Road 2.0 steht in den Startlöchern, und Leute wissen jetzt, okay, es ist möglich. Die haben zwei Jahre gebraucht, um diesen Mann, um diese Plattform zu schließen und diesen Betreiber zu erwischen. Wenn das mit so viel Geld und Aufwand erst in zwei Jahren zu schaffen ist, kann man auch so ein Ding ein Jahr aufbauen, Geld machen, schließen, woanders wieder aufbauen und so weiter.
Also so - die Möglichkeit ist jetzt da, genauso, wie die Möglichkeit da ist, neue synthetische Stoffe herzustellen. Die Frage ist, wie möchte man damit umgehen. Und gerade beim Internet finde ich es sehr wichtig, weil – es geht nicht mehr um Drogen, es geht auch bei anderen, wenn wir bei Piraterie sind und so. Es geht ja darum, wie wollen wir eigentlich unser Internet in Zukunft haben.
Scholl: Sie haben sich, als Silk Road geschlossen und etliche Beteiligte verhaftet wurden, dazu explizit geäußert auch in der Form, dass Sie sagten, ja, Leute, das ist die Zukunft. So wird es weitergehen und deswegen brauchen wir einen Wandel in der Drogenpolitik. Wie sollte der Ihrer Meinung nach aussehen?
Özdogan: Alles, was ich mir vorstellen kann – die DZ ist ja gar nicht so frei, wie das auf den ersten Blick scheint in dem Roman, sondern die DZ ist fest in Hand von Pharmaunternehmen. Und was Pharmaunternehmen hier und heute mit dem, was wir Medikamente nennen, machen, ist ja irgendwie hinlänglich bekannt, das muss man nicht mehr erklären. Wenn die jetzt auch noch einen Freizeitdrogenmarkt für sich beanspruchen können – es ist für mich ein Schreckensszenario.
Das Einzige, was ich mir vorstellen kann, ist, dass wir eine staatlich kontrollierte Abgabe haben, und dass es keine Marken gibt, und dass es kein Geld damit zu verdienen gibt. Dass der Staat das monopolisiert. Das setzt aber voraus, dass man dem Staat traut, und das würde ich im Moment nicht tun. Das heißt, ich sehe keinen Weg, aber es ist eindeutig. Ich hab eben schon gesagt, ich kann keine Antworten geben, ich stelle hier die Fragen. Ich bin für die Zweifel zuständig.
Es muss eine Veränderung geben, und eigentlich müssen sich Wissenschaftler und Juristen daran setzen und darüber nachdenken, und nicht jemand, der einfach versucht, ein Licht auf die gegenwärtige Situation zu werfen, aber sich nicht hauptberuflich damit auseinandersetzt, oder nur für die Dauer eines Romans und ein bisschen später noch.
Scholl: Nun wird in Ihrem Roman die DZ schließlich auch zu einer Horrorzone. Wir haben es schon angedeutet. Also insofern ist Ihr Buch definitiv keine Werbung für Drogen. Andererseits kehrt eine DZ-Bewohnerin gegen Ende des Romans nach Europa zurück und ist frappiert von der Hektik, dem Stress, der Teilnahmslosigkeit der Menschen. Und da könnte man schon auf den Gedanken kommen, hm, diese Welt, so wie sie ist, unsere Welt, ist ohne Drogen auch nicht so richtig auszuhalten.
Özdogan: Ja, aber da sind wir fast schon am Anfang des Gesprächs. Wir sind eine Drogengesellschaft. Wir halten das auch gar nicht aus ohne. Das ist schon so.
Scholl: "DZ", so heißt der neue Roman von Selim Özdogan. Er ist im Haymon-Verlag erschienen, 344 Seiten zum Preis von 22,95 Euro. Alles Gute dafür, Herr Özdogan, besten Dank für Ihren Besuch!
Özdogan: Vielen Dank!
Scholl: Und das Gespräch – wer jetzt Appetit bekommen hat und Interesse, wer heute Abend Selim Özdogan live erleben möchte, er kann es in Hamburg tun, in der Buchhandlung Cohen und Dobernigg wird er um 21 Uhr aus seinem Roman lesen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Özdogan: Da ist tatsächlich die Frage – da geht es gar nicht mehr um Drogen, sondern die Frage ist ein bisschen, wie wollen wir unser Internet haben? Wollen wir weiterhin ein freies Netz mit Netzneutralität oder wollen wir die komplette Überwachung? Wenn wir die komplette Überwachung wollen, dann sind diese Sachen im Internet zu stoppen. Wenn wir das nicht wollen, bietet das Netz immer die Möglichkeit, dass dort halt auch diese abgeschlossenen kleinen Communities entstehen, die fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit agieren.
Und die Schließung von Silk Road funktioniert, wenn ich das jetzt richtig einschätze, genauso wie die Sache mit den Cannabinoiden, die ich erzählt habe. Das ist jetzt geschlossen worden. Silk Road 2.0 steht in den Startlöchern, und Leute wissen jetzt, okay, es ist möglich. Die haben zwei Jahre gebraucht, um diesen Mann, um diese Plattform zu schließen und diesen Betreiber zu erwischen. Wenn das mit so viel Geld und Aufwand erst in zwei Jahren zu schaffen ist, kann man auch so ein Ding ein Jahr aufbauen, Geld machen, schließen, woanders wieder aufbauen und so weiter.
Also so - die Möglichkeit ist jetzt da, genauso, wie die Möglichkeit da ist, neue synthetische Stoffe herzustellen. Die Frage ist, wie möchte man damit umgehen. Und gerade beim Internet finde ich es sehr wichtig, weil – es geht nicht mehr um Drogen, es geht auch bei anderen, wenn wir bei Piraterie sind und so. Es geht ja darum, wie wollen wir eigentlich unser Internet in Zukunft haben.
Scholl: Sie haben sich, als Silk Road geschlossen und etliche Beteiligte verhaftet wurden, dazu explizit geäußert auch in der Form, dass Sie sagten, ja, Leute, das ist die Zukunft. So wird es weitergehen und deswegen brauchen wir einen Wandel in der Drogenpolitik. Wie sollte der Ihrer Meinung nach aussehen?
Özdogan: Alles, was ich mir vorstellen kann – die DZ ist ja gar nicht so frei, wie das auf den ersten Blick scheint in dem Roman, sondern die DZ ist fest in Hand von Pharmaunternehmen. Und was Pharmaunternehmen hier und heute mit dem, was wir Medikamente nennen, machen, ist ja irgendwie hinlänglich bekannt, das muss man nicht mehr erklären. Wenn die jetzt auch noch einen Freizeitdrogenmarkt für sich beanspruchen können – es ist für mich ein Schreckensszenario.
Das Einzige, was ich mir vorstellen kann, ist, dass wir eine staatlich kontrollierte Abgabe haben, und dass es keine Marken gibt, und dass es kein Geld damit zu verdienen gibt. Dass der Staat das monopolisiert. Das setzt aber voraus, dass man dem Staat traut, und das würde ich im Moment nicht tun. Das heißt, ich sehe keinen Weg, aber es ist eindeutig. Ich hab eben schon gesagt, ich kann keine Antworten geben, ich stelle hier die Fragen. Ich bin für die Zweifel zuständig.
Es muss eine Veränderung geben, und eigentlich müssen sich Wissenschaftler und Juristen daran setzen und darüber nachdenken, und nicht jemand, der einfach versucht, ein Licht auf die gegenwärtige Situation zu werfen, aber sich nicht hauptberuflich damit auseinandersetzt, oder nur für die Dauer eines Romans und ein bisschen später noch.
Scholl: Nun wird in Ihrem Roman die DZ schließlich auch zu einer Horrorzone. Wir haben es schon angedeutet. Also insofern ist Ihr Buch definitiv keine Werbung für Drogen. Andererseits kehrt eine DZ-Bewohnerin gegen Ende des Romans nach Europa zurück und ist frappiert von der Hektik, dem Stress, der Teilnahmslosigkeit der Menschen. Und da könnte man schon auf den Gedanken kommen, hm, diese Welt, so wie sie ist, unsere Welt, ist ohne Drogen auch nicht so richtig auszuhalten.
Özdogan: Ja, aber da sind wir fast schon am Anfang des Gesprächs. Wir sind eine Drogengesellschaft. Wir halten das auch gar nicht aus ohne. Das ist schon so.
Scholl: "DZ", so heißt der neue Roman von Selim Özdogan. Er ist im Haymon-Verlag erschienen, 344 Seiten zum Preis von 22,95 Euro. Alles Gute dafür, Herr Özdogan, besten Dank für Ihren Besuch!
Özdogan: Vielen Dank!
Scholl: Und das Gespräch – wer jetzt Appetit bekommen hat und Interesse, wer heute Abend Selim Özdogan live erleben möchte, er kann es in Hamburg tun, in der Buchhandlung Cohen und Dobernigg wird er um 21 Uhr aus seinem Roman lesen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.