"Wir tolerieren alles, nur nicht die Intoleranz"

Von Stefanie Oswalt |
Für die Unitarier ist Jesus Christus nicht der Erlöser, sondern nur ein Prophet neben anderen. Sie glauben an einen Gott - für alle Menschen. Ihre Wurzeln reichen bis zum Konzil von Nicäa im Jahr 325 zurück. Heute gibt es sie noch immer - zum Beispiel in Berlin.
Böttcher: "Ich finde jetzt, im Zeitalter der Globalisierung, da müssen sich auch die Religionen im Grunde aussöhnen miteinander. Und ich bin eine von denen, die darüber nachdenken: Was haben sie denn alle gemeinsam?"

Schröder: "Es gibt ein wunderbares indisches Sprichwort, das geht so: Die Tiere gehen auf verschiedenen Wegen zur Wasserstelle, aber sie trinken alle von demselben Wasser."

Löber: "Der unitarische Glauben ist für mich interessant, weil er sehr viel Toleranz halt auch mit beinhaltet. Also die Unitarier sagen ja: Jeder soll hier seinen Weg zu Gott finden."

Karin Böttcher, Pfarrer Martin Schröder und Heidrun Löber sind sich einig: Sie glauben an den einen allmächtigen Gott für alle Menschen, den jeder auf seine Weise anbeten soll. Die drei sind protestantisch getauft und heute gläubige Unitarier. Jesus Christus ist für sie nicht der Erlöser, sondern nur ein Prophet neben anderen. Damit widersprechen sie einem alten christlichen Dogma aus dem vierten Jahrhundert unserer Zeitrechnung, das die Dreifaltigkeit Gottes zum verbindlichen Glaubenssatz erhebt. Streng genommen können Unitarier damit keine Christen sein. Doch die Übergänge sind fließend.

Vorbereitung zur "Gottesfeier". Pfarrer Schröders Schwägerin spielt sich auf dem Flügel ein, einige Damen schmücken hingebungsvoll den improvisierten Altar mit Kerzen und Sommerblumen: Rittersporn, Flox und Rosen. Einen eigenen Ort hat die unitarische Gemeinde nicht, deshalb versammelt sie sich monatlich einmal in einem angemieteten Freizeitheim in Berlin-Zehlendorf. Zu den Kirchenglocken vom Band erscheint Pfarrer Schröder im weißen Talar.

"Im Namen des alleinenden Gottes, des Herrn im unendlichen Weltall, des Lenkers aller Sonnen und Planeten, des Gestalters aller lebendiger Wesen, des rechten Gesetzgebers im Geist und im Stofflichen …"

Die vielen Gottesnamen klingen ungewöhnlich, sonst aber erinnert der Ablauf der Gottesfeier durchaus an einen protestantischen Gottesdienst. Allerdings spielt die Bibel als spirituelle Quelle eine gleichberechtigte Rolle neben den Schriften anderer Religionen und Denker. Heute etwa referiert Schröder über ein Zitat des deutschen Aufklärers Christoph Martin Wieland, einen Vers aus dem Lukas-Evangelium und einen Lehrsatz des indischen Schriftgelehrten Paramahansa Yogananda, einem Schüler Ramakrishnas.

"Er hat einmal gesagt: Unbeugsamkeit und Güte sind gleich wirksam, wenn sie mit Weisheit angewendet werden. Ehre sei Gott in der Höhe!"

In seiner assoziationsreichen Ansprache entwickelt Pfarrer Schröder seine Gedanken zur Weisheit, deren vollendete Form er im lachenden Buddha erkennt. Als Unitarier geht es ihm darum, Grundelemente der Spiritualität in allgemein liberalen Formen weiter zu erhalten, ohne sie an Glaubensdogmen anzubinden. So feiern die Unitarier an Weihnachten etwa die Vertreibung der Finsternis durch das Licht. Ein solch offener, undogmatischer Glaube müsste doch attraktiv für junge, multikulturelle Menschen auf der Suche nach Gott sein? Niklas, der Sohn des Pfarrers, 24 Jahre und Student der Religionswissenschaften, ist skeptisch:

"Wenn Sie nach dem gesellschaftlichen Standpunkt gehen, dass wir keine Dogmen haben, dass wir Gleichberechtigung praktizieren, ja, ist er modern. Wenn Sie danach gehen, was die Menschen anspricht, dann ist er altmodisch. Denn eine katholische Kirche oder eine andere Gemeinde, die Heilige oder Sündenvergebung anbietet, die hat auch viel mehr zu bieten, auch institutionell: Einen Papst, den Vatikan – einen Kirchenstaat, Bischöfe, all das haben wir nicht. Uns fehlen alle diese Ebenen, auch bewusst und dadurch ist es ein sehr trockener Glauben, puritanisch."

Schröder: "Es ist eine der bittersten Erfahrungen in meiner Arbeit gewesen. Als ich vor über 30 Jahren Pfarrer wurde, dachte ich: Mann, du hast die Religion der Zukunft – und ich halte auch immer noch den Unitarismus für die Religion der Zukunft, aber der Unitarier betont die Eigenverantwortung des Menschen. Aber diese Form der Freiheit ist etwas, womit sich viele, viele Menschen sehr schwer tun."

Deshalb, meint Schröder, bleiben die Gemeinden so klein: Nicht mal 5.000 Unitarier gibt es in Deutschland. Knapp 2.000 Mitglieder zählt die größte deutsche Gemeinde in Frankfurt. In Berlin, wo die Unitarier sich als Verein organisiert haben, gibt es 50 Mitglieder plus 50 Mitglieder im Freundeskreis. Viele Individualisten sind dabei, Künstler und Intellektuelle. Sie prägen neben Pfarrer Schröder die spirituelle Ausrichtung der Gemeinde. So orientiert man sich in Berlin auch an der buddhistischen Reinkarnationslehre.

"Wir schließen den Gedanken der Wiedergeburt nicht aus. Das heißt, dass unser Leben im Grunde eine Kette von Erdenleben ist."

Böttcher: "Ich sehe einen Sinn darin, dass die Menschen unterschiedlich entwickelt sind auf ihren Bewusstseinsstufen. Dass also wirklich dieses von Stufe zu Stufe in der nächsten Inkarnation, dass man sich gewissermaßen höher entwickelt, darin sehe ich einen Sinn. Diese christliche Wiederauferstehung, die ist mir zu unpräzise."

Mag sein, dass sich die Berliner Unitarier eines Tages von dieser Überzeugung auch wieder entfernen. Was aber bleiben wird, ist der Glaube an den einen Gott für alle Menschen und:

"Wir tolerieren alles, nur nicht die Intoleranz."