Dieter Schönecker ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Siegen. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Praktische Philosophie Kants, die Metaethik und die analytische Religionsphilosophie. Er ist Autor und Mitherausgeber zahlreicher Bücher und Aufsätze. Zuletzt erschienen "Der Schutz der Freiheit" im "Schweizer Monat".
Techniken sozialer und moralischer Tyrannei
04:16 Minuten
Der Siegener Philosoph Dieter Schönecker wurde unter Druck gesetzt, als er im Rahmen einer Vorlesungsreihe Thilo Sarrazin und Marc Jongen einlud. Er meint, dass die Redefreiheit schon durch subtile Techniken der Einschüchterung bedroht sei.
Die Philosophie liebt Gedankenexperimente – machen wir eins: In 30 Jahren hat die Neue Rechte ihren Marsch durch die Universitäten abgeschlossen. Bundesbildungsminister Marc Jongen hat schon längst die Gender Studies auf den Scheiterhaufen der Ideengeschichte geschickt. Die AfD-Stiftung finanziert an den Universitäten Graduiertenkollegs; man assoziiert nicht mehr drauf los wie der Medientheoretiker Erhard Schüttpelz, sondern denkt wie der Althistoriker Egon Flaig.
Eine Zensur, heißt es in Artikel 5, findet nicht statt
Man ist nun rechts. Man ist unter sich, und kaum jemand vermag sich noch vorzustellen, es könnte auch anders sein. Eine Politologin kommt dennoch auf die Idee, einen Marxisten zu einem Vortrag einzuladen. Warum auch nicht, denkt sie. Immerhin gilt Artikel 5 des Grundgesetzes. Er schützt die Meinungsfreiheit und auch die Freiheit der Wissenschaft; eine Zensur, so heißt es da, findet nicht statt.
Aber die Kollegin ist naiv. Sie hat nicht bedacht, dass die Feinde der Freiheit, wie Karl Popper sie nennen würde, feinere Techniken sozialer und moralischer Tyrannei anwenden als nur die Brechstangen von Zensur und Verbot.
Zwar untersagt man ihr nicht die Veranstaltung, aber es geht ja auch anders: Sie darf finanzielle Mittel, die andere nutzen, nicht nutzen, in den Gremien wird sie an den Pranger, auf Twitter in die linksextreme Ecke gestellt, ein Forschungssemester wird abgelehnt, der DFG-Antrag, den sie gerade gestellt hatte, fällt durch, und die "Deutsche Gesellschaft für Normative Politikwissenschaft" verweigert ihr jede Unterstützung. Sogar ihre frisch promovierte Doktorandin wird angesprochen, was sie eigentlich für eine exzentrische Doktormutter habe, die sogar Morddrohungen erhalte.
Aber die Kollegin ist naiv. Sie hat nicht bedacht, dass die Feinde der Freiheit, wie Karl Popper sie nennen würde, feinere Techniken sozialer und moralischer Tyrannei anwenden als nur die Brechstangen von Zensur und Verbot.
Zwar untersagt man ihr nicht die Veranstaltung, aber es geht ja auch anders: Sie darf finanzielle Mittel, die andere nutzen, nicht nutzen, in den Gremien wird sie an den Pranger, auf Twitter in die linksextreme Ecke gestellt, ein Forschungssemester wird abgelehnt, der DFG-Antrag, den sie gerade gestellt hatte, fällt durch, und die "Deutsche Gesellschaft für Normative Politikwissenschaft" verweigert ihr jede Unterstützung. Sogar ihre frisch promovierte Doktorandin wird angesprochen, was sie eigentlich für eine exzentrische Doktormutter habe, die sogar Morddrohungen erhalte.
Auch Schikanierungen bedrohen die geistige Freiheit
So könnte es kommen, und so ist es, unter anderen Vorzeichen, schon jetzt. Der Philosoph John Stuart Mill hat sehr deutlich gesehen, dass die Meinungsfreiheit nicht nur durch direkte staatliche Sanktionen wie die Zensur beschränkt wird, sondern auch durch Schikanen, die auf das physische und seelische Wohlergehen derjenigen zielen, die frei ihre Meinung äußern wollen.
Natürlich muss man einiges aushalten, keine Frage.
Aber wer wird seine Meinung äußern, wenn er damit rechnen muss, seinen Job zu verlieren oder auch nur die Mitgliedskarte in seinem Fußballverein? Wer wird sie kundtun, wenn danach ein Abendessen im Restaurant nur noch unter Polizeischutz möglich ist? Welche junge Akademikerin wird es wagen, in einem Bewerbungsvortrag für, sagen wir, Patriotismus zu argumentieren, wenn sie doch weiß, dass sie damit das Ende ihrer Karriere einleitet?
Natürlich muss man einiges aushalten, keine Frage.
Aber wer wird seine Meinung äußern, wenn er damit rechnen muss, seinen Job zu verlieren oder auch nur die Mitgliedskarte in seinem Fußballverein? Wer wird sie kundtun, wenn danach ein Abendessen im Restaurant nur noch unter Polizeischutz möglich ist? Welche junge Akademikerin wird es wagen, in einem Bewerbungsvortrag für, sagen wir, Patriotismus zu argumentieren, wenn sie doch weiß, dass sie damit das Ende ihrer Karriere einleitet?
Die Schere wird hingehalten, und nicht nur, wer schwache Nerven hat, gebraucht sie im eigenen Kopf. Natürlich darf jeder sagen, was er will. Aber man muss es auch wollen können.
Daran sollten alle denken, die, wie etwa die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Claudia Roth, bei der moralischen Polizei mitmarschieren und den Diskurs verweigern. Roth hat im Sommer 2018 einen Vortrag zur Meinungsfreiheit gehalten und dieses Recht auch verteidigt.
Daran sollten alle denken, die, wie etwa die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Claudia Roth, bei der moralischen Polizei mitmarschieren und den Diskurs verweigern. Roth hat im Sommer 2018 einen Vortrag zur Meinungsfreiheit gehalten und dieses Recht auch verteidigt.
Das Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit
Aber meine Bitte, mir ihren Vortragstext zuzuschicken, lehnte ihr Büro ab: "Wir (…) unterstützen keine Veranstaltungen, auf denen rechtsextremen und rassistischen Positionen eine Bühne gegeben wird." Dabei hatte ich als Liberaler nur von meinem Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit Gebrauch gemacht und dabei auch Marc Jongen und Thilo Sarrazin zu Vorträgen eingeladen.
Der Geist der Freiheit weht überall, nur typischerweise nicht bei denen, die gerade an der Macht sind, und sei es auch nur an der Universität. Das kann sich ändern. "Behandle andere so, wie Du auch gerne in der gleichen Situation behandelt werden möchtest." Um zu verstehen, was aus dieser goldenen Regel folgt, reicht schon ein kleines Experiment mit den Gedanken.
Der Geist der Freiheit weht überall, nur typischerweise nicht bei denen, die gerade an der Macht sind, und sei es auch nur an der Universität. Das kann sich ändern. "Behandle andere so, wie Du auch gerne in der gleichen Situation behandelt werden möchtest." Um zu verstehen, was aus dieser goldenen Regel folgt, reicht schon ein kleines Experiment mit den Gedanken.