Das Ende des Schwarzen Adler
Eigentlich gehört ein Wirtshaus zum Dorf dazu. Doch schätzungsweise ein Viertel aller Gemeinden hat inzwischen keine Gaststätte mehr - die noch bestehenden kämpfen ums Überleben. In Bayern ist das Wirtshaussterben ein großes Thema - doch es gibt auch Hoffnung.
"Das Haus selber ist soviel ich jetzt weiß schon 1789 erwähnt."
Karola Fichtel, die Wirtin des Schwarzen Adlers in Engelmeß.
"Und 1900 haben es eben die Urgroßeltern meines Mannes gekauft – und so wie es jetzt steht. Also das ist dann eigentlich nicht mehr verändert worden."
Verändert hat sich allerdings das Dorf – und die Kundschaft. Früher kamen die Bauern auf ein abendliches Bier in den Dorfgasthof. Doch heute gibt es in Engelmeß nahe Bayreuth keinen einzigen Bauern mehr – und auch keinen täglichen Stammtisch.
"Unter der Woche kommt niemand mehr. Außer halt wie heute jetzt Freitagabend und Sonntagabend, das ist halt bei uns jetzt so eingeführt, dass offen ist. Da kommen dann so einige wenige Stammgäste. Und da wir im Dorf einen Schützenverein haben, die dann in unserem Saal oben auch schießen alle zwei drei Wochen ungefähr – das ist dann nächsten Freitag wieder –, kommt dann auch zu uns der Schützenverein; und da ist dann auch das Wirtshaus voll – also die sind immer 20, 30 Leut‘."
Dankbare Schafkopfrunde
Der Niedergang der Gastronomie auf dem Dorf – in vielen Gemeinden ist er längst geschehen. In Engelmeß hat er sich über Jahrzehnte angekündigt.
"Ich glaube, dass es so Anfang der 70er-Jahre war – servus! – wo halt einfach die Leute nicht mehr diese Landwirtschaft gemacht haben – servus! –, sondern halt nebenher noch berufstätig waren. Der Papa von meinem Mann, also mein Schwiegervater, der – servus! –, also der hat Landwirtschaft gemacht und hier die Wirtschaft. Und hat dann als mehr oder weniger drittes Standbein beim Hartmetallwerk Hertel in Mistelgau noch Schichtbetrieb gearbeitet, weil halt einfach das Wirtshaus als Familienernährung nicht ausgereicht hat."
Punkt 19 Uhr treffen hintereinander die vier Gäste ein, die jeden Freitag kommen. Und zwar zum Karteln. Eine Schafkopfrunde in einem Wirtshaus spricht eigentlich für sich. Auch, wer nichts von dem süddeutschen Kartenspiel versteht, dürfte erahnen, dass es sich beim Spiel dieser vier Männern um sehr viel mehr handelt als um die Centstücke auf ihren Untertellern.
Die Runde sitzt seit Jahren zusammen. Vor sich das Glas Bier oder die Weinschorle. Am Nebentisch Wirtin Karola Fichtel, die ihnen mit ihren fröhlichen blauen Augen stundenlang zuschauen kann. Und eigentlich geht es ihr und ihrem Mann Rainer nur noch darum:
"Also, jetzt müsste ich als Wirt auch sagen, Mensch, wenn ich jetzt fünf Stunden dasitze – nehmen wir nur mal eine geringe Summe, 15 Euro, oder Mindestlohn, ja sagen wir mal 15 Euro. Das kriege ich ja nie zusammen. Nie und nimmer. Jetzt ist es halt so, dass es halt einfach unsere Passion ist, weil wir sagen: Uns ist es egal. Wir rechnen jetzt auch unsere Stunden nicht auf. Es ist halt so."
In der Schafkopfrunde schätzt man die Fichtels darum umso mehr.
"Es ist nicht selbstverständlich, dass sich die Wirtsleute bis um halb zwölf hier mit hersetzen und gelegentlich auch einmal aufheben, wenn einer raus muss. Und man muss bedenken, sie müssen wegen uns vieren im Winter heizen. Das ist überhaupt nicht selbstverständlich und dafür sind wir sehr dankbar."
Für politische Lobbyarbeit instrumentalisieren
Nicht, dass Frau Fichtel nur zur Aushilfskartlerin taugen würde. Die Hobbywirtin, die hauptberuflich im Technikteam der Uni Bayreuth arbeitet, könnte das Wirtshaus auch in Vollzeit schmeißen.
"Ich will jetzt nicht mich selber loben oder was, aber so unter der Hand werde ich immer so als Sauerbratenkönigin tituliert, weil ich angeblich einen guten Sauerbraten koche – da bin ich auch stolz drauf. Ja, die sagen, du bist eine richtige Wirtin – und ich glaube auch, wir tragen uns ja mit dem Gedanken, weil wir Ende des Jahres dann wirklich – leider – die Türen zusperren und die Lichter auslöschen."
Nach 40 Jahren sagt auch Karola Fichtel: Es lohnt sich nicht mehr. Nächsten Winter wird auch das oberfränkische Engelmeß ein weiterer roter Punkt sein auf der Landkarte der wirtshauslosen Gemeinden. Das Problem ist eklatant.
"Unsere Dorfwirtshäuser, die das Bild Bayerns ausmachen, die das Gesicht mach… bilden, sind vom Wirtshaussterben betroffen."
Sowas lässt sich gut für politische Lobbyarbeit instrumentalisieren. Anfang April demonstriert der Hotel- und Gaststättenverband, kurz Dehoga Bayern, deswegen sogar durch München. Doch diese Demonstration endet – kein Witz – in einem Bierzelt.
Die Musik deutet es an – man hat hohen Besuch: Zum Defiliermarsch zieht nur ein König ein – oder ein Ministerpräsident. Eine Gelegenheit für Dehoga-Bayern-Chefin Angela Inselkammer, der Politik mal so richtig die Meinung zu sagen. Aber Moment …
"Sie haben auch gesagt, Sie würden sich für uns einsetzen, sobald Sie die Möglichkeit hätten. Danke, dass Sie es, so scheint es mir in Ihrer Regierungserklärung, verstanden haben. Machen Sie bitte weiter so."
Zufälligerweise ist gerade Wahlkampf und zufälligerweise hat schon einige Tage zuvor Markus Söder ein Wahlkampfgeschenk an den Hotel- und Gaststättenverband springen lassen.
"Wir wollen in der Tat, meine Damen und Herren, wir wollen in der Tat – ein Investitionsprogramm auflegen. Aber nicht 60 Millionen auf vier Jahre, sondern wir fangen mit 30 Millionen in diesem Jahr an, meine sehr verehrten Damen und Herren."
Angela Inselkammer und die Wirte sind begeistert.
"Wenn heute eine kleine Gaststätte investieren möchte, um erfolgreich weiterwirtschaften zu können, werden 25 Prozent der Investitionen gefördert. Und das ist wirklich ein großartiges Geschenk, was sicher vielen wieder Mut macht."
"Mit dem Wirtshaus stirbt der Dorfmittelpunkt"
Investieren mit Förderung – wie kommt das bei den Fichtels an, 236 Kilometer nördlich von München?
"Dann müsste man sagen, ich baue eine neue Küche, ich baue den Kühlraum neu, die CO2-Warnanlage und mache Vollzeit Wirtshaus. Aber wer will das? Das will kein Mensch. Meine Söhne – der große ist Lehrer, der Kleine arbeitet in der Uni. Die eine Schwiegertochter ist Lehrerin, die andere ist in der Geschäftsführung, also die wollen nicht den ganzen Tag Wirtshaus machen."
Zumal man ein Wirtshaus ja auch gut anders nutzen kann. Der Sohn möchte es umbauen und dann mit seiner Familie einziehen.
"Mein Mann ist seit Januar jetzt im Ruhestand, der ist 63. Und ich hab zwar noch drei, vier Jahre zu arbeiten, aber irgendwann kommt halt das Alter, wo man sagt: Es ist ein Glücksfall, wenn die Kinder wieder ins Haus ziehen, beziehungsweise wenn das große Haus belebt ist."
Gerade weil die Welt der Fichtels noch ziemlich in Ordnung ist, verliert Engelmeß seinen Gasthof. Und das beschäftigt mittlerweile auch den Ort selbst.
"Die haben jetzt schon eine … oder mehrere Krisensitzungen abgehalten und haben es genannt: 'Zukunft unseres Dorfes'. Weil mit dem Wirtshaus natürlich auch der Mittelpunkt des Dorfes stirbt."
Vereine haben keinen Ort mehr für ihre Jahreshauptversammlung. Und auch die Schützen, die oben im Saal trainieren, müssen bald raus. Engelmeß überlegt nun, ob es einen Gemeindesaal baut. Ein Dorf ohne Wirtshaus verliert ein Stück seiner Identität – und auf jeden Fall jede Menge Gaudi.
264 Kilometer weiter südlich, vor seinem Schuppen in der Sonne sitzt in seiner Strickjacke Anton Ücker.
"Früher, da ist alle 14 Tage Tanz gewesen. Da ist es zugegangen ... Und gerauft ist worden, alles (lacht.) Aber… mei."
Anton Ücker, 92 Jahre alt, wäre auch heute noch dabei, beim Stammtisch – und beim Raufen. Aber das Alter …
"I bin nimmer so mobil."
Zudem hatte der Gasthof in seinem Dorf Unering zwischen dem Starnberger und dem Ammersee jetzt über längere Zeit zu. Ein Gasthof, der mal ganz gut lief.
"Man ist halt da in den Frühschoppen am Sonntag und dann zum Dämmerschoppen. Wenn es auch nicht viele waren, aber … Und Fremde sind auch viele gekommen. Im Sommer. Die haben da noch eingekehrt. Weil man hat eigentlich ganz gut essen können und billig, gell?"
Neues Leben in der Dorfwirtschaft
Der Wirt des Gasthof Schreyegg fand keine Angestellten. Und machte schweren Herzens dicht. Doch an diesem Tag im Frühling tut sich was im Innern der Wirtschaft. Die neuen Pächter Cathy Tallman und Andreas Pröls haben gerade ihre Konzession bekommen.
"Wir sind jetzt wirklich, wie man sagt, heiß endlich loszulegen nach all dem ganzen formalen Vorspiel, das sich jetzt schon Wochen hingezogen hat: Vertragsübernahme von Kassensystem, über EC-Karten-Reader, über Telefonanschluss, alles was eben dazugehört und notwendig ist. Und dann können wir uns dann der eigentlichen Aufgabe widmen, nämlich unseren Gästen ein ordentliches Essen und schönes Ambiente zu bieten."
"Mmmh. Und die leckeren Schnäpse..."
Das Paar hat sich in der Studienzeit kennengelernt, im nahen München – schon damals haben sie in der Gastro gejobbt. Sie machen sich deshalb keine Illusionen über die Arbeit – weder vom Kellnern noch von den bürokratischen Vorschriften.
"Wir sind jetzt keine 20-Jährigen, die sich mal so über Nacht überlegt haben, jetzt machen wir mal eine eigene Kneipe auf oder so, ja? Das ist langer Überlegung geschuldet."
Der Gasthof Schreyegg liegt günstig – mitten im Ausflugsgebiet der Münchner – auf dem Wanderweg zum Kloster Andechs. Und auch Stammtische existieren. Gute Voraussetzungen also, um neues Leben in die Dorfwirtschaft zu bringen – und damit Leben in das Dorf.
"Es ist ja so. Es gehört da irgendwie eine Wirtschaft dazu."
Es ist nur nicht mehr selbstverständlich. Weiß auch Anton Ücker mit seinen 92 Jahren. Und blickt trotzig die leere Dorfstraße hinunter.