Wir werden das Ding schon schaukeln

Von Bernd Wagner |
Die Botschaft des Entwurfs ist so klar wie überwältigend, kommentiert Bernd Wagner: Wenn wir uns alle im gleichen Rhythmus bewegen und niemand aus der Reihe tanzt, werden wir zu einer einzigen großen Bürgerbewegung, in der einer den anderen bis in alle Ewigkeiten beglückt.
Man hätte vorbereitet sein können. Zu welch genialischen Kraftakten unsere Gedenkkultur-Industrie fähig ist, bezeugt schließlich schon das fußballfeldgroße Areal voller Betonkuben, zwischen denen sich so herrlich Versteck spielen, fotografieren und vergessen lässt, dass es einmal als Mahnmal für die Ermordung der Juden Europas gedacht war. Wer jetzt überrascht ist, eine überdimensionale Schaukel als Denkmal für die Revolution von 1989 und die Wiedervereinigung präsentiert zu bekommen, hat schlicht die Kreativität der bildenden Künstlerschaft sowie die revolutionäre Gesinnung unserer Volksvertreter unterschätzt.

Und keiner sage, die hätten sich bei der Entscheidung für dieses Denkmal nichts gedacht. Nein, nicht von Verschaukeln ist hier die Rede, sondern von einer viel tiefgründigeren Symbolik. Da ist zuerst einmal der Ort des Gedenkens, geschichtsträchtig wie so leicht kein zweiter im Land. Es handelt sich um den 60 Meter breiten Sockel des alten Nationaldenkmals, das einst Kaiser Wilhelm auf dem Platz vor dem Berliner Hohenzollernschloss zierte. Nachdem dieses mitsamt dem Denkmal gesprengt worden war, diente die ehemalige Schlossfreiheit Ulbricht und Genossen zuerst als Aufmarschplatz für ihre Kundgebungen und später, nach dem Bau des "Palastes der Republik", als Ort, an dem willige Teile des Volkes ihrer Freude Ausdruck geben konnten, in einer Diktatur zu leben. Ein Platz mithin, der über eine reiche Tradition an Massenversammlungen verfügt, auch wenn diese vor allem Huldigungen an die jeweilige Staatsmacht darstellten und revolutionärer Gesinnung unverdächtig waren.

Mit sicherem Gespür für den Geist, der auch nach der Wiedererrichtung der Schlossfassade über diesen Platz wehen dürfte, haben sich die Gestalter des Siegerentwurfs - ein Stuttgarter Designerbüro und eine in Berlin tätige Choreografin - besonders dieses Aspektes der Massenbeglückung angenommen. Eine gewaltige, golden erstrahlende Schale aus Stahl und Glas wird die Ströme von Touristen aufnehmen, die von einem ehernen Schriftzug in der Schale erklärt bekommen, als was sie sich fühlen dürfen: "Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk". Wenn sich dieses Volk nach einem bestimmten, von der Choreografin noch mitzuteilendem, Rhythmus bewegen wird, wird die Schale in Schwingung geraten und jenes Schaukelgefühl erzeugen, mit dem Menschen schon immer und besonders in den Mitsommernächten ihrer Daseinslust Ausdruck gegeben haben.

Die Botschaft ist so klar wie überwältigend: wenn wir nur genügend Viele sind, wenn wir uns alle im gleichen Rhythmus bewegen und niemand aus der Reihe tanzt, werden wir zu "Bürgern in Bewegung", werden wir zu einer einzigen großen Bürgerbewegung, in der einer den anderen bis in alle Ewigkeiten beglückt.

Falls damit Einzelne den Sinn der Ereignisse von 1989 als missverstanden, ja parodiert empfinden, weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass es Minderheiten waren, die die Bewegung ausgelöst haben; dass sie ganz bewusst aus jener großen und so gern vergötterten Masse ausscheren mussten, die mit ihrer Ruhe jedem Staatswesen die nötige Schwerkraft verleiht; dass diese Minderheit von dem Bedürfnis angetrieben wurde, sich nach ihrem eigenen Takt und nicht mehr nach einem vorgegebenen zu bewegen; dass dies ein Akt der Empörung und des Widerstandswillens und nicht des Harmoniestrebens war und er nicht aus Spaß sondern mit höchstem Risiko vollzogen wurde - dann soll sich diese Minderheit doch zurückziehen und die anderen schaukeln lassen.

Bernd Wagner, Schriftsteller, 1948 im sächsischen Wurzen geboren, war Lehrer in der DDR und bekam durch seine schriftstellerische Arbeit Kontakt zur Literaturszene in Ost-Berlin. 1976 erschien sein erster Band mit Erzählungen, wenig später schied er aus dem Lehrerberuf. Von Wagner, der sich dem Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns anschloss, erschienen neben einem Gedichtband mehrere Prosabände und Kinderbücher. Als die Veröffentlichung kritischer Texte in der DDR immer schwieriger wurde, gründete Wagner gemeinsam mit anderen die Zeitschrift Mikado. Wegen zunehmender Repression der Staatsorgane siedelte er 1985 nach West-Berlin über. Zu seinen wichtigsten Büchern zählen "Die Wut im Koffer. Kalamazonische Reden 1-11" (1993) sowie die Romane "Paradies" (1997), "Club Oblomow" (1999) und "Wie ich nach Chihuahua kam". Zuletzt erschien "Berlin für Arme. Ein Stadtführer für Lebenskünstler".

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