Wissenschaft in der EU

Wer entscheidet, was geforscht wird?

Vor dem Gebäude der EU-Kommission wehen blaue Europa-Flaggen.
Das Gebäude der EU-Kommission in Brüssel © Emmanuel Dunand / AFP
Von Armin Himmelrath |
Seit einem Jahr läuft das EU-Programm "Horizon 2020": Es verfügt über 70 Milliarden Euro und ist für innovative Forschungsprojekte bestimmt. Doch wer bestimmt, welches Projekt, in welchem Fachbereich bezuschusst wird?
Seit ein paar Tagen steht sie, die Mannschaft des neuen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker – und seine Ressortaufteilung sorgt zumindest in der Wissenschaft für Stirnrunzeln. Denn der neue Forschungskommissar ist einer Arbeitsgruppe untergeordnet, die sich um Jobs, Wachstum und Investitionen kümmern soll. Keine Begriffe aus der Grundlagenforschung, sondern aus der Wirtschaft. Das sei durchaus repräsentativ für die nationale und internationale Entwicklung, sagt Wolfgang Lieb, früherer Staatssekretär im NRW-Wissenschaftsministerium:
"Seit ungefähr zehn Jahren kann man beobachten, dass die Grundfinanzierung für die Forschung an den Hochschulen stagniert. Und dass die eingeworbenen sogenannten Drittmittel eine immer größere Bedeutung gewonnen haben. Das war auch ganz im Sinne der entfesselten oder unternehmerischen Hochschule, die ja über den Wettbewerb um die Einwerbung von Drittmitteln gesteuert werden sollte."
Unternehmerischer Wettbewerb und freie Forschung aber schließen sich gegenseitig aus, sagt Wolfgang Lieb. Ohnehin sei der Einfluss von Lobbyisten auf die Arbeit der Hochschulen immer größer geworden. Ein Beispiel: Eine Kooperation in der Arzneimittelforschung zwischen der Uni Köln und der Bayer AG. Diese Zusammenarbeit gibt es seit mehreren Jahren, doch die Universität schweigt zu den Einzelheiten. Kritiker fordern schon seit langem die Offenlegung der Veträge, sind damit aber vor dem Verwaltungsgericht Köln gescheitert. Jährlich zahlt Bayer der Uni Köln einen niedrigen sechsstelligen Euro-Betrag, sagt Uni-Sprecher Patrick Honecker. Viel mehr will er allerdings nicht verraten.
Patrick Honecker: "Das ist eine so genannte preferred partnership – das heißt, wir haben mit Bayer Leverkusen ne Kooperationsvereinbarung, wo zum Beispiel eine gemeinsame Graduiertenschule betrieben wird. Es geht auch darum, dass man zum einen natürlich auf Interna von Bayer zurückgreift und auf der anderen Seite natürlich auch wissenschaftlich gemeinsam geforscht wird. Letztendlich ist in diesem Rahmenvertrag geregelt, wie diese Art der Zusammenarbeit organisiert wird."
Dynamischster Forschungsraum der Welt?
Aber: Um was geht es bei dieser preferred partnership konkret? Was wird da genau erforscht? Wie unabhängig bleibt die Uni dabei? Und wem gehören die Forschungsergebnisse, die ja schließlich in staatlich finanzierten Labors entstehen? Patrick Schnepper vom AStA der Universität:
"Für uns ist das schon lange ein Dorn im Auge. Alos, auch unser Studierendenparlament hat da schon verschiedene Resolutionen beschlossen. Wir würden halt einfach gerne wissen: Was macht Bayer an der Uni? Was macht die Uni für Bayer? Wie läuft das Ganze? Mit Wissenschaftsfreiheit hat das so für uns in dem Sinne erstmal nix zu tun, dafür müsste es transparent dargelegt werden. Wir wissen schlichtweg einfach nicht, was wir davon halten sollen, weil wir wissen ja nicht, was gemacht wird."
Als ähnlich intransparent empfindet Andreas Keller auch viele andere Weichenstellungen in der europäischen Forschungspolitik. Keller ist Hochschulexperte und stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Europas Wissenschaftspolitik, sagt er, werde längst vom Lissabon-Prozess dominiert – dem vor 14 Jahren verabredeten Plan, Europa zum dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen.
Andreas Keller: "Das große Problem am Lissabon-Prozess ist, dass er tatsächlich alle Maßnahmen ausrichtet an einer Wettbewerbsfähigkeit Europas mit anderen Weltregionen. Auf der anderen Seite stehen auch klare Anforderungen für die Bildungspolitik in diesen Erklärungen drin. Die Schulabbrecherzahlen müssen reduziert werden, es muss mehr Geld investiert werden, als es jetzt getan wird. Das Entscheidende ist, dass wir diese positiven Impulse aufgreifen, aber sie eben nicht nur den wirtschaftlichen Interessen unterordnen, dass auch die europäische Union die vielen Milliarden, die sie für die Forschungsförderung in die Hand nimmt, der Lösung gesellschaftlicher Zukunftsaufgaben und der Grundlagenforschung zukommen lässt und nicht nur der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit."
Längst an die Gelder aus der Wirtschaft gewöhnt
Die aber steht immer im Vordergrund, kritisiert auch Wolfgang Lieb: Es gehe nicht um Grundlagenforschung und Bildung, sondern in erster Linie um Verwertbarkeit – von Absolventen und von Forschungsergebnissen gleichermaßen. Wolfgang Lieb wundert sich deshalb nicht, dass sich staatliche Stellen mehr und mehr aus der Hochschul-Finanzierung zurückziehen und das Feld statt dessen Geldgebern aus der Wirtschaft überlassen.
Wolfgang Lieb: "Es gibt viele Hochschulen, die haben schon einen Anteil von 40 Prozent an privaten Drittmittel-Auftragsgebern. Und das ist natürlich eine sehr gefährliche Entwicklung, ich sag jetzt mal, für die Hochschulen, die ja die wissenschaftliche Institution sein soll für die Allgemeinheit, für die Allgemeininteressen!"
Diese Aufgabe aber nehmen sie kaum noch wahr, sie haben sich stattdessen längst an die Gelder aus der Wirtschaft gewöhnt. Vielleicht blieb es deshalb beim leichten Grummeln in der Wissenschaft, als Jean-Claude Juncker seine Kommission vorstellte – obwohl eigentlich ein lauter Proteststurm die richtige Reaktion gewesen wäre.
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