Brexit-Angst im Saarland
Viele Jahre war Großbritannien der größte Handelspartner des Saarlandes. Das hat sich geändert – schon die Ankündigung des Brexits schlug ins Kontor. Viele Unternehmen leiden bereits unter Währungsrisiken. Und fürchten nun mögliche Zölle.
Ungewöhnliche Klänge ertönen in den Werkshallen von Ford in Saarlouis. Für den Automobilbauer und seine etwa 7.000 Beschäftigten am saarländischen Standort gibt es etwas zu feiern. Das neue Modell des Mittelklassewagens Focus rollt vom Band. Und es ist, wie könnte es auch anders sein, das bislang beste: Focus "the best" eben.
Seit 1970 baut Ford im Saarland Autos und gerade eben wurden noch einmal 400 Millionen Euro in den Standort investiert. In das neue Modell, das ab September in den Handel kommt, setzen die Beschäftigten viel Hoffnung:
"Top gelungenes Fahrzeug, vor allem die Qualität der Materialien, die jetzt verwendet werden, ist wieder ein, zwei Klassen besser als vorher, das ist mein Empfinden. C’est une belle voiture. Das ist ein schönes Auto, vor allem was das Design anlangt, weniger überladen, dafür aber besser ausgestattet. Wir sind stolz darauf und mit diesem neuen Modell können wir uns überall sehen lassen."
Aus Saarlouis geht jeder dritte Ford nach England
Trotz alledem, die Freude ist nicht ungetrübt. Die in Saarlouis gefertigten Autos werden überwiegend exportiert und eines der Hauptziele des zeitweilig meistverkauften Autos der Welt, des Ford Focus, ist Großbritannien. Betriebsratsvorsitzender Markus Thal:
"In Saarlouis geht jedes dritte Auto nach England. Die Motoren gehen hin und her, kommen in die Karossen - und derzeit von den 80-85 Prozent die wir exportieren, geht jedes dritte nach England, das ist natürlich existenziell, wenn das natürlich in die Hose geht, dann haben wir 30 Prozent weniger Autos, die wir produzieren, und jedes Auto ist ein Arbeitsplatz, das wissen wir auch."
In den Werkshallen in Saarlouis werden Motoren eingesetzt. Sämtliche Dieselvarianten, die Ford in Saarlouis und in Köln einbaut, werden in England gefertigt.
Der Warenaustausch ist hoch. Er betrifft eben nicht nur die fertigen Autos. Und sollten die Lieferbeziehungen von und nach Großbritannien durch den Brexit beeinträchtigt werden, dann werde das Unternehmen damit umgehen müssen. Es helfe aber niemanden weiter, wenn die politischen Verhandlungen immer wieder auf die lange Bank geschoben würden, sagt der Deutschlandchef von Ford, Gunnar Herrmann.
"Wir fliegen zu einem gewissen Grad blind. Und ich bin ganz transparent, die Verlängerung der Übergangsfristen, das ist eigentlich schädlich, damit schieben sie das Problem nach hinten, das erschwert unsere Reaktionszeit, weil sie natürlich immer noch hoffen, aber irgendwann muss man die Reißleine ziehen. Aber okay, damit müssen sie umgehen, das macht das Business aus."
Effizienz, Qualität, Zuverlässigkeit und Flexibilität
Die Beschäftigten setzen derweil auf die klugen Ideen des Managements. Selbst habe man ja leider keine Möglichkeiten, auf die politischen Verhandlungen Einfluss zu nehmen, sagt Betriebsratsvorsitzender Markus Thal. Aber die Belegschaft könne zumindest für gute Rahmenbedingungen sorgen und so auf sich aufmerksam machen, glaubt Thal. Die Stichworte dabei lauteten: Effizienz, gute Ausbildung, Qualität, Zuverlässigkeit und Flexibilität.
"Wenn es für unsere Mannschaft freitags heißt, ihr müsst samstags kommen, dann sind die Leute da, wo haben Sie denn das? Damit gehen wir ins Rennen."
Die Unsicherheit im England–Geschäft wächst. Obwohl sich noch nicht abzeichnet, wie die Trennung Großbritanniens von der Europäischen Union gestaltet wird, haben die Märkte bereits reagiert, sagt Ford-Chef Herrmann.
"Der Markt ist fast um 10 Prozent zurückgegangen im Volumen und dann muss man halt überlegen, was man in einem solchen Markt – wenn es zu den Extremen kommt - am besten verkauft, um einigermaßen profitabel zu bleiben."
Die bloße Ankündigung, dass Großbritannien den Brexit vollziehen möchte, hatte im vergangen Jahr ausgereicht, das britische Pfund auf Talfahrt zu schicken. Ford hat das die Bilanz verhagelt. Die Währungsturbulenzen schlugen sich in Verlusten nieder, erläutert Herrmann.
"Der Verfall des Pfundes trifft uns natürlich relativ stark, weil wir einen hohen Produktionsfaktor in England haben. Dieselmotoren werden in England produziert, das heißt, dieser Kostenanteil drückt auf die Bilanz, das waren 600 Millionen in 2017."
Die Automobilproduzenten präferieren eine Lösung, die dem aktuellen Zustand, einem gegenseitigen Austausch der Güter ohne Zollschranken, am nächsten kommt. Denn wenn es zu einer kompromisslosen Trennung kommt, einem harten Brexit, dann blieben nur die Spielregeln übrig, die von der WTO, der Welthandelsorganisation, gesetzt werden. Dann würde es so richtig teuer, argumentiert Automobilbauer Herrmann.
"Das allein sind Zölle, die dann in einer Größenordnung von einer Milliarde im Jahr aufschlagen."
Die Menschen, die durch die Saarbrücker Innenstadt schlendern, ahnen zumindest, dass der Brexit etwas mit ihnen zu tun haben könnte.
" Ja, das wird Auswirkungen auf’s Land haben. Sicherlich, Stahlindustrie. Also, ich sehe keine direkte Verbindung, wir sind ja jetzt keine Bankenmetropole, also die Bankenbranche, die hätte ich da stärker im Blick gehabt. Das kann ich schlecht beurteilen. Die haben noch nie zu Europa gehört, weil die immer nach Amerika gucken. Und Europa interessiert die nur, wenn sie Vorteile haben. Ich kenn die Beziehungen nicht, die wirtschaftlichen, aber ich habe gelesen, dass wir einige haben, wir werden wohl auch betroffen sein. Das ist noch schwierig einzuschätzen, das wäre die Frage an die IHK, wie viele konkrete Kontakte nach Großbritannien bestehen."
Das Saarland lebt vom Außenhandel
Das Saarland lebt vom Außenhandel, vom Automobil und seinen Zulieferbetrieben. Über Jahre hielt Großbritannien mit einem Handelsvolumen von über zwei Milliarden Euro die Spitzenposition in der Außenhandelsstatistik des Landes. Inzwischen aber haben die Briten Platz eins wieder eingebüßt, erläutert Oliver Groll von der Industrie- und Handelskammer des Saarlandes.
"Nachdem sie von 2012 bis 2016 die Nummer eins waren bei uns, ist im Moment, seit 2017, wieder Frankreich vorne, und das ist eine direkte Folge der Verhältnisse in der Automobilindustrie."
Für 1,3 Milliarden Euro gehen PKW auf die Insel, für weitere 670 Millionen Euro Autoteile. Und auf Platz drei des Exportvolumens steht mit 43 Millionen Euro Schokolade.
Auch bei den Schokoprodukten mache sich der Verfall des Pfundes bemerkbar. Betroffen davon sei insbesondere der Hersteller Ludwig Schokolade, bekannt unter anderem für seine Schogetten, sagt Groll:
"Weil sie liefern in den britischen Einzelhandel, da gibt es eine Art Discount-Kette namens Tesco. Und in dem Lebensmitteleinzelhandel sind die Margen so gering - zehn Prozent Preiserhöhung bei Anlieferung, da ist man raus, da haben sie genug Alternativen, um ihre Saisonschokoladenartikel auch woanders her - sei es aus den USA - zu kriegen."
Das Unternehmen selbst wollte zur Entwicklung seines Englandgeschäftes im Zeichen des Brexits nicht Stellung nehmen. Aber es ist ein Beispiel dafür, dass auch mittelständisch strukturierte Firmen betroffen sein können, obwohl konkret noch gar nichts passiert ist.
Künftig wird es für die Unternehmen darum gehen, sich darauf vorzubereiten, beim Grenzübertritt Zölle und Mehrwertsteuern zu entrichten, das wird der größte finanzielle Brocken sein, den es zu schultern gilt, wenn die Handelsbeziehungen unter veränderten Bedingungen fortgesetzt werden sollen. Allerdings sei auch der Faktor Zeit nicht zu unterschätzen, so Groll.
"Der Zoll wird ja nicht automatisch abgebucht, wenn der Fahrer über die Grenze fährt, sondern da gibt es bürokratische Prozeduren, Voranmeldungen, man muss den Wert genau ermitteln, muss beiden beteiligten Zollbehörden mitteilen, was man gerade wo hinschickt, der Empfänger muss bestätigen, alles Dinge, die bis jetzt nicht nötig sind, und das bedeutet beim Faktor Zeit auch noch einmal erhebliche Mehrkosten."
Spediteure rechnen mit langen Staus
Bei der Spedition Rein in Saarlouis rollen täglich über hundert LKW vom Hof. Geschäftsführer Armin Rein ist Präsident des Landesverbandes des Verkehrsgewerbes. Er zuckt die Achsel hinsichtlich der Brexit-Diskussion und erinnert sich lieber an bessere Zeiten.
"Der Faktor Zeit ist für uns sehr, sehr wichtig. Wir hatten ja bisher innerhalb der EU die Situation mit der Insel, dass wir gerade mal das Wasser zwischen uns hatten, ansonsten war ja freier Verkehr der Waren, so dass wir keinerlei Restriktionen hatten, zum Beispiel mit einem Zollaufenthalt, dass wir an der Grenze stehen mussten, sondern wir konnten frei durchfahren, das ist demnächst nicht mehr."
Im Moment werde in der Branche viel darüber geredet, worauf sich die Speditionen konkret einstellen müssten.
"Natürlich, was ich gehört habe ist, dass man Parkflächen erweitern muss, gerade bei den Zollämtern, weil man einen größeren Stau dort erwartet und man braucht Platz, wenn es sich staut, um die LKW abzustellen."
Auch der Autobauer Ford schaut sich an der Kanalküste nach Parkflächen um, damit Lieferketten nicht unterbrochen werden, sagt Gunnar Herrmann.
"Ja, Sie müssen im Prinzip mehrere Fußballfelder anmieten, um im Schnitt 10.000 Fahrzeuge immer vorrätig zu halten."
Was die Arbeitsplätze anlangt, wagt niemand im Moment eine Prognose. Schließlich sei auch nicht klar, was alles ins Rutschen gerät, wenn Großbritannien die Scheidung vollzieht. Vieles wird davon abhängen, ob die Parteien sich am Ende gütlich einigen können oder nicht.