"Wir wollen ja auch keinen Polizeistaat"

Bernhard Witthaut im Gespräch mit André Hatting |
Das jüngste Gutachten zur Vorratsdatenspeicherung ist nach Ansicht der Polizeigewerkschaft kein Beleg dafür, dass ein solches Instrument nicht benötigt werde. Die Studie des Max-Planck-Instituts beziehe sich nur auf wenige Daten und einen kurzen Zeitraum, sagte Bernhard Witthaut, Bundesvorsitzende der Gewerkschaft.
André Hatting: Am Telefon begrüße ich jetzt Bernhard Witthaut, er ist Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. Guten Morgen, Herr Witthaut!

Bernhard Witthaut: Guten Morgen, ich grüße Sie!

Hatting: Die Vorratsdatenspeicherung verbessert offenbar nicht die Verbrechensbekämpfung. Warum halten Sie trotzdem daran fest?

Witthaut: Also, alles, was ja auch dieses Gutachten, was ja auch vom Bundesjustizministerium in Auftrag gegeben worden ist, der Vorwurf, muss man aus meiner Sicht in zweierlei Maß betrachten. Erstens: Der D-Part, wo Ermittler, Richter, Staatsanwälte gefragt wurden, ist ganz eindeutig das Ergebnis festzustellen, wir brauchen dieses Instrument. Aus dem anderen Part beruft man sich ja im Grunde genommen auf relativ wenige Daten, die man hat, und auf einem relativ kurzen Zeitraum.

Deswegen ist aus meiner Sicht zumindest dies nicht ein hundertprozentiger Beleg dafür, dass wir eine Vorratsdatenspeicherung nicht benötigen. Und deswegen sind wir auch davon überzeugt, dass das ein Instrument ist, mit dem Strukturen erkannt werden können, Netzstrukturen nachvoll…, recherchiert werden können und wo auch insbesondere natürlich wir auch ermitteln können, wer hat wann mit wem telefoniert. Es geht nicht darum, welcher Inhalt es war, aber wir können Verbindungen feststellen.

Hatting: Sie gehen jetzt schon in die Details der immerhin 270 Seiten umfassenden Studie. Dort steht ja nun auch, dass es im Einzelfall – das haben Sie gerade ja erwähnt – durchaus nützlich sein kann, dass aber generell insgesamt die Sicherheitslage nicht verbessert wird. Ist das nicht ein zu hoher Preis für das Aufgeben von Privatsphäre?

Witthaut: Ich bin auch nicht davon überzeugt, dass diese Diskussion, "Wir geben unsere Privatsphäre auf", richtig ist. Nehmen Sie Facebook, im Facebook ist jeder, der dort Mitglied ist, das sind mehr als 800 Millionen, wenn nicht sogar schon noch mehr Menschen, der gibt seine Daten völlig, völlig frei preis, die sind im Netz, kriegen Sie nie wieder weg. Uns geht es doch nur darum, dass wir auf Anordnung der Staatsanwaltschaft beziehungsweise mit Genehmigung eines Richters auf entsprechende Daten zurückgreifen können. Es ist doch nicht so, dass wir alles wissen wollen. Wir wollen ja auch keinen Polizeistaat, aber es ist ein Instrument, mit dem wir Verbindungen nachvollziehen können. Uns fehlen als Ermittler viele, viele Informationen. Und wenn der Präsident des Bundeskriminalamts sagt, 5500 Verfahren können aufgrund dieser nicht vorhandenen Daten nicht weiter ermittelt werden, und bieten uns keine weiteren Ansätze, dann, finde ich, ist das eine Hausnummer!

Hatting: Können Sie uns ein konkretes Beispiel aus der Praxis nennen, wo das massenhafte Abhören von Telefonaten und Überwachung von Internetprotokollen wirklich zu einem Erfolg geführt hat bei der Polizei?

Witthaut: Ja, es gibt ja viele Beispiele. Unter anderem kann ich ein Beispiel aus meiner Heimatstadt sagen. Dort ist es also gelungen, einen Mittäter aufgrund dieser Daten nach einem Bankraub festzustellen.

Hatting: Das Gegenbeispiel stammt aus Berlin: Der Bundesdatenschützer Peter Schaar hat die Funkzellenüberwachung wegen der Autobrandstifter erwähnt und gesagt, dass das eben gar nicht dazu geführt hat, dass man jetzt die Täter fassen konnte.

Witthaut: Ja gut, okay, man muss ja jetzt auch in dieser Situation eindeutig nachvollziehen, wann und wo ist dieses Instrument machbar und wann wird es eingesetzt. Aber es gibt natürlich schreckliche, schlimme Beispiele, wenn man das in diesem Fall jetzt so sieht, auch in Dresden, im letzten Jahr, wo ja auch Millionen von Demonstrationsteilnehmern mehr oder weniger durch eine Funkzellenabfrage festgestellt wurden. Das finde ich auch, das muss man überprüfen. Aber auf der anderen Seite, es gibt uns als Ermittler die Chance. Und ich finde, Straftaten zu verhindern oder Straftaten aufzuklären, das sind ja die Instrumente, die wir … Oder das ist ja der Teil, den wir als Polizei und auch als Sicherheitsbehörden für die Sicherheit in unserem Lande als Aufgabe haben.

Und wenn man uns in dieser Form diese Chance nicht gibt, dann ist das etwas, was eine Verantwortung auch der Bundesjustizministerin … Das Bundesverfassungsgericht hat ja 2010 im März entschieden, so unter den damaligen Regularien nicht zulässig … Aber Bundesregierung schafft eine Regel und das ist ja etwas, was diese Bundesregierung bisher nicht gemacht hat. Das ist ja eigentlich der Skandal.

Hatting: Ja, das Justizministerium hat aber immerhin schon mal einen Gesetzesentwurf vorgelegt. Dort heißt es, dass man für IP-Adressen, also Internetadressen, sehr wohl anlasslos speichern dürfe, und zwar eine Woche. Aber bei Telefonaten nicht. Damit können Sie nicht leben?

Witthaut: Also, es geht ja nun auch darum, Sie sprechen ja jetzt insbesondere dieses Quick-Freeze-Verfahren an. In diesem Verfahren brauchen Sie einen Anfangsverdacht. Wenn Sie keinen Anfangsverdacht haben, dann können Sie auch nicht auf den Knopf drücken und diese entsprechenden Daten zurückerfassen. Sondern Sie können also dann erst in die Zukunft hinein Daten erfassen. Und das ist wieder eine Chance, das sagen wirklich eindeutig unsere Ermittler, das ist eine Chance, die vertan wird, um letztendlich eben halt Tatzusammenhänge zu ermitteln und so dann auch eine Tat besser beurteilen und aufklären zu können.

Hatting: Aber noch mal zu der Studie, es ist ja nicht die einzige. Es gab ja auch, das haben wir vorhin im Beitrag gehört, von der Europäischen Union eine in Auftrag gegebene Studie. Und es scheint aber so zu sein – zumindest zeigen das diese beiden Studien –, dass eben diese anlasslose Überwachung nicht dazu führt, dass man Straftaten wirklich verhindern kann?

Witthaut: Ja, okay, das ist ja dann auch immer eine Prognose. Weil, Sie haben ja keine realistischen Zahlen, die Sie hinterlegen können. Weil, wenn Sie eine Straftat verhindern, dann wird sie auch nicht in der Statistik erfasst. Das sind ja nun alles solche Momente, die ja auch noch hinzukommen. Sie können ja nur dann nachweisen, dass eine Tat nicht begangen worden ist, weil dieses Instrument angewandt wurde, wenn Sie die entsprechenden Daten ja auch festhalten. Das haben Sie dann ja gar nicht mehr. Wenn eine Straftat verhindert worden ist, dann finden sie in der PKS, in der Statistik keinen entsprechenden Vermerk darüber und es wird auch nicht aufgenommen.

Hatting: In der Diskussion sind, wenn man für eine Vorratsdatenspeicherung ist, ein Zeitraum von sechs Monaten bis hin zu zwei Jahren. Was halten Sie für angemessen?

Witthaut: Also, wenn wir den internationalen Rechtsverkehr mit ins Besondere einbeziehen, dann müsste man in der Tat einen längeren, viel längeren Zeitraum verwenden. Und da sagen Staatsanwälte, die auf der internationalen Ebene arbeiten, sie bräuchten eigentlich einen Zeitraum von zwei Jahren. Das ist irreal, das werden wir nicht durchsetzen. Deswegen haben wir uns in Deutschland auch als Gewerkschaft der Polizei auf einen Zeitraum von sechs Monaten kapriziert, weil das ein wirklich überschaubarer Zeitraum ist, der uns auch reichen würde. Wären aber letztendlich dann auch auf diesen anderen Kompromiss eingegangen, den die Bundesregierung, CDU und FDP ja vielleicht doch noch hinkriegen, nämlich sich auf vier Monaten zu begrenzen. Also, von daher hoffe ich, das wir jetzt vernünftig werden und dass wir dann diesen Weg auch vielleicht einschreiten können.

Hatting: Die Vorratsdatenspeicherung bleibt umstritten. Das war Bernhard Witthaut, er ist Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. Danke für das Gespräch, Herr Witthaut!

Witthaut: Bitte schön!


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