Autark unter der Wasseroberfläche
Im Testbecken des Forschungszentrums DFKI in Bremen "lernen" Tiefseeroboter, selbstständig in bis zu 6000 Meter Wassertiefe zu arbeiten. Sie sollen unter anderem Pipelines unter Wasser inspizieren.
Wie ein Raumgleiter zieht "Dagon" seine Runden durchs Wasser, immer wieder stoppt der knallgelbe Tiefseeroboter, scannt seine Umgebung und zieht dann weiter. Nicht weit davon entfernt sucht ein anderes zigarrenförmiges Unterwassergefährt mittels roten Lasers den Meeresgrund ab. Dort ist schemenhaft ein verzweigtes, rohrartiges Gebilde zu erkennen. Exakt an dieser Stelle stoppt auch der Tiefsee-Roboter "Avalon" und lässt seinen Laser einmal komplett über die Rohre fahren.
Marc Ronthaler ist sichtlich zufrieden mit der Arbeit seiner elektronischen Schützlinge. Der stellvertretende Leiter des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz in Bremen steht an der Wasseroberfläche und überwacht mit seinem Team die Arbeit der Roboter.
"Sie sehen hier unten eine Pipeline, die wir hier verlegt haben, die so etwas im Schwung läuft. Und Sie sehen, dass diese Pipeline an einigen Stellen ein wenig überspült ist. Da ist Sand drüber geschwemmt worden, an anderen Stellen ist sie unterspült, da hängt sie so ein bisschen in der Luft, was 'ne Pipeline natürlich nicht sollte, weil die ist mit Öl oder Gas oder anderen Dingen gefüllt. Und ein System wie Dagon oder auch Avalon, die fahren diese Pipeline nun ab, und das ist eine Routine-Aufgabe.
Und diese Fahrzeuge können erkennen, an welcher Stelle eventuell ein Problem besteht, und wenn eine solche Stelle identifiziert wird, dann kann dieses Fahrzeug einem anderen Fahrzeug mitteilen: Hier, Problem, eingreifen! Oder vielleicht auch einfach nur näher inspizieren. Ich, Dagon, habe meinen Job gemacht, aber an diesen Stellen, da müsste jetzt ein Mensch hin, oder ein Spezialfahrzeug müsste jetzt einen Einsatz fahren an dieser Stelle."
Marc Ronthaler spricht im Konjunktiv – denn das Ganze ist eine Trainingsfahrt für Dagon und Avalon, die Rohre sind lediglich das rund acht Meter lange Modell einer Öl-Pipeline - auch nicht in der Tiefsee, sondern im neuen Bremer Testbecken für Unterwasserrobotik: 20 mal 24 Meter groß, acht Meter tief, gefüllt mit 3,4 Millionen Litern Salzwasser – einzigartig in Europa, sagt Marc Ronthaler. Derweil zieht es die Unterwasser-Roboter schon weiter zum nächsten Trainingsobjekt des Bassins:
"Hier weiter links, in Richtung des Fensters im Becken, da haben wir eine Höhle nachgebaut, oder eine felsartige Struktur nachgestellt, das könnte eine Struktur sein, die für Meeresforscher, aber auch für Explorateure aus der Industrie interessant ist, die dort schauen wollen, ob sich dort Bodenschätze befinden, oder ob dort seltene Lebewesen, Pflanzen wachsen...."
Kommunikation zum Mars ist leichter als in die Tiefsee
In der Höhle verrichtet der dritte Roboter im Bunde seinen Dienst: "Orion" sieht aus wie ein dreiarmiger Seestern und hat es auf ein gelbes Plastikobjekt am Grund abgesehen – bei einem realen Einsatz könnte das auch eine Gesteinsprobe oder eine wertvolle Manganknolle sein. "Orion" nimmt das Plastikteil mit einer seiner Metallkrallen auf und bringt es an die Wasseroberfläche.
Der Clou an der Sache: Alle Roboter arbeiten autonom, müssen also nicht per Joystick gesteuert werden. Experten wie Marc Ronthaler sprechen von einem "AOV", die Abkürzung für "Autonomously Operated Vehicle".
"Heute, auf den Weltmeeren, auf den Offshore-Feldern von Öl und Gas haben wir die Situation, dass Menschen auf einem Schiff sitzen mit einem Joystick in der Hand und acht Stunden lang auf einen Bildschirm schauen und sich ansehen, wie ein ferngesteuertes Fahrzeug diese Pipeline von oben inspiziert – extrem langweilig, sehr, sehr anstrengend, und wahrscheinlich ist die einzig interessante Stelle gerade dann, wenn der Bediener gerade auf Toilette gehen muss."
Nicht nur Menschen, auch Maschinen müssen ihre Einsätze möglichst realitätsnah trainieren, denn die widrigen Bedingungen der Tiefsee machen Orion und Co. das Leben schwer. Immerhin herrscht in 6000 Metern Tiefe ein Druck von rund 600 bar – das entspricht einem Gewicht von rund 600 Kilogramm, das auf jedem Quadratzentimeter von Unterwasserfahrzeugen lastet, erklärt Marc Ronthalers Kollege Jan Albiez, Experte für Unterwasserrobotik am DFKI:
"Unterwasserautonomie ist, sage ich mal, die Krone der autonomen Systeme, weil man fast gar nicht damit kommunizieren kann. Also das ist vergleichbar mit irgendwelchen Deep-Space-Sonden, schon gar nicht mehr vergleichbar mit dem Mars, also zum Mars haben sie eine viel bessere Kommunikationsstrecke, das kann auch anhalten."
Wartungsarbeiten an Offshore-Windkraftanlagen
Die Grundvoraussetzungen sind aber im neuen Testbecken gar nicht grundlegend anders als in der Tiefsee, betont Marc Ronthaler:
"Wenn Sie es schaffen ein autonomes Fahrzeug hier in diesem Becken bei acht Meter Tiefe zu betreiben, dann schaffen Sie es, wenn Sie die technischen Herausforderungen kennen, auch in 6000 Metern Tiefe."
Außer Höhlenlandschaft und Pipeline haben die DFKI-Ingenieure noch das dreibeinige Fundament einer Offshore-Windkraftanlage nachgebaut. Dort trainieren die autonomen Roboter Wartungsarbeiten, die bislang auf hoher See noch von Tauchern übernommen werden. Zu guter Letzt ist an einer Wand des Testbeckens eine Art Tresortür mit Hebeln und Rädern installiert – das nachgebaute Control-Panel der Ölplattform "Deep Water Horizon", die 2010 im Golf von Mexiko explodierte. Marc Ronthaler vom DFKI ist sicher, dass der autonomen Unterwasserrobotik gerade auf diesem Feld die Zukunft gehört:
"Meine Prognose ist, dass Systeme wie "Dagon" in zehn Jahren zur Standardausrüstung von Öl- und Gasplattformen allgemein gehören werden, weil die Betreiber einfach wissen wollen: Wie geht es meiner Anlage unter Wasser? Ich habe Milliarden investiert in diese Industrieanlage, und ich möchte wissen: Was geht da unten vor, was muss ich tun, um meine Investition zu sichern?"
Fragen auf diese Antworten zu finden – dabei soll künftig auch das neue Testbecken des DFKI in Bremen helfen.