Wir wollen Arbeit!

Französische Jugendliche suchen Jobs

Ein Jugendlicher bei einem Bewerbungstraining in Paris.
Ein Jugendlicher bei einem Bewerbungstraining in Paris. © picture alliance / dpa / Robert B. Fishman
Von Ursula Welter |
Jeder vierte jugendliche Franzose ist arbeitslos. Der französische Arbeitsmarkt gilt als unflexibel und wenig durchlässig für den Nachwuchs, und so drängeln sich 20-Jährige auf einer Messe, auf der lediglich Ferien-Jobs vergeben werden.
Das Arbeitsamt hat den größten Stand. Die Messe in einem der prekären Stadtteile von Paris ist eigentlich eine Messe für Ferienjobs.
"Heute suchen die Studenten in großer Zahl Arbeit neben dem Studium."
Barbara Muntaner arbeitet für den staatlichen Jugendrat, der jungen Leuten Orientierungshilfe anbietet:
"Sie tragen damit zum Familieneinkommen bei, das hat sich geändert, ja!"
Mit wachen Augen sitzt die blonde Frau auf dem Hocker an ihrem Stand inmitten der Menschenmenge, die von Minute zu Minute weiter wächst.
Überall in der Halle bilden sich lange Schlangen. Junge Franzosen, viele mit afrikanischen oder asiatischen Wurzeln, stehen hier an, um Arbeit zu finden. Nicht nur Studenten, die Ferienjobs suchen. Die Börse gilt vielen als Einstiegsmöglichkeit in den Arbeitsmarkt.
Nach der Schule arbeitslos
22 Prozent der jungen Franzosen, die das Schulsystem verlassen, sind arbeitslos. Fast ein Viertel. Auch hochwertige Abschlüsse, wie das berufsorientierte Abitur "bac-pro", bieten keine Sicherheit mehr: 32 Prozent der Absolventen des Jahrgangs 2010 sind weiter ohne Festanstellung, doppelt so viele wie zehn Jahre zuvor, ergab eine staatliche Untersuchung. Die meisten jungen Menschen hangeln sich von einem Drei-Monats-Vertrag zum anderen.
Neben dem Stand des Arbeitsamtes und der Informationstheke des Jugendrats haben Unternehmen ihre Stände aufgebaut. Dienstleister suchen Empfangsdamen, motivierte Organisationstalente; Schnellrestaurants bieten Verkäuferjobs an, an einem Stand ist rhetorisches Talent gefragt: "Überzeugen in fünf Minuten" heißt die Übung auf der Bühne, zu der aber keiner Recht den Mut findet.
Aus Afrika nach Frankreich gekommen
Sebastian, 21 Jahre, die Generation seiner Eltern ist aus Afrika nach Frankreich gekommen, er ist französischer Staatsbürger, wie sein Freund Kilian, 22 Jahre. Die beiden stehen weit hinten in einer der vielen Warteschlangen. Was ist ihr Berufsziel?
"Ganz gleich, man muss arbeiten", sagt Sebastian.
"Das ist sehr schwierig."
"In Frankreich ist gerade Krise."
"Wir sind die ersten, die dafür herhalten müssen". erklärt Kilian.
"Mit Abitur bei McDonald's den Müll wegräumen"
"Schauen Sie sich um, wie voll es hier ist", ergänzen die beiden hochgewachsenen jungen Männer, gut gekleidet, gute Manieren, gut ausgebildet, beide mit Abitur.
"Auch mit Abitur landen Sie heute bei McDonald's und räumen da den Müll weg."
"Aber das ist ja ein allgemeines Phänomen."
"Die Wohnungsnot, das trifft nicht nur die Jugend, die Arbeitslosigkeit, das trifft nicht nur die Jugend, das ist in Frankreich ein generelles Problem."
Reden Sie viel darüber zu Hause, mit den Eltern, den Geschwistern, hat die Krise ihr Leben verändert?
"Ja, wir diskutieren das häufig, aber es gibt keine Lösung, auch ein Studium hilft ja nicht, da sind auch Tausende arbeitslos. Das etablierte System ist das Problem, egal welcher Präsident, egal welcher Minister, das ist die Gesellschaft...."
Ein System, in dem allenfalls die Absolventen der Elitehochschulen noch Chancen haben, in dem gute Verbindungen alles sind. Ins Ausland gehen, wie viele junge Franzosen, wäre das eine Lösung ?
"Dazu braucht es wieder Geld."
Sagt Kilian - und Sebastian kann ebenfalls nicht einfach "mobil" sein, wie es die Politiker Europas von der Jugend gerne fordern:
"Ich muss meine Familie unterstützen, da kann ich nicht einfach gehen und sie allein lassen."
Phänomen dieser Krisenzeit
Bei den Eltern wohnen, mit anpacken, ein Phänomen dieser Krisenzeit. Barbara Muntaner, am Beratungsstand des Jugendrats, hört das oft:
"In der Region Paris ist das häufig der Fall, da sind die Mieten derartig hoch, da bleiben die Kinder bei ihren Eltern wohnen, da sich auch etwas geändert."
Das Forschungsinstitut CSA fand in einer internet-Umfrage heraus, dass 85 Prozent der Jugendlichen zwischen 18 und 29 Jahren Probleme haben, eine bezahlbare Wohnung zu finden und auch keine Hoffnung haben, dass sich die Lage bessere. Im besten Fall, auch das ergab die Untersuchung, geht ein Drittel, im schlimmsten Fall die Hälfte des Monatsbudgets für das Wohnen drauf.
Eine Gruppe von Mädchen sortiert am Rande der Jobmesse die Vordrucke und Papiere, die für die Unternehmen ausgefüllt werden müssen,
"Ich heiße Jeanne und bin 20 Jahre alt."
Jeanne möchte Kinder betreuen. Aber dazu braucht sie ein Zusatzzertifikat, das sie nicht hat.
Jeanne wohnt bei ihren Eltern
"Sicher ich bin hier, weil ich Arbeit suche, ein Projekt für die Zukunft, um Erfolg zu haben."
Aber für Jeanne ist das schwer. Sie hat die Mittel-Schule mit dem Ende der Schulpflicht verlassen, hat das staatliche "Diplôme" nicht gemacht.
"Das ist das Problem, was soll ich machen?"
Jeanne wohnt bei ihren Eltern, in der Familie sei die Arbeitslosigkeit der Jugend das große Thema, ihre Schwester habe vor ein paar Jahren noch ohne Schwierigkeiten Arbeit finden können.
"Wenn ich die Möglichkeit hätte, Frankreich zu verlassen, um zu arbeiten, würde ich sofort gehen."
Europa ist dennoch abstrakt für die junge Frau, sie sei zu jung und die Sache zu kompliziert, sagt sie, auf ihr Wahlrecht zu den Europawahlen angesprochen. Ihre Freundin, Laure, mag auch nicht über Politik reden.
"Viele wollen in die angelsächsischen Länder gehen"
Zwei Schritte von den Mädchen entfernt sitzt eine Dame mittleren Alters am offiziellen Stand des Europäischen Berufsberatungszentrums. Sie hat wenig Kundschaft, und doch:
"Viele Franzosen wollen in die angelsächsischen Länder gehen, vor allem nach London, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern, das hat sich von Jahr zu Jahr verstärkt, die Hoffnung ist, Jobs zu finden, die man hier nicht findet."
Immer wieder berichten die französischen Zeitungen über "Massenabwanderung" gut ausgebildeter, junger Leute. Aber das Problem, sagt Barbara Muntaner an ihrem Stand weiter vorn, im Eingangsbereich, das Problem sind die jungen Leute ohne qualifizierten Abschluss:
"Das ist eine unserer großen Sorgen: Wie kann Frankreich das Problem lösen? Woanders in Europa mag das gehen, aber bei uns...150.000 junge Menschen verlassen das Schulsystem jährlich ohne Abschluss."
In der Ecke ist die Gruppe der Mädchen mit dem Sortieren der Bewerbungspapiere fertig, Jeanne stellt sich bereits an, ihre Freundin Laure will noch etwas loswerden:
"Oft verlangen die von uns 'Erfahrung', 'Nachweise darüber', aber irgendwo muss man ja mal anfangen."
Dennoch, auch Laure lässt den Kopf nicht hängen.
"Man muss sich da durchschlagen, dagegenhalten und was riskieren!"
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