Wissenschaft

Medikamente aus dem Rechner

Von Johannes Kaiser |
Berliner Mathematiker haben am PC ein Schmerzmittel entwickelt, das bislang keine Nebenwirkungen aufweist. Ein neuer Trend: Forscher entwickeln am Computer Modelle, die das Verhalten von Molekülen simulieren und helfen, die Medikamente zu erschaffen.
Bislang sucht die Pharmazie vergeblich nach starken Schmerzmitteln, sogenannten Opioiden, ohne Nebenwirkungen. Jetzt scheint ein erster Durchbruch gelungen, denn am Konrad Zuse Zentrum für Informationstechnik in Berlin haben ein Mathematiker und eine Mathematikerin am Computer ein Schmerzmittel entworfen, das nur die Schmerzen lindert, aber zumindest im Tierversuch keine Nebenwirkungen aufweist. Den Anstoß dazu gab Christoph Stein, Professor für Anästhesie an der Charité:
"Was wir neu entdeckt haben schon vor vielen Jahren, ist, dass Morphin nicht nur im Gehirn wirkt, so wie das bislang immer in allen Lehrbüchern stand, sondern eben auch auf periphere Schmerznervenfasern und zwar insbesondere im verletzten Gewebe und zwar sitzen dort eben auch an den Faserendigungen Opioid-Rezeptoren und da liegt ja auch immer eine Gewebeentzündung gleichzeitig vor."
In entzündetem Gewebe, egal ob Operationswunden, Verletzungen, Arthritis oder Krebs, verändern sich die Schmerzrezeptoren. Genau darauf setzen nun die Forscher. Die Moleküle eines neuen Schmerzmittels sollen nur an die Rezeptoren an der Entzündungsstelle andocken und den Schmerz unterdrücken,
"denn dann könnten wir die zentral vermittelten Nebenwirkungen im Gehirn vermeiden. Das ist die Übelkeit, das ist die Sedierung, die Leute werden müde, das ist Atemstillstand und diese Nebenwirkungen sind natürlich auch ein ganz großes Problem in der Klinik in der täglichen Behandlung von Schmerzpatienten, denn das ist der Grund, warum wir postoperativ zum Beispiel nach der Narkose die Patienten auf Intensivstationen überwachen müssen, weil dieser Atemdepressionen eine große Rolle spielen und sehr gefährlich ist."
Am Computer nun kann man Modelle entwerfen, die das Verhalten von solchen Molekülen simulieren. Doch die bisherigen Methoden sind extrem zeitaufwendig, so der Mathematiker Marcus Weber von Konrad Zuse Institut:
"Also, um ein Beispiel zu nehmen: Es gibt einen Rechner, der heißt Anton, der ist extra dafür designt, zu simulieren, wie sich kleine Moleküle im Körper verhalten und der bräuchte für so eine Simulation 308 Jahre. Dann hätte man sozusagen ein Sekunde Echtzeit simuliert."
Mathematisches Verfahren erlechtert die Simulation
Mit dieser Methode kommt man also nicht weiter, selbst wenn die Rechner noch erheblich schneller arbeiten. Also muss man ein mathematisches Verfahren finden, das diesen Vorgang besser und leichter nachbilden kann. Dabei ist es wichtig zu verstehen, wie das Schmerzmittelmolekül in den Rezeptor hinein wandert.
"Bei der Simulation würde man jetzt ganz einfach nur diesen Rezeptor modellieren, das kleine Molekül modellieren und man würde jetzt den Rechner anwerfen und gucken, was machen die beiden miteinander. Dann würde man nicht viel sehen. Dann würde man nur sehen, dass das kleine Molekül ein bisschen rumzappelt, aber mehr oder weniger an der Stelle bleibt, wo man es hingesetzt hat.
Unser Ansatz ist: wir positionieren einfach das kleine Molekül an verschiedenen Stellen im Rezeptor und lassen es dort sich bewegen. Es zittert dann halt ein bisschen rum, aber die Tendenz, wohin es geht, die kann man aus dieser feinen Zwitterbewegung schon ablesen und aus die einzelnen kleinen Tendenzen bauen wir dann den ganzen großen Bindungsprozess wieder zusammen."
Die neue Methode der mathematischen Simulation führte tatsächlich zum Erfolg. Man veränderte die Form eines lange bekannten Wirkstoffs und zwar von Fentanyl, einem synthetischen Opioid, so Mathematikdoktorantin Olga Scharkoi vom Berliner Konrad Zuse Institut:
"Wir haben am Computer gefunden, welche Atomgruppen man durch welche Atomgruppen ersetzen muss. Und jetzt wird dieses Fentanyl an der Charité getestet. Daraus hat sich ergeben, dass das neue Fentanyl ähnliche Schmerzlinderung hervorruft wie das gängige Fentanyl, also die gleiche Schmerzlinderung im Prinzip, aber der Unterschied ist, dass die alte, die gängige Substanz zur Schmerzlinderung im ganzen Körper führt und die neue Substanz nicht. Die neue Substanz führt zur Schmerzlinderung nur an der kranken Stelle."
Druckschmerzversuche an Ratten
Erprobt wurde das neue Mittel erst einmal im Reagenzglas an Nervengewebe und dann durch Druckschmerzversuche an Ratten an einer entzündeten Pfote. Charité Forscher Christoph Stein
"Wir drücken also auf die Pfote und dann wird einfach die Schwelle gemessen, wo das Tier die Pfote wegzieht. Also wenn sich diese Pfotendruckschwelle erhöht, heißt das, die Ratte zieht die Pfote erst bei höheren Reizen weg, also wird unempfindlicher gegenüber diesem Druckschmerz. Dann bezeichnen wir das als schmerzstillenden Effekt. Bis jetzt sehen die Ergebnisse sehr gut aus, insbesondere die In-Vivo-Versuche an der Ratte sehen vielversprechend aus."
Entscheidend war bei den Versuchen, dass die starken Nebenwirkungen des herkömmlichen Fentanyl nicht auftraten. Marcus Weber:
"Die führen bei einem so kleinen Tier, das sie schnell stirbt von der Vergabe solcher Schmerzmittel. Dann ist halt die ganze Ratte betäubt sozusagen und bei unserem Mittel konnte man halt sehr hohe Dosen dem Tier geben."
Jetzt hofft man natürlich, dass sich diese positiven Ergebnisse auch beim Menschen wiederholen lassen. Für weitere Versuche fehlen derzeit noch die Gelder. Und bis die Pharmaindustrie die Patente der Forscher erwirbt und tatsächlich ein neues Schmerzmittel auf den Markt bringt, werden noch Jahre vergehen.
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