"Wir wollen das Fach Musik in seiner Eigenständigkeit unbedingt erhalten"

Ties Rabe im Gespräch mit Susanne Führer |
Dass das Fach Musik in den Bundesländern systematisch zurückgefahren werde, sei ihm nicht bekannt, sagte der Hamburger Schulsenator Ties Rabe. Der aktuelle Vorsitzende der Kultusministerkonferenz reagierte auf eine Warnung des Verbandes Deutscher Schulmusiker.
Susanne Führer: In Weimar haben sich rund 1500 Musiklehrer zu ihrem ersten Bundeskongress versammelt, noch bis Sonntag geht es um Wege für einen guten Musikunterricht und um die desolate Lage des Schulfachs Musik.
Und am Telefon ist nun Ties Rabe, er ist Schulsenator in Hamburg und der aktuelle Vorsitzende der Kultusministerkonferenz. Guten Morgen, Herr Rabe!

Ties Rabe: Guten Morgen, Frau Führer!

Führer: Wir haben uns gestern den ganzen Tag bemüht, mal genaue Zahlen zu bekommen, wie viele Musiklehrer es gibt, wie viel Musikunterricht erteilt wird, wie viele Musiklehrer fehlen. Das war aber nicht möglich, diese Zahlen zu bekommen, wir haben das auch gerade im Beitrag gehört. Warum gibt es die eigentlich nicht?

Rabe: Die Frage, ob Musiklehrer fehlen, ist alleine schon schwierig zu beantworten, weil natürlich in den Grundschulen beispielsweise häufig das Klassenlehrerprinzip gilt. Und wenn dort unterrichtet wird, dann wird nicht für jedes Fach ein anderer Lehrer kommen, sondern dann macht häufig der Klassenlehrer das mit. Das heißt, dass ein Musiklehrer durchaus auch andere Fächer unterrichtet, aber das heißt auch, dass Lehrerinnen und Lehrer, die andere Fächer studiert haben, in der Grundschule beispielsweise durchaus auch Musik geben können. Das gilt bei vielen Fächern, da ist Musik keine Ausnahme.

Führer: Nun beklagt aber der Verband Deutscher Schulmusiker genau das, dass eben nur ein Viertel – wir haben das auch gerade gehört im Beitrag –, nur ein Viertel der Musiklehrer an Grundschulen eine entsprechende Ausbildung habe!

Rabe: Ich will ganz offen sagen, dass ich als Präsident der Kultusministerkonferenz ja mit vielen Fachlehrerverbänden spreche, und ich freue mich darüber, dass die Musiklehrer sich bei ihrem Kongress erstmals verbandsübergreifend zusammengetan haben. Das tut diesem Fach gut.

Umgekehrt will ich ganz offen sagen, dass die Lehrerinnen und Lehrer eines jeden Faches folgende Botschaften mir jeden Tag sagen: Unser Fach wird besonders schlecht behandelt, unser Fach ist wichtig und müsste ausgebaut werden, unser Fach braucht mehr Lehrer und mehr Geld. Und insofern muss man sich wirklich genau angucken, ob die Klagen im Einzelnen berechtigt sind. Denn ich höre solche Klagen auch aus den Naturwissenschaften, vom Fach Physik, vom Fach Mathematik, und in der Öffentlichkeit ständig über die Themen Lesen und Rechtschreibung. Aber umgekehrt:

Wir können nicht einfach den Unterricht erweitern, 47 Schulstunden verkraftet kein Schüler. Deswegen müssen wir einen vernünftigen Mittelweg gehen. Und ich glaube, der führt dahin, dass jedes Fach die Chancen, die es hat, und die im Stundenplan verankerten Stunden möglichst optimal nutzt. Aber es ist nicht vernünftig, wenn man sagt, ein Fach braucht mehr. Dann muss man nämlich eines finden, das weniger braucht. Und da habe ich es meistens schwer, einen zu finden.

Führer: Ja, das verstehe ich, Herr Rabe, und ich verstehe auch, dass alle sagen, also, dieses Fach und alles ist wichtig, Deutsch ist wichtig, Deutschland braucht Naturwissenschaftler. Nun ist es ja nicht so, dass die Musiklehrer mehr fordern, sondern sie sorgen sich darum, dass das Fach abgebaut wird, dass gekürzt wird und zusammengestrichen wird! Das ist ja was anderes als zu sagen, wir brauchen mehr!

Rabe: Das ist richtig, dass sie sich darum sorgen. Ich sehe für diese Sorge keinen Anlass. Es ist mir nicht bekannt, dass in Bundesländern das Fach Musik systematisch zurückgefahren wird. Es gibt zwar immer Änderungen, aber gerade die Kultusministerkonferenz ist sehr stark engagiert dabei, den musik-ästhetischen Bereich deutlich zu stärken. Und wir haben in dieser Hinsicht eigentlich mit den Musiklehrern zusammen ein gemeinsames Interesse.

Dass es nicht immer ganz leicht ist, hängt allerdings auch damit zusammen, dass die öffentliche Meinung, insbesondere geprägt durch die vielen PISA-Tests, überwiegend sich darauf konzentriert, wie ist die Rechtschreib-, die Lese- und die mathematische Leistung der Kinder. Und man hat den Eindruck, wenn man die vielen Tests sieht, dass die musisch-ästhetische Erziehung gar nicht mehr wichtig ist.

Aber sie ist wichtig, die Kultusministerkonferenz hat deshalb die letzte Bildungsstudie ausdrücklich diesem Themenbereich gewidmet, weil wir eben der Meinung sind: Es geht um die Entfaltung der Persönlichkeit von Schülerinnen und Schülern, die Stärkung der Persönlichkeit, auch die Kreativität zu fördern. Und da brauchen wir auch weiterhin Musik.

Führer: Das würden sicher alle unterschreiben. Trotzdem ist ja die Frage, in welchem Umfang dann Musikunterricht noch erteilt wird. Das ist ja genau, was die Musiklehrer beklagen. Sie haben von einer musisch-ästhetischen Erziehung, musisch-ästhetischem Verband gesprochen, Musik wird dann häufig zusammengelegt mit dem Kunstunterricht zum Beispiel und findet als eigenständiges Fach nicht mehr statt. Oder von der ersten Klasse bis, sagen wir mal, zur zehnten oder sogar zum Abitur.

Rabe: Also, das ist wirklich nicht wahr. Es gibt wenige Bundesländer, die in der Tat bei den Grundschulen, wo es auch häufig schwierig ist, eine Fachlichkeit in kleinen Grundschulen jeweils sicherzustellen, für jedes Fach einen Experten, und das mit vielleicht 140 Schülern, das mag auch schwierig sein. Aber insgesamt ist das Fach Musik keineswegs untergemengelt in einem angeblichen Riesenfach Künste, sondern es spielt in den Lehrplänen aller Bundesländer eine klar definierte, eigenständige Rolle.

Es ist hin und wieder tatsächlich öffentlich darüber diskutiert worden, Theater, Kunst oder Musik zusammenzulegen, aber diese Diskussionen haben nach meiner Auffassung tatsächlich nicht dazu geführt, dass man diesen Schritt gegangen ist, sondern wohlweislich in den allermeisten Bundesländern und in den allermeisten Schulformen gesagt hat: Nein, wir wollen das Fach Musik in seiner Eigenständigkeit unbedingt erhalten.

Führer: Ich meine, Herr Rabe, meine Schulzeit in Hamburg ist zugegebenermaßen schon etwas her, aber ich hatte nach der sechsten Klasse keine einzige Stunde Musikunterricht mehr. Wie sieht denn das heute aus in Hamburg?

Rabe: In Hamburg haben wir einen Lehrplan, der – übrigens ist der Schulwechsel nach Klasse vier, und nicht nach Klasse sechs in Hamburg –, und dann ...

Führer: Das hat aber mit dem Schulwechsel jetzt nichts zu tun.

Rabe: Ja, da ist es so, dass in der Grundschule wir fest definiert eine Vorschrift haben, wie viel Musikunterricht dort zu geben ist. Und zwar eigenständiger Musikunterricht, keineswegs ein Gemengefach, sage ich mal. Und das gilt auch für die Klassen fünf und sechs, auch dort. Danach gehört Musik zum Wahlpflichtbereich. Wahlpflicht heißt, man kann sich zwar aussuchen, ob man Musik oder Kunst oder andere Fächer nimmt, aber man muss eines davon nehmen. Und wenn wir uns angucken, wie die Belegungszahlen sind, dann kann ich sagen, dass in Hamburg der Musikbereich eine große Rolle spielt, auch in den weiterführenden Schulklassen.

Führer: Aber es ist ein Wahlfach. Es ist dann, gibt also keinen verlässlichen Unterricht dann mehr bis zur Zehnten oder bis zum Abitur, weil man Musik oder Kunst wählen muss?

Rabe: Man kann wählen, das ist völlig richtig. Aber wenn ich das Fach Musik hier verbindlich vorschreiben würde, dann würde das jeweils andere Fach, was man wählen könnte, hinten runterfallen. Und ich glaube, dann hätte ich die nächste Einladung in Ihre Sendung, um darüber zu reden, ob das Fach Theater oder Kunst nicht gestärkt werden muss.

Ich glaube, wir müssen auch daran denken, dass bei 34 Wochenstunden wirklich die Oberkante erreicht ist, die man Schülern zumuten kann. Und in diesem Fächerkanon muss dann das entsprechende Fach untergebracht werden. Dass das Fach Musik hier zu dem Wahlpflichtbereich gehört, ist richtig. Aber ich darf Ihnen sagen, wenn Sie an Ihre Schulzeit sich erinnern, ich an meine mich auch, das war schon immer so. Von einem Abbau kann da wirklich keine Rede sein.

Führer: Kommen wir mal zu einem Vorschlag, der ja am Ende des Beitrags von dem Bundeskongress in Weimar geäußert worden ist, nämlich, dass man zumindest den Studenten für das Lehrfach Musik, zumindest zuverlässig eine Referendariatsstelle einräumt. Finden Sie das eine Idee, dass Sie das in die Kultusministerkonferenz tragen könnten, dass die Bundesländer sich dazu verpflichten, wenigstens ausreichend Referendariatsstellen zu schaffen, auch wenn man dann die jungen Kollegen nicht unbedingt dann gleich verbeamtet und einstellt?

Rabe: Jedes Bundesland hat andere Bedürfnisse, was die Länder angeht. Ich finde die Idee richtig, in Hamburg machen wir das so, weil wir hier in der Tat sehen, dass das ein Fach ist, das gestärkt werden muss. Das liegt an der Bewerbersituation, die in anderen Fächern besser ist als in Musik. Und deswegen ist es so, in dem Moment, wo wir weniger Bewerber haben, wird in Hamburg dieses Fach tatsächlich besonders bevorzugt.

Das gilt übrigens auch für andere Fächer, für das Fach Physik, da machen wir das genau so. Das machen alle Bundesländer, aber sie müssen jeweils den eigenen Bedarf dabei sinnvoll prüfen. Eine generelle Ansage für ganz Deutschland mag da wenig Sinn haben. Aber die eigentliche Tendenz, ein bestimmtes Fach dann, wenn es ein Mangelfach zu werden droht, besonders zu fördern, die ist richtig und die wenden wir auch an.

Führer: Sagt Ties Rabe, er ist Schulsenator in Hamburg und der aktuelle Vorsitzende der Kultusministerkonferenz. Danke fürs Gespräch, Herr Rabe!

Rabe: Vielen Dank, Frau Führer!

Führer: Tschüss!

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