Forschungsskandal am schwedischen Karolinska-Institut
Das renommierte schwedische Karolinska-Institut bestimmt jedes Jahr den Preisträger für den Medizin-Nobelpreis. Aber nun hat ein Skandal in den eigenen Reihen die Wissenschaftler erschüttert: Ein Kollege soll weltweit beachtete Forschungsergebnisse manipuliert haben - und nicht nur die.
Arvid Carlsson ist entsetzt. Im Jahr 2000 hat ihm die Nobelversammlung des schwedischen Karolinska-Instituts den Nobelpreis für Medizin verliehen. Dass diese ehrwürdige Forschungseinrichtung nun so tief verwickelt ist in den Skandal um den Chirurgen Paolo Macchiarini macht den 93-Jährigen Forscher tief betroffen:
"Das ist schrecklich, eine Tragödie. Vor allem, wenn man an all die Menschen denkt, die ihr Leben dabei verloren haben."
Begonnen hatte der Fall, über den sich derzeit ganz Schweden aufregt, bereits im Jahr 2010. Damals war Paolo Macchiarini an das Karolinska-Institut rekrutiert worden. Er und sein Team entwickelten Luftröhren aus Kunststoff, die sie Patienten einsetzten. Als erster erhielt Andemariam Beyene aus Island dieses künstliche Organ. Er litt unheilbar an Luftröhren-Krebs, die Operation war die einzige Möglichkeit, sein Leben zu retten, hieß es.
Vor der Operation hatten die Ärzte die Luftröhre aus Plastik mit Stammzellen aus dem Körper des Patienten behandelt. Nach dem Eingriff würden diese Zellen neues Luftröhren-Gewebe bilden, erklärten die Ärzte dem Mann. Die Transplantation wurde international als bahnbrechender medizinischer Erfolg gefeiert und medial begleitet.
Doch Anfang 2014 starb Beyene, auch ein weiterer am Karolinska-Institut operierter Betroffener hat die Folgen des Eingriffs nicht überlebt. Eine dritte Patientin muss noch immer intensivmedizinisch versorgt werden. Mehrere Ärzte am Karolinska-Institut zeigten Macchiarini Anfang 2014 bei der Institutsleitung an. Sie berichteten über den katastrophalen Gesundheitszustand der operierten Patienten. Zudem hatten sie Beweise gefunden, dass der Chirurg Forschungsergebnisse gefälscht hatte. Karl-Henrik Grinnemo, Chirurg am Karolinska-Institut, ist einer der Ärzte, die Macchiarini angezeigt hatten:
"Vor allem der wichtigste Artikel aus dem Fachmagazin Lancet von 2011 war falsch, im Prinzip stimmte nichts darin: Gewebeproben, die angeblich auf eine neu gebildete Schleimhaut hinweisen sollten, zeigten in Wirklichkeit eine sich auflösende Luftröhre und es gab Hinweise auf Pilz und Bakterieninfektionen. Es gab also überhaupt keine Anzeichen auf eine Regeneration."
Doch das Karolinska-Institut ignorierte sämtliche Warnungen. Später bestätigte ein externer Gutachter den Verdacht, dass Macchiarini seine Forschungsdaten gefälscht hatte. Doch eine interne Untersuchung des Karolinska-Instituts kam zu einem anderen Schluss: Macchiarini habe zwar gewisse Fehler gemacht, doch Forschungsbetrug sei es nicht gewesen. Der Chirurg durfte weitermachen - bis das schwedische Fernsehen SVT den Fall aufgriff. Bo Risberg, emeritierter Professor für Chirurgie und ehemaliger Vorsitzender des schwedischen Ethikrats, findet das unglaublich:
"Das ist der größte Forschungsskandal, den Schweden in der Moderne erlebt hat. Alles wurde unter den Teppich gekehrt. Die Leitung des Karolinska-Instituts steckt tief mit drin und erst als im Fernsehen darüber berichtet wurde, haben sie sich hingestellt und stolz verkündet, dass sie Verantwortung übernehmen und ein Ermittlungsverfahren einleiten werden. Dabei wussten alle seit langem Bescheid."
Unterdessen sind dem Karolinska-Institut weitere Fälle von Forschungsbetrug gemeldet worden, die ebenfalls auf Paolo Macchiarinis Konto gehen. Paolo Macchiarini bestreitet die Vorwürfe in einer Stellungnahme in Lancet, er sammle derzeit Beweise für seine Unschuld. Seine Anstellung am Karolinska-Institut wird jedoch nicht verlängert.