"Wir werden alle miteinander unter Generalverdacht gestellt"

Der Vorsitzende der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW), Ulrich Bartosch, hat die Verleihung des Whistleblower-Preises an Edward Snowden verteidigt. Snowden sei kein Verräter, sondern habe eine große Gefahr gesehen und diese der Öffentlichkeit mitgeteilt.
Christopher Ricke: Edward Snowden bekommt heute einen Preis, der Whistleblower wird als Held ausgezeichnet für seine Zivilcourage. Der deutsche Whistleblower-Preis wird seit 1999 alle zwei Jahre unter anderem von der Vereinigung deutscher Wissenschaftler verliehen, und der Vorsitzende dieser Vereinigung ist Professor für Pädagogik an der katholischen Universität Eichstätt, der heißt Ulrich Bartosch. Guten Morgen, Herr Bartosch!

Ulrich Bartosch: Ja, guten Morgen, Herr Ricke!

Ricke: Sie schauen sich jetzt Edward Snowden als Held an, aber man kann das auch anders sehen. Dann ist er ein Verräter, der nationale und internationale Sicherheit in Gefahr bringt. Muss man denn so einen Verräter wirklich noch mit einem Festakt würdigen?

Bartosch: Hm, das ist jetzt die Frage der Perspektive. Für uns ist Snowden kein Verräter, er ist mit Sicherheit jemand, der Geheimnisse weitergegeben hat, für deren Verschwiegenheit er zunächst mal verpflichtet war. Aber Whistleblower sind aus unserer Perspektive Menschen, die als Wissende Gefahren sehen und die Gefahren der Öffentlichkeit mitteilen wollen und müssen, die wir ohne sie nicht erfahren würden, und die so groß sind, dass sie sich über dieses Verbot, das Geheimnis zu behalten, hinwegsetzen, und dies in einer Art und Weise, die nicht auf persönliche Vorteile absieht, sondern eigentlich eine Frage des Gemeinwohls ist.

Ricke: Aber gehört es nicht auch zum Gemeinwohl, nationale Sicherheit zu garantieren? Und da müssen Spione eben das tun, wofür sie bezahlt werden: spionieren.

Bartosch: Ja, die Frage der nationalen Sicherheit ist möglicherweise auch eine, die von der Funktionsfähigkeit von Demokratie abhängig ist, und dies ist für uns im Moment im zentralen Mittelpunkt. Wir erleben erst durch die Enthüllungen von Snowden etwas für uns – wie soll man sagen – fast Unbegreifliches, nämlich eine Welt, in der wir alle miteinander in eine Art Generalverdacht gestellt sind, und indem unsere Kommunikation im Vorrat gesichtet und bewahrt wird. Und dies ist eine Entwicklung, der wir nicht ohne Sorge, ja, jetzt würde ich fast sagen, ohne Angst entgegen schauen können.

Ricke: Na ja, also wenn Sie die Demokratie in Gefahr sehen, sollte man nicht dann doch einen Unterschied machen, ob totalitäre Systeme moderne Technik nutzen, um ihr Volk zu unterdrücken, oder ob es sich dann doch um eine gefestigte Demokratie handelt, die sich eben dann eine gewisse Rechtsverletzung dann einfach auch mal leisten muss?

Bartosch: Die Erfahrungen, die wir gerade aus der deutschen Position haben mit Systemen, die Rechtsverletzungen für sich in Anspruch nehmen für die Besserung, für die gute Sache, sind einschneidend genug, als dass wir, was das Recht betrifft, eigentlich nicht bereit sind, groß Kompromisse einzugehen. Die Situation ist ja auch nicht, dass gesucht wird auf Verdacht hin, sondern die Situation, der wir uns momentan gegenübersehen, ist, dass in großem Maße einfach aufgezeichnet und behalten wird, was tagtäglich zwischen ihnen, zwischen mir und anderen kommuniziert wird, und das ist die Grundlage eigentlich unseres Zusammenlebens in jeder Hinsicht. Ich sehe da zunächst mal eine ganz große Gefahr.

Ricke: Jetzt ist es ja ein Preis, der in Deutschland verliehen wird, also schauen wir auch auf die deutsche Situation, nicht nur auf die Amerikaner oder auf die Briten. In Deutschland haben wir ja eine demokratisch gewählte Regierung, ein demokratisch gewähltes Parlament und eine Kontrolle der Geheimdienste. Sehen Sie trotzdem die Gefahr, dass sich solche demokratischen Institutionen von selbst von innen zerfressen lassen?

Bartosch: Wenn wir tatsächlich in eine Situation kommen, in der die Grundlage unseres demokratischen und rechtsstaatlichen Verständnisses nicht mehr gelten, dass wir tatsächlich eine Auflösung von grundgesetzlicher Presse- und Fernmeldefreiheit beobachten müssen, dann sehe ich tatsächlich eine Gefahr. Ich meine, das Post- und Fernmeldegeheimnis ist ja kein Pappenstiel und ist zunächst mal etwas, was als Basis eines freien Verkehrs und auch einer freien Entwicklung von politischen Gedanken, von wirtschaftlicher Entwicklung und sonst was uns gegeben oder beziehungsweise von uns und unseren Vorgängern erkämpft und bewahrt wird, und dies jetzt einfach als überflüssig oder als gar nicht so wichtig zu bezeichnen, finde ich schwierig.

Ricke: Jetzt zeichnen Sie ja heute Edward Snowden aus, einen Mann, der in Russland Zuflucht gefunden hat. Deutschland hat ihm meines Wissens kein Asyl angeboten, aber mehrere durchaus umstrittene Staatschefs in Lateinamerika. Wenn man also Snowden auszeichnet, zeichnet man dann auch diese Menschen aus als Helden der Demokratie und des Menschenrechts?

Bartosch: Denke ich nicht. Zunächst mal bedauern wir tatsächlich, dass sich die Bundesregierung nicht bereit gefunden hat, Snowden entsprechenden Zeugenschutz oder wie auch immer in Deutschland zu gewähren, dass Herr Snowden irgendwo anders auf der Welt unterkommen muss, ist selbstverständlich. Ich möchte nicht sagen, dass damit diejenigen, die ihm das anbieten, sich die Auszeichnung an den Revers heften dürfen.

Ricke: Jetzt kann ja Edward Snowden aus ganz logischen Gründen nicht zur Preisverleihung kommen. Hat er sich denn zu dieser Auszeichnung schon irgendwie verhalten, sich geäußert?

Bartosch: Er hat sich meines Wissens – ich bin in dieser direkten Kommunikation nicht beteiligt, er hat sich dankbar geäußert, und bereiterklärt, den Preis entgegenzunehmen.

Ricke: Professor Ulrich Bartosch von der Vereinigung deutscher Wissenschaftler. Vielen Dank, Herr Bartosch!

Bartosch: Ich danke Ihnen, Herr Ricke!


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