"Wir stellen Krieg dar"

Moderation: Britta Bürger |
Das Deutsch-Russische Museum erinnert als einziges Haus in Deutschland mit einer ständigen Ausstellung an den NS-Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. Es sei eine Verantwortung, angesichts dieses Themas solide zu arbeiten, erklärt Museumsdirektor Jörg Morré.
Britta Bürger: Das Deutsch-Russische Museum in Berlin-Karlshorst ist ein Kriegsmuseum, die einzige Institution in Deutschland, die mit einer ständigen Ausstellung an den deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion erinnert. Nach einjährigem Umbau ist das Haus heute Mittag feierlich wiedereröffnet worden in Anwesenheit der deutschen und russischen Staatsminister für Kultur, Bernd Neumann und Wladimir Medinski. Schließlich sind beide Länder gleichberechtigte Träger des Museums.

Bevor wir mit dem Direktor Jörg Morré genauer über die inhaltliche Neuausrichtung sprechen, hat sich Jürgen König vor Ort ein Bild gemacht von der neuen Ausstellung und den Köpfen dahinter.

Jürgen König über die neue Dauerausstellung im Deutsch-Russischen Museum in Berlin-Karlshorst. Wie nicht nur die mediale, sondern auch die inhaltliche Überarbeitung aussieht, das wird uns jetzt der Museumsdirektor Jörg Morré erläutern, er leitet das Haus seit 2009. Schönen guten Tag, Herr Morré!

Jörg Morré: Guten Tag!

Bürger: Warum war es nötig, vor allem die russische Perspektive bei der Neukonzeption Ihrer Dauerausstellung stärker zu überarbeiten?

Morré: Das hängt ein bisschen mit der Geschichte des Hauses zusammen. Im Prinzip bestehen wir ja seit 1967 an diesem Ort, damals war es ein sowjetisches Militärmuseum, das sogenannte Kapitulationsmuseum, 1995 dann das erste Mal in deutsch-russischer Trägerschaft ein Museum am selben Ort, das stark auf den deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion fokussierte und darüber ein bisschen vielleicht die sowjetische Perspektive hintenanstellte, und jetzt, 2013, holen wir das wieder hervor und gliedern etwas stärker die Räume nach deutscher beziehungsweise russisch-sowjetischer Perspektive.

Bürger: Von wem ging die Initiative dazu aus? Hatten die russischen Historiker den Wunsch oder die deutschen?

Morré: Den hatte ich. Also als ich 2009 Direktor im Hause wurde, war meine erste Aufgabe: Besorge Geld für eine Überarbeitung. Und, na ja, dann wirbt man erst mal Geld ein, dann macht man sich aber natürlich Gedanken, was will ich denn überhaupt tun mit diesem Geld, und bei dieser Bestandsaufnahme fiel mir das dann doch ein bisschen auf, dass diese Perspektive, wenn man nur auf den Vernichtungskrieg guckt, sehr stark eben aus deutscher Sicht ist, und dass es vielleicht ganz gut tut, auch dann am Ende den Sieger vorzustellen, nämlich die sowjetische Seite.

Bürger: Machen Sie es vielleicht an einem Beispiel fest, wie Sie das jetzt umgesetzt haben.

Morré: Wir haben zum Beispiel einen eigenen Raum, der folgt auf die beiden Räume "Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen in deutscher Hand" und dann "Deutsche Besatzungsherrschaft", folgt der Raum "Die Sowjetunion im Krieg", und der zeigt eben, dieses Land, was da überfallen wird, mobilisiert sich. Es rafft alle Kräfte zusammen, vor allem eben auch in der Industrie, das sogenannte Hinterland, das eben für die Front arbeitet, Menschen, die wirklich bis zum Umfallen schuften, das ist der Partisanenkrieg, es ist gleichzeitig aber auch das Durchhalten in der Blockade Leningrads.

Das fassen wir nun alles in einem Raum zusammen, bringen es etwas konzentrierter, was vorher in der Ausstellung durchaus auch erzählt wurde, aber eben an unterschiedlichen Stellen.

Bürger: Erarbeitet von einer deutsch-russischen Historikerkommission. Über welche Punkte wurde in dieser Kommission am heftigsten debattiert? Das ging ja vermutlich nicht alles nur harmonisch ab. Wo gibt es dann noch immer starke Differenzen?

Morré: Jetzt soll ich also ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern?

Bürger: Klar.

Morré: Es gab eine Sache, in die wir so ein bisschen reingestolpert sind, wir als Museumsteam dachten: Na ja, wir stellen doch mal diese Sowjetunion, die im Sommer 41 überfallen wird, als Land vor. Man muss sich klarmachen, 1917, 18 gibt es dort eben den großen Umbruch durch die Oktoberrevolution, es folgt die Kollektivierung, der große Terror, das Land hatte also 1941 schon einiges hinter sich, und wir dachten, das ist Handbuchwissen, das schreiben wir mal schnell in einem Text zusammen, und sind damit ganz schön auf die Nase gefallen, weil diese Diskussion in Russland heute eben eine ganz heiß debattierte Sache ist, ein dampfendes Thema, und mitnichten als Handbuchwissen abgehandelt wird.

Bürger: Gab es denn für die Erarbeitung jetzt dieser neuen Aspekte auch neue Forschungsergebnisse, zu denen Sie vorher gar keinen Zugang hatten?

Morré: Na, ganz so extrem ist es nicht. Wir haben aber zum Beispiel bei dem großen Thema des Schicksals der sowjetischen Kriegsgefangenen viel stärker akzentuieren können, weil man mittlerweile eben doch mehr weiß, und das Gleiche gilt auch ein bisschen für dieses Großkapitel "Die Sowjetunion im Krieg", wobei die russische Geschichtswissenschaft da ein bisschen anders arbeitet als bei uns.

Bürger: Sie haben schon angedeutet, die unterschiedlichen Geschichtsbilder Deutschlands und Russlands mit Blick auf diesen Krieg, da sind ja in beiden Ländern verschiedenste Mythen nach wie vor im Umlauf. Werden die dann auch in der Ausstellung dekonstruiert, also räumt man denen noch Raum ein?

Morré: Mit den Mythen ist das immer so eine Sache, also wenn man sie jetzt überhaupt erst mal darstellen will, um sie noch mal zu entkräften, so viel Platz haben wir gar nicht, also wir gehen dann gleich aufs Thema, sage ich mal. Nehmen wir mal diesen Stereotyp, der Untermensch im Osten, der eben von dieser Militärmaschinerie der Wehrmacht überrollt wird, den stellen wir jetzt nicht mehr ausgiebig als Untermenschen dar, um dann zu sagen, nein, so war es nicht, zeigen das aber mehr an den Befehlen. Also wir haben sehr deutlich die sogenannten verbrecherischen Befehle der Wehrmacht herausgestellt, wir akzentuieren das, wo dann eben deutlich zu erkennen ist, man misst diesen Menschen in diesem Land, das man dort überfällt, man gibt ihnen nicht das Recht zu überleben. Also die Zivilbevölkerung lässt man verhungern, weil man die Wehrmacht versorgen will, die Kriegsgefangenen versorgt man nicht, überlässt sie auch dem Tod, weil man sei eben für nicht Lebenswert hält. Die Kommissare, die Träger dieses sogenannten bolschewistischen Systems, bringt man gezielt um, weil man dieses System kaputtmachen will.

Bürger: Sie haben es eben schon angedeutet, deutlich mehr Raum bekommen in der neuen Ausstellung die Opfer dieses Krieges, darunter eben Millionen sowjetischer Kriegsgefangener in Deutschland. Das ist ja ein Aspekt, den die deutsche Öffentlichkeit auch gern verdrängt und noch immer verdrängt. Wie machen Sie deutlich, dass die Menschen davon gewusst haben müssen?

Morré: Eigentlich durch unsere Gliederung. Wir haben als drittes Kapitel, also an dritter Stelle in dem Rundgang, einen komplett eigenen Raum für das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen, wo wir also dann aufzeigen, was jetzt in Deutschland, fern dieses Krieges im Grunde, wahrgenommen werden konnte und auch wahrgenommen wurde, am besten kann man das am Thema dann der Zwangsarbeit klarmachen, weil Kriegsgefangene dann eben auch zur Zwangsarbeit herangezogen wurden.

Bürger: Haben Sie sich eigentlich an anderen bilateralen Museumskonzepten orientiert oder ist das tatsächlich Pionierarbeit?

Morré: Na, das ist schon so ein bisschen Pionierarbeit, weil wir - Sie sagen es, bilateral -, eigentlich sind wir vier Nationen. Also wir haben einen Trägerverein, da sind vor allen Dingen deutsche und russische Museen, aber auch Ministerien, vertreten, dort sind aber auch Kollegen aus Minsk und Kiew, wo es auch Museen des Großen Vaterländischen Krieges gibt, mit dabei.

Und das muss man schon immer dann passgenau herausbekommen, wie da also die gegenseitigen Erwartungen sind und wie man denen gerecht werden kann. Natürlich gucken wir ein bisschen - also wir haben in Berlin das Alliiertenmuseum als Zwillingspartner -, natürlich gucken wir ein bisschen, wie arbeiten die, aber es sind da eben komplett andere Rahmenbedingungen.

Bürger: Das Museum erinnert als einziges Haus in Deutschland mit einer ständigen Ausstellung an den NS-Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. Welche Verantwortung sehen Sie darin, Herr Morré?

Morré: Die Verantwortung ist auf jeden Fall, dass wir angesichts dieses Themas solide arbeiten, dass wir ehrlich sind, und wenn Sie es ein bisschen politisch sehen, dass wir ein gutes Beispiel für eine deutsch-russische Zusammenarbeit geben. Ich bin auch schon mal gefragt worden, ob ich mein Problem damit hätte, mein Museum als Kriegsmuseum zu bezeichnen. Nein, habe ich nicht, denn wir stellen Krieg dar und wir zeigen dementsprechend auch Fotos, die das dokumentieren, wir zeigen auch Waffen, und es passt, glaube ich, schon ganz gut in die jetzige Zeit, das dann auch beim Namen zu nennen.

Bürger: Heute Mittag wurde das Deutsch-Russische Museum in Berlin-Karlshorst feierlich wiedereröffnet, und Museumsdirektor Jörg Morré erläuterte uns die inhaltliche Neuausrichtung der Dauerausstellung über den deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. Herr Morré, herzlichen Dank fürs Gespräch!

Morré: Danke Ihnen!


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