Pieke Biermann, Jahrgang 1950, lebt und arbeitet als freie Schriftstellerin, Übersetzerin und Journalistin in Berlin.
Euch zu lesen, ist eine Qual
Sachbücher wissenschaftlicher Autoren seien für fachfremde Leser oft nicht zu verstehen. Umso mehr erfreut die Buchkritikerin Pieke Biermann, dass junge Historiker dem angelsächsischen Beispiel folgend sich um gute Prosa bemühen.
Es gibt Bücher, die will man nicht aus der Hand legen, die will man am liebsten – an die Wand knallen. Mit diesem Satz hat Dorothy Parker mal eine Rezension beendet. Es ging um irgendeine Art Lore-Roman. Mich packt derselbe Impuls regelmäßig bei Wissenschaftsprosa aus deutschen Keyboards.
Schon beim Durchblättern erlahmt meine Neugier auf den erhofften Inhalt. Kleine Zahlen an jedem zehnten Wort, Fußnotentürme, winzig gedruckt und trotzdem oft länger als der Fließtext, jede Seite ein Bild schierer Panik: vor der Ungnade nicht breit genug zitierter akademischer Kollegen oder vor eventuellen Plagiatsjägern.
Wissenschaftliche Sachbücher machen keine Freude
Spätestens nach 20 Seiten ist meine Hoffnung auf neue Erkenntnisse verdorrt: auch von Fließtext keine Spur. Da fließt gar nichts. Da dümpelt ein dröger Einheitsbrei, verstopft von Passivwendungen und Substantivierungen, wo aktive Verbkonstruktionen lebendiger wären. Sie würden auch das jeweilige Subjekt nicht vernebeln. Stattdessen syntaktische Umstandskrämerei, mutwilliges Verklausulieren und die Art "Bürokratesisch" aus dem Untertanenstaat: Auf dass das gemeine Volk ja nicht dahinterkomme, was Sache ist.
Das klingt nach pauschaler, bloß stilistischer Kritik, wo es doch um hehre Wissenschaft geht? Ich möchte niemandem den erwähnten Untertanengeist unterstellen. Aber Bücher haben nun mal nicht nur einen Inhalt, sondern auch eine Form. Und ich habe überhaupt nichts gegen Detailfreude, Quellenreichtum und redliches Nachweisen. Im Gegenteil! Ich bin ein Sachbuch-Junkie, ich liebe Bücher, die mir Stoff zum Denken aus Gebieten liefern, in denen ich keine Expertin bin.
Schopenhauers Stilkünde müsste Maßstab sein
Es muss auch nicht jeder Wissenschaftler ein begnadeter Erzähler wie Ian Kershaw oder Anthony Beevor sein. Aber jeder Autor – egal, welchen Geschlechts – müsste doch spannend machen wollen, was er, oft über Jahre, gegen Widerstände und prekäre Umstände, entdeckt, gedacht, erforscht hat! Das hieße, sich so einfach wie möglich und so komplexionsgeladen wie nötig auszudrücken, vor allem aber: präzise, uneitel, deutlich.
Gerade deutsche Akademiker müssten doch mal über Arthur Schopenhauers berühmte Stilkunde gestolpert sein:
"Undeutlichkeit des Ausdrucks [rührt] in 99 Fällen unter 100 her von der Undeutlichkeit des Gedankens. Was ein Mensch zu denken vermag, läßt sich auch allemal in klaren, faßlichen und unzweideutigen Worten ausdrücken."
Bitte gern auch in eleganten, eigenen. Hierzulande scheint das Nonplusultra eher eine lust- und leidenschaftslose Prosa, die an Kommunikationsverweigerung grenzt. Brennt man denn in unseren Unis überhaupt nicht mehr für sein Thema? Hält man es womöglich unter seiner Würde, eine unakademische Öffentlichkeit an Forschungsergebnissen teilhaben zu lassen?
Junge Historiker folgen angelsächsischem Vorbild guter Prosa
Wissenschaftliche Werke sind zumeist Dissertationen oder Habilitationen. Nur wenn ein Autor Glück hat oder ans richtige Zitierkartell angekoppelt ist, kommen sie als Sachbücher auf den Markt. Wieso sagt ihm eigentlich niemand, dass er den Text bitte erstmal umschreibt – aus Respekt vor den Lesern und vor dem Reichtum der Sprache jenseits seiner selbstreferentiellen akademischen Kreise?
Es geht doch anders! Ich stoße inzwischen zum Glück immer öfter auf Wissenschaftler, Historiker, die – wie die "Angelsachsen", bei denen sie das Handwerk studiert haben – außer akkurater und aufregender Forschung auch gute Prosa abliefern wollen. Eine neue Generation, hoffen wir, dass sie Schule macht!