Die Physik und die unsterbliche Seele
Theologen wissen, dass sie über Mysterien schreiben. Und auch Physiker räumen ein, dass sie immer weniger verstehen, je tiefer sie in ihr Fachgebiet eindringen. Warum, so fragt der Journalist Rolf Froböse, sollten sich Theologen und Naturwissenschaftler nicht eines Tages darin treffen, das präzise zu beschreiben, was für beide nicht fassbar ist.
"Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaften macht atheistisch, aber auf dem Grund des Bechers wartet Gott." So hatte es der Physiker und Nobelpreisträger Werner Heisenberg vor rund 50 Jahren einmal formuliert. Für Heisenberg waren Wissenschaft und Religion nicht unvereinbar. Damit war er seiner Zeit weit voraus.
Inzwischen sind zahlreiche Wissenschaftler, vor allem Physiker, von der Existenz einer unsterblichen Seele überzeugt. Das unsterbliche Bewusstsein – so die These – sei genauso wie Raum, Zeit, Materie und Energie ein Grundelement der Welt.
Ausschlaggebend für die revolutionäre Wende waren Untersuchungen sogenannter paranormaler Phänomene. Bisher wurden diese mit einem Tabu belegt. Die moderne Quantenphysik nun könnte eine Brücke zwischen der Wissenschaft und dem Übernatürlichen bauen – und zwar mit Hilfe des Verschränkungsprinzips. Dieses besagt, dass zwei Teilchen, die einer gemeinsamen Quelle entstammen, über eine spukhafte Fernwirkung verbunden bleiben.
Vor fünf Jahren hatte der Genfer Physiker Nicolas Gisin Aufsehen erregt. Mit einem Experiment am Forschungszentrum CERN wies er nach, dass der Informationsaustausch zwischen verschränkten Teilchen simultan erfolgt – und das völlig unabhängig von der Entfernung.
Teilchen im Universum könnten sich wechselseitig beeinflussen
Also ist es möglich, so die Schlussfolgerung, dass sich Teilchen seit dem Urknall im gesamten Universum wechselseitig beeinflussen und jeder von uns an diesem Dialog aktiv teilnimmt. Damit stehen wir, so meine ich, an der Schwelle einer neuen Epoche. Unser Weltbild könnte sich von Grund auf ändern. Generationen von Naturwissenschaftlern und Philosophen fragten sich immer wieder, ob sie über die Wissenschaft zur Religion gelangen könnten – bislang ergebnislos. Doch das könnte sich jetzt ändern – durch die Quantenphysik.
"Du kannst nicht von Gott reden, weil Gott eigentlich das Ganze ist. Und wenn er das Ganze ist, dann schließt es Dich mit ein.“ Dieses Zitat stammt von keinem Theologen, sondern von dem Münchner Physiker Hans-Peter Dürr. Und der Schüler Werner Heisenbergs fügt hinzu: "Was wir Diesseits nennen, ist im Grunde die Schlacke, die Materie, also das, was greifbar ist. Das Jenseits ist alles Übrige, die umfassendere Wirklichkeit, das viel Größere."
Und der britische Kernphysiker und Molekularbiologe Jeremy Hayward von der Universität Cambridge hält das Bewusstsein für möglicherweise grundlegender als Raum und Zeit. Sollten sich diese Thesen der Avantgarde unter den Physikern bestätigen, würden sich Naturwissenschaft und Religion fortan nicht mehr als Gegensätze gegenüberstehen, könnten sich vielmehr komplementär ergänzen – geradewegs wie der rechte und der linke Schuh eines Menschen.
Wenn das Jenseits, das Übernatürliche oder eben das unsterbliche Bewusstsein zum Ganzen gehört, dann ist es für Naturwissenschaft wie für Theologie durchaus interessant zu bedenken, wie die Grundelemente miteinander korrespondieren könnten, das Bewusstsein also mit Raum, Zeit, Materie und Energie.
Doch methodisch gesehen, dürfen solche Schnittmengen auch künftig nicht dazu verleiten, die Arbeitsebenen von Natur- und Geisteswissenschaften zu vermischen. Weder kann die Physik in die Pflicht genommen werden, ihre Erkenntnis der Autorität religiöser Quellen zu unterwerfen. Noch ist sie in der Lage, einer jeden Religion den Gottesbeweis zu liefern, nach dem sie verlangt, um sich selbst zu vergewissern.
Denn am Bewusstsein, am Ganzen haben alle teil, jeder auf seine Weise. Die Quantenphysik schärft nicht nur den Sinn für das Unfassbare, sondern fordert erneut den Respekt vor den Gedanken der anderen, die nicht weniger Anteil an dieser Welt haben als unsere eigenen.
Rolf Froböse, 1949 in Seesen / Harz geboren, studierte in Göttingen Chemie und arbeitete zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Gmelin-Institut der Max-Planck-Gesellschaft in Frankfurt am Main.
Danach wurde er als Wissenschaftsjournalist: Korrespondent der amerikanischen National Aeronautics and Space Administration (NASA), Redakteur des Technologiemagazins „highTech“ und schließlich Chefredakteur der Fachpublikationen „Chemische Industrie“ und „Europa Chemie“ bei der Verlagsgruppe Handelsblatt.
Außerdem schrieb er Sachbücher, u.a. "Lust und Liebe – alles nur Chemie?" (2004), "Wenn Frösche vom Himmel fallen. Die verrücktesten Naturphänomene" (2007), "Die geheime Physik des Zufalls. Quantenphänomene und Schicksal" (2008) und "Der Lebenscode des Universums. Quantenphänomene und die Unsterblichkeit der Seele" (2009).