Wirtschaftskrise in Ägypten

Hoffnungsprojekt Suezkanal

Blick auf die ägyptische Stadt Suez, an der Nordspitze des Roten Meeres und an der Mündung des Suez-Kanals
Blick auf die ägyptische Stadt Suez, an der Nordspitze des Roten Meeres und an der Mündung des Suez-Kanals © picture alliance / dpa / Horst Ossinger
Von Cornelia Wegerhoff |
Ägyptens Präsident Abdel Fattah El Sisi hat den Ausbau des Suezkanals zur Chefsache und zur nationalen Aufgabe erklärt. Die Einnahmen sollen sich mit der zweiten Fahrrinne verdoppeln und das Land aus der Krise führen. Kritiker befürchten jedoch, dass derartige Großprojekte nicht nachhaltig sind.
Mit dem Schlepper unterwegs auf dem Suezkanal. Der Kapitän grüßt Ozeanriesen aus aller Welt. Sein Boot verwandelt sich in eine Nussschale, wenn die Containerschiffe passieren. Über 300 Meter lang sind die ganz Großen, bis zu 20 Stockwerke hoch. Samir Fawzy Ahmed hat auf seiner Kapitänsbrücke schon so einiges zu sehen bekommen.
Kapitän Samir: "Ich arbeite seit 25 Jahren hier. Als ich anfing, waren die Schiffe noch nicht so groß. Heutzutage sind sie ja gigantisch."
Das größte Schiff, das der Ägypter bislang durch den Suez-Kanal begleitete, hatte 18.000 Container an Bord. Oft steht der Name der dänischen Reederei Maersk am Rumpf. Ihren Schriftzug kennen selbst die Kinder am Ufer des Suezkanal sofort.
Über Funk gibt ein Kollege seinen nächsten Einsatz durch. Die PS-starken Schlepper begleiten besonders schwer zu manövrierenden Großschiffe bugsieren sie wieder in die Fahrrinne, wenn sie den Kurs nicht halten konnten.
Bis zu 50 Containerschiffe und Öltanker nehmen täglich die Abkürzung zwischen dem Roten Meer und dem Mittelmeer. Sie sparen sich so gut 4.000 Kilometer Seeweg rund um Afrika. Doch die "Schnellstrecke" zwischen Europa und Asien kostet: Durchschnittlich ca. 280.000 Euro kassieren die Ägypter pro Schiff an Gebühren. Das macht mehr als viereinhalb Milliarden Euro im Jahr. Neben dem Exportgeschäft mit Erdöl und Erdgas ist der Suezkanal Ägyptens wichtigste Devisenquelle. Und er soll noch mehr Geld bringen.
In Zukunft sollen hier doppelt so viele Schiffe unterwegs sein. Der Suez-Kanal wird ausgebaut.
Kapitän Samir: "Der neue Kanal ist ein sehr gutes Projekt. Ich bete für unseren Präsidenten Sisi, dem wir dieses Vorhaben zu verdanken haben. Und ich hoffe, dass wir mit dem Bau – so Gott will - möglichst schnell fertig sein werden."
Captain Samir ist sonst kein Mann der großen Worte, aber dieser Augenblick erfüllt ihn mit Stolz.
Er steuert seinen Schlepper in einen neu errichteten Seitenarm des Suezkanals. Am Ufer tauchen Lastwagen-Kolonnen auf. Und da wo das Salzwasser in der Wüste zu versickern scheint, sind riesige Baggerschiffe zu sehen. Sie heben eine zweite Fahrrinne aus.
Bislang kann der 162 Kilometer lange Suezkanal nur einspurig genutzt werden. Die Schiffe müssen in Gruppen fahren. Gegenverkehr ist nur an Ausweichstellen möglich. Dadurch kommt es zu Wartezeiten. 18 Stunden dauert die Passage. In Zukunft sollen es nur noch elf sein. Möglich wird das durch "den neuen Kanal", wie die Ägypter sagen. Er entsteht parallel zur alten Wasserstraße. 36 Kilometer lang ist der erste Bau-Abschnitt, der gerade ausgehoben wird. Zusätzlich sind Versorgungshäfen, Tankplätze, Industrieanlagen in Planung. Sogar neue Städte sollen hier entstehen. Es ist die größte Baustelle Ägyptens - und Ägyptens große Hoffnung auf dem Weg aus der Krise.
Aus ägyptischen Fernsehen: "Das ist das mutigste Wunder aller Zeiten. Es steht für einen ungeheuerlichen Sprung. Es ist der Bau des Suez-Kanals."
180 Millionen Kubikmeter Wüstensand wurden weggeschafft
Die Werbeabteilung der staatlichen Suez-Kanal-Behörde zieht alle Register. Das Bauprojekt wird von einer Propaganda-Aktion begleitet, die – wie es aussieht - das ganze Land aus dem Phlegmatismus reißen soll. Seit dem Volksaufstand 2011 steckt Ägypten in einer tiefen Wirtschaftskrise. Die politischen Unruhen - erst mit Massenprotesten und Straßenschlachten, heute mit islamistischen Bombenanschlägen - verschrecken Investoren und auch Reisende. Der Tourismus war im Land der Pharaonen bis dato die drittwichtigste Einnahmequelle.
Der Bau des Suez-Kanals wird nun zum nationalen Symbol für den Aufschwung. Zumindest im Werbefilm.
"Es zeigt den Willen der Kinder unseres Landes. Dass sie hart arbeiten wollen und bereit sind alles zu geben: Schweiß und Blut, damit unsere Heimat eine bessere Zukunft hat, für die nächsten Generationen."
Das Motorenbrummen des Schleppers vermischt sich in der Nähe des Ufers mit Baulärm. 180 Millionen Kubikmeter Wüstensand wurden schon weggeschafft, um die zweite Kanalrinne auszuheben, erklärt Tarek Hassanein, der Sprecher der Suezkanal-Behörde.
Tarek Hassanein: "An Land, bei der sogenannten Trockengrabung, arbeiten wir mit Bulldozern und Trucks. Im Wasser graben Schwimmbagger. Dieser Große dort kann bis zu 100.000 Kubikmeter Material am Tag ausheben. Sie sehen, dass von den Baggern aus lange Rohre an Land führen. Darin wird der Schutt zusammen mit dem Wasser weggepumpt. Das feste Material, vor allem Sand natürlich, geht auf die Halden. Das Wasser wird in den Kanal zurück gepumpt."
Mit den Grabungsarbeiten im und am Wasser sind sechs ausländische Spezialfirmen beauftragt worden. Die internationalen Fachkräfte wohnen auf einer Art schwimmenden Hotel, das ganz in der Nähe der Baggerschiffe vor Anker liegt. Zwei Männer winken fröhlich vom Achterdeck, als der Schlepper vorbeifährt.
Insgesamt sind 40, vor allem ägyptische Unternehmen an dem Konsortium beteiligt. Die Bauleitung haben Ingenieure des Militärs.
Tarek Hassanein: "Bei den Trockengrabungen arbeiten insgesamt 20.000 Menschen mit."
... sagt Tarek Hassanein – Sprecher der Suez-Kanal-Behörde - und wagt den ganz großen Vergleich:
"So wie die alten Ägypter, die Pyramiden gebaut haben, bauen wir den neuen Suezkanal."
Da ist er wieder: Der Nationalstolz, der Pathos. Eine Verherrlichung des Bauprojektes, das auf Fremde völlig übertrieben wirkt. Sogar im zwei Stunden entfernten Kairo hängen riesige Werbeplakate an den großen Zufahrtsstraßen - mit den Baggern und Lastwagen, die den Sand wegschaffen, mit Bauhelm tragenden Ingenieuren, die emsig Pläne studieren; und immer in Großaufnahme: Abdel Fattah al Sisi, Ägyptens Präsident, mit zuversichtlichem Blick. Er selbst hat den Ausbau des Suezkanals im vergangenen August zur nationalen Aufgabe hochstilisiert, zur dringlichen Chefsache. Damals kam es in Ismailia, dem Sitz der Suez-Kanal-Behörde, zu einer Szene, die das ägyptische Fernsehen seither schon unzählige Male wiederholt hat.
Admiral Mohab Mamisch, der altehrwürdige Chef der Suez-Kanal-Behörde, erläutert dem Staatspräsidenten und geladenen Gästen die Baupläne. Um 259 Prozent könnten die Einnahmen gesteigert werden, wenn der Kanal in beiden Richtungen zugleich befahren könnte, rechnet Mamisch vor. Aber man brauche noch 36 Monate, bis der ersten Abschnitt des neuen Suezkanals fertig sei.
Plötzlich gerät Mamisch ins Stocken. Der Präsident gestikuliert. Typisch ägyptisch wischt sich Sisi - wie nach getaner Arbeit - die Hände aneinander ab. Das Zeichen dafür, das etwas erledigt ist. Dann hält Sisi nur einen einzigen Finger hoch.
Präsident Sisi: "Ein Jahr!"
... ordnet der ehemalige Militärchef freundlich lächelnd an. Admiral Mamisch ringt um Fassung, doch in ihm steckt immer noch der zackige Soldat von früher...
Admiral Mamish: "Ein Jahr. Wird gemacht, der Herr."
Präsident Sisi: "... so Gott will."
...fügt der Staatspräsident und fromme Moslem Sisi an. Schon im kommenden August soll der erste Bau-Abschnitt des zweispurigen Suezkanals fertig sein. Bisher sind die Bauarbeiten im Plan.
Sayed: "Ja, das war eine Überraschung für das ägyptische Volk."
Auch Sayed hat die legendäre Szene schon mehrfach gesehen und die damit verbundene Botschaft verinnerlicht.
Sayed: "Wir wünschen uns, dass dieses Projekt pünktlich fertig wird und dass unser Land so wieder stabil wird."
Sayed ist seit vier Jahren arbeitslos. Der 40-Jährige sitzt an der Uferpromenade von Ismailia und blickt bei einem Glas Tee auf den Suezkanal. Früher hat er Touristen hierher gebracht. Sayed war Busfahrer für ein Reiseunternehmen.
Sayed: "Das mit dem Tourismus ist jetzt ein Problem. Die Urlauber wollen in einem Reiseland Stabilität und Sicherheit. Wenn wir den Terrorismus in den Griff bekommen, dann werden sicher wieder mehr Touristen kommen. Dann haben wir den Suez-Kanal und den Tourismus und es geht wieder aufwärts."
Sayed versucht den gleichen Optimismus auszustrahlen wie die staatlichen Propaganda-Filme. Doch auf die Frage, wann es denn wohl aufwärts geht, ist er ratlos:
Sayed: "Weiß Gott, wann... Wir können ja nur hoffen. Wir leiden seit vier Jahren unter dieser harten Situation. Die Idee der Revolution war ja an sich gut, aber was daraus geworden ist... damit haben wir nicht gerechnet. Die Ziele der Revolution waren Freiheit, soziale Gerechtigkeit, ein besseres Leben für alle. Das alles wurde bis jetzt nicht erfüllt."
Lage hat sich seit dem Sturz von Mubarak verschlechtert
Im Gegenteil: Wirtschaftlich hat sich die Lage Ägyptens seit dem Sturz von Langzeitdiktator Mubarak drastisch verschlechtert. Der marode Staat hält sich nur noch mit Hilfe von Geldgebern aus den Golfstaaten über Wasser. Seit dem Sturz des islamistischen Präsidenten Mursi unterstützen Saudi-Arabien, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate die neuen Machthaber in Kairo. Damit das Geld reicht, werden Subventionen auf Benzin und Diesel, Gas und Strom schrittweise abgeschafft. Das trifft vor allem die Armen. Und das ist die Mehrheit am Nil. Nach Angaben der Weltbank muss jeder vierte Ägypter mit weniger als einem Euro am Tag auskommen. Die Inflationsrate beträgt zehn Prozent. Auch für Sayeds Familie hat das schwerwiegende Konsequenzen:
"Ich habe inzwischen mein Auto verkauft. Und meine Kinder habe ich von der Privatschule abgemeldet. Ich musste die Kosten einfach reduzieren. Die staatliche Schule, auf die sie jetzt gehen, ist kostenlos. Ich selbst habe schon seit Monaten kein Fleisch mehr gegessen. Aber was kann ich tun? Wir müssen geduldig sein und aushalten."
Dass der ägyptische Tourismus außerhalb der Badeorte am Roten Meer fast vollständig zusammen gebrochen ist, hat viele Ägypter den Job gekostet. Offiziell liegt die Arbeitslosenquote bei 13 Prozent. Doch bei der jungen Generation sind es bis zu 40. Auch Souvenirhändler Abdul Aliem hat seine beiden jungen Angestellten entlassen müssen. Mit 75 Jahren steht der Ägypter jetzt wieder selbst in seinem Souvenirladen in Kairo. Seine Rente ist zu klein, um in diesen Zeiten über die Runden zu kommen.
Abdul Aliem: "Nofretete, Tutanchamun: Ich hab alles da, als Schmuck, als kleine, als große Statue. Früher sind hier viele Touristen ein- und ausgegangen. Jetzt sitze ich nur noch 'rum. Ich habe mein Geschäft seit 1954. Die Zeit jetzt ist die schlimmste, die ich je erlebt habe. Während des Sechs-Tage-Krieges 1967 mit Israel hatten wir auch nicht viele Touristen, aber wir hatten unser Auskommen. Jetzt gibt´s gar nichts mehr."
Der Souvenirverkäufer zwei Läden weiter hat einen Teil seiner Pharaonenstatuen aus Gips und Alabaster sogar weggeräumt. Stattdessen steht nun ein Kühlschrank gleich am Eingang.
Souvenirverkäufer: "Die eine Hälfte des Geschäftes ist jetzt ein Kiosk mit Cola und anderen Erfrischungsgetränken. Der Tourismus ist zu schwach. Meine Angestellten sind weg. Es gab keine Arbeit mehr für sie."
Draußen vor der Tür fahren Polizeiwagen zum Einsatz. In den Nachrichten heißt es später, dass an einer U-Bahn-Station eine Bombe entschärft werden musste. Der islamistische Terror trägt seinen Teil dazu bei, dass Ägypten ein Krisenland ist.
Doch Präsident Sisi will diesen Zustand beenden: Mit harter Hand gegen die Staatsfeinde und mit der Ausschreibung von 34 weiteren Mammut-Projekten: Eine Millionen Wohnungen sollen gebaut werden, 3.200 Kilometer neue Straßen, Kraftwerke, eine Trasse für einen Hochgeschwindigkeitszug. Sogar eine komplett neue Hauptstadt soll vor den Toren Kairos entstehen.
Kritiker befürchten, dass die Fixierung auf Großprojekte schnelles Geld bringt, aber keine nachhaltige Beschäftigung.
Am neuen Kanal wird rund um die Uhr gearbeitet
Bei der großen Investorenkonferenz in Sharm El Scheich rührte Sisi nichtsdestotrotz die Werbetrommel. Vor Ministern und Konzernführern aus aller Welt meldete sich Ägypten zurück auf der internationalen Wirtschaftsbühne. Den neuen Suezkanal präsentierte Sisi als "Geschenk an die Welt." Denn die umgerechnet rund 7,5 Milliarden Euro Baukosten stemmen die Ägypter – trotz allem - aus eigener Kraft.
Ägyptische Oma: "Ich habe gerne mein Gespartes für dieses Projekt gegeben. Und wenn ich sterbe, bevor sie mir Zinsen zahlen, kann ich für mein Land darauf verzichten. Gott helfe Dir, Präsident."
So begeistert wie diese alte ägyptische Dame haben Hunderttausende für den neuen Suezkanal ihre eisernen Reserven locker gemacht. Für umgerechnet 110 Euro konnten sie sich einen Anteilsschein am "großen ägyptischen Traum", wie es hieß, kaufen. Zwölf Prozent Zinsen wurden versprochen. In nur acht Tagen kamen acht Milliarden Euro zusammen, eine halbe Milliarde mehr als nötig. Nationalstolz und Pathos haben sogar Ägyptens Sparstrümpfe zum Vorschein gebracht.
Und zumindest am Suezkanal gibt es wieder Zuversicht. Ahmed ist 23 Jahre alt und arbeitet als Matrose auf dem Schlepperboot:
Ahmed Hassan: "Am neuen Kanal wird rund um die Uhr gearbeitet. Egal wann wir hier vorbeikommen. Alle, die ich kenne, arbeiten am Suezkanal. Egal, ob bei der Baustelle oder außerhalb. Und ganz gleich was wir tun, ob als Ingenieur, Kapitän, Arbeiter oder Matrose.Jeder von uns hat das Gefühl, dass er etwas Gutes für unser Land tut."
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