"Wir Vogelfreunde genießen diesen Anblick"

Derk Ehlert im Gespräch mit Gabi Wuttke · 22.02.2013
Weil sie im Norden und Osten Europas in diesem Winter nicht genug Nahrung finden, haben sich die Seidenschwänze zu Tausenden nach Deutschland aufgemacht. Diese Invasion sei allerdings eine Ausnahme, sehr zur Freude der Vogelliebhaber, sagt der Ornithologe Dirk Ehlert.
Gabi Wuttke: Die Männer sind mal wieder hübscher: mit der kecken orangefarbenen Haube, der schwarzen Zorromaske und dem knallrotgelben Muster auf den Extremitäten. Und so keck lassen sie sich hören:

(O-Ton Seidenschwänze)

Wuttke: Der Seidenschwanz. – Über zehntausend der Vögel hat man gerade in Deutschland gezählt. Im Winter vor einem Jahr waren es nicht mal 300. Wie das? – Die Frage an den Wildtierbeauftragten des Landes Berlin, Derk Ehlert. Einen schönen guten Morgen!

Derk Ehlert: Einen wunderschönen guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Was haben wir in Deutschland, was die Seidenschwänze anderswo nicht haben?

Ehlert: Na ja, jetzt in den Wintermonaten sind es vor allem die Ebereschen, Wacholderfrüchte, Misteln, Schneebälle, Ligusterfrüchte und Weißdornbeeren, die sie in ihren eigentlichen heimatlichen Gefilden, nämlich in Sibirien, in der Taiga, und in Nordskandinavien im Winter nicht finden, und deswegen fliegen sie zu uns, es sind also reine Wintertouristen, und fressen sich hier satt.

Wuttke: Und in welchen Bundesländern, um diese Zahl von den über zehntausend mal so ein bisschen aufzudröseln, werden die meisten gezählt? Möglichst dicht noch am Abflugort?

Ehlert: Die meisten werden zurzeit – es geht also Richtung Frühling, die gehen schon wieder so langsam Richtung Taiga zurück – im Norden und im Osten von Deutschland gezählt. Aber gerade im Januar konnte man vor allem im Süden und im Westen des Landes sehr, sehr viele von diesen hübschen Vögeln beobachten. Jetzt werden die Tiere schon wieder zugunruhig. Wenn man sie fliegen sehen möchte: Man muss einfach auf starengroße Vögel achten, die, wie Sie es schon eben richtig gezeigt haben und haben klingen lassen, sich so anhören, als wenn dort ein Schlüsselbund ständig hin und herbewegt wird - das ist eigentlich das Charakteristische an diesen Vögeln -, und vor allem immer auf die Beerensträucher achten, denn da laben sie sich, das brauchen sie als Tankstoff, um wieder kräftig zurückzufliegen.

Wuttke: Auf das Geräusch eines Schlüsselbundes wäre ich jetzt ehrlich gesagt nicht gekommen. Ich weiß nicht, was Sie für ein Schlüsselbund haben, aber meins klingt irgendwie ganz anders. Sagen Sie trotzdem: Wenn jetzt so viele von diesen Seidenschwänzen in Deutschland sind, gibt es dann eigentlich noch für alle genug zu futtern?

Ehlert: Ja, gibt es, gibt es sogar reichlich. Zum Glück hat sich jede Vogelart auf was Spezielles, entsprechend ihrer Evolution und Entwicklung, konzentriert. Viele von unseren heimischen Arten ziehen es eher vor, dann eben Körner zu fressen, oder aber schon an den Stellen, wo der Boden offen ist, entsprechend an die Bodenvegetation heranzugehen. Es gibt für alle was. Aber Sie haben natürlich ganz Recht: Jeder kann einen Beitrag leisten, indem man zum Beispiel in den Gärten auch durchaus mal an die heimischen Gehölze denkt, die mal pflanzt und nicht nur exotisches Dauergrün, was vielleicht gar nicht fruchtet.

Wuttke: Das heißt doch aber eigentlich, die Beeren, die würden einfach nur so an den Bäumen hängen und auf den Frühling warten wie wir alle. Wenn die Seidenschwänze nicht wären, dann würden die auch nicht weggefressen, von niemandem?

Ehlert: Dann würden sie runterfallen und vielleicht unmittelbar am Standort keimen, und so haben sie Möglichkeiten, weithin sich zu verbreiten. Deswegen entwickeln ja auch letztlich Pflanzen Frucht, damit es schmeckt und sie sich durch Vögel weit verbreiten können, denn Pflanzen können bekanntlich nicht laufen und nicht fliegen.

Wuttke: Ich hörte davon. – Sagen Sie, vor acht Jahren, da waren schon mal ziemlich viele Seidenschwänze im deutschen Winter. Hatte man das damals für eine Ausnahmeerscheinung gehalten, oder hält man das auch jetzt zum zweiten Mal immer noch irgendwie für eine Ausnahme von der Regel?

Ehlert: Es sind und bleiben Ausnahmen von der Regel und sind sogenannte Invasionserscheinungen. Das kommt auch nur dann zustande, wenn oben im Norden und im Osten Europas und außerhalb, also in der Tundra, nicht genügend Nahrung vorhanden ist. Das kommt alle Jahre wieder mal vor, dass durchaus da oben dann eben die Fruchtfolge fehlt, und dann machen sich mehr oder weniger alle Vögel, der gesamte Bestand auf den Weg Richtung Westen, sogenannte Invasionserscheinungen. Die bleiben dann aber auch leider wieder ein paar Jahre aus. Wir Vogelfreunde genießen diesen Anblick, erinnert das doch an kleine exotische Arten.

Wuttke: Und das alles ist dann Klimawandel, wenn da oben in der Tundra nicht mehr genug da ist?

Ehlert: Also zumindest die Aufzeichnungen der Ornithologen der letzten 150, 200 Jahre sagen ähnliche Erscheinungen zurück, und in der Historie betrachtet: immer wieder kam es vor. Ob es jetzt häufiger vorkommt, das wissen wir noch nicht. Auf alle Fälle ist es ein besonderes Ereignis der Vergangenheit sowie in der Gegenwart.

Wuttke: Wo gucken Sie denn Seidenschwänze?

Ehlert: Ich brauche nur vor die Tür zu schauen. Hier in Berlin, unmittelbar in Mitte, gibt es ausreichend Friedhofsanlagen, übrigens auch ein Tipp, da mal hinzugehen. Da fruchten teilweise noch die Eiben, und das sind begehrte Orte, wo auch die Seidenschwänze einfliegen. Man muss nicht außerhalb der Stadt wohnen, oder auf dem Land, man kann überall die Tiere sehen.

Wuttke: ... , sagt Derk Ehlert, der Wildtierbeauftragte des Landes Berlin. Vielen Dank dafür!

Ehlert: Gern geschehen!

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