"Die Erde ist hohl und im Innern bewohnbar"
Über die innere Struktur unseres Planeten haben die Forscher lange gerätselt. Eine sehr kuriose Theorie legte 1818 der Amerikaner John Cleves Symmes vor: Sie hat Schriftsteller wie Jules Verne und Arno Schmidt inspiriert.
"An alle Welt! Hiermit erkläre ich, dass die Erde hohl und im Innern bewohnbar ist. Sie besteht aus ineinander geschachtelten Kugelschalen und besitzt Öffnungen an beiden Polen. Für diese Wahrheit verpfände ich mein Leben, und ich bin bereit, die hohle Erde zu erforschen, sofern die Welt mich bei diesem Unternehmen unterstützt."
So hat es John Cleves Symmes Junior am 10. April 1818 in seinem "Zirkular Nummer 1" verkündet. Der einstige Hauptmann der Infanterie in der US-Armee lebte in St. Louis im Missouri-Gebiet und war von der Idee begeistert, dass die Erde kein massiver Körper sei. Für ihn bestand unser Planet aus mehreren unterschiedlich großen Kugeln, die wie russische Püppchen ineinander geschachtelt sind – und denen oben und unten die Kappen fehlen. Voller Tatendrang wollte er seine Theorie mit Hilfe einer Expedition belegen.
Wagemutige Begleiter gesucht
"Ich suche hundert wagemutige Begleiter, die mit mir gemeinsam im Herbst von Sibirien aus mit Rentierschlitten auf das gefrorene Polarmeer vorstoßen. Jenseits von 83 Grad nördlicher Breite werden wir warme Regionen erreichen, in denen die Pflanzen blühen und vielleicht sogar Menschen wohnen. Wir kehren im nächsten Frühling zurück."
Zwar hat der eifrige Hobbyforscher 500 Kopien seines Zirkulars an Politiker, Zeitungsredaktionen und Königshäuser in aller Welt geschickt. Doch seine Theorie löste allenfalls spöttische Reaktionen aus – manche machten bei ihm eine übersprudelnde Phantasie aus, andere hielten ihn für komplett verrückt. Die erhoffte Expedition kam nie zustande. Dabei hat John Cleves Symmes nur einen Gedanken aufgegriffen, den kein Geringerer als Edmond Halley, später Königlicher Astronom in England, schon 1692 formuliert hatte, also mehr als hundert Jahre zuvor:
"Die Bewegung des Mondes lässt sich ganz einfach verstehen, wenn wir annehmen, dass vier Neuntel des Erdinnern hohl sind. Die Erdoberfläche ist etwa fünfhundert Meilen dick, darunter kommt nach einer ebenso dicken Luftschicht eine weitere Kugel, in der wiederum eine dritte Kugel steckt."
Ein Leuchten im Erdinnern?
Edmond Halley hatte wenige Jahre zuvor dem Physiker Isaac Newton die Veröffentlichung von dessen Gravitationstheorie finanziert. Auf Grundlage dieser Theorie hatte Newton die Massen von Erde und Mond abgeschätzt, war dabei allerdings von falschen Annahmen ausgegangen. Edmond Halley hielt einen Fehler Newtons für ausgeschlossen und kam so auf den Gedanken, dass die Erde hohl sein müsse. Zudem erklärte Halley auf diese Weise die Veränderungen im irdischen Magnetfeld. Für ihn spiegelte die Wanderung der magnetischen Pole die unterschiedliche Drehung der Erdschalen wider. Vom Inneren unseres Planeten hatte er sehr genaue Vorstellungen:
"Die verschiedenen Erdschalen können alle bewohnt sein, denn im Erdinnern gibt es ein Leuchten ähnlich unserem Sonnenschein. Gelegentlich dringt dieses Leuchten durch Risse nahe den Polen nach draußen: Das sehen wir dann als Polarlicht."
John Cleves Symmes und Edmond Halley haben beide Wissen durch viel Phantasie ersetzt. Doch während Symmes für seine Ideen verspottet wurde, hat die hohle und gar im Innern beleuchtete und bewohnte Erde dem Ansehen Edmond Halleys keineswegs geschadet. Er machte Karriere und berechnete schließlich die Bahn des später nach ihm benannten Kometen. Zwar war Halley zeitlebens von der Idee der hohlen Erde überzeugt, aber mit seinem Tod 1742 schien diese Theorie passé zu sein – bis John Cleves Symmes sie vor zweihundert Jahren wieder aufleben ließ.
Wo die Toten weiterleben
Da war dieses Gedankenkonstrukt allerdings so aus der Zeit gefallen, dass es kaum jemand ernst genommen hat, erklärt der Physiker David Walker vom Förderverein der Hamburger Sternwarte:
"Es hat in der Literatur sicherlich eine gewisse Rolle gespielt, aber in der wissenschaftlichen Astronomie eigentlich niemals. Da fällt mir natürlich Jules Verne ein, der da sicher sehr kreativ war, solche Geschichten zu erfinden."
So abwegig die Idee des John Cleves Symmes damals auch gewesen ist – sie hat zumindest einige Autoren inspiriert. In Jules Vernes "Reise zum Mittelpunkt der Erde" steigt eine Expedition ins hell erleuchtete Innere unseres Planeten hinab – und in Arno Schmidts Satire "Tina oder Über die Unsterblichkeit" leben die Toten im Innern der Erde weiter, solange sich an der Oberfläche jemand an sie erinnert.
Literarisch sind der hohlen Erde damit wunderbare Denkmäler gesetzt – doch wissenschaftlich war diese Idee ein Irrtum.