Wissenschaftsjournalismus

Auch Hochschul-PR ist PR

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Nahaufnahme einer Anstecknadel mit dem Schriftzug "Scientists for Future".
Ein großes Vertrauen in die Wissenschaft - das attestiert eine aktuelle Studie aus der Schweiz den Bürgern. © picture alliance / Andreas Gora
Ein Kommentar von Stephan Ruß-Mohl · 15.11.2021
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Der Medienwissenschaftler Stephan Ruß-Mohl sieht Defizite im Verhältnis von Journalismus und Wissenschaft: Wissenschaftler müssten aktiver auf die Medien zugehen - und Journalisten Wissenschafts-PR kritischer durchleuchten.
Die Wissenschaften sind nicht erst seit der Covid-Pandemie eine "Lebensbestimmungsmacht". Die Jugendlichen von Fridays for Future fordern in Sprechchören "Follow the Science", und Spitzenpolitiker wie Angela Merkel erklären wissenschaftliche Erkenntnisse für "alternativlos".
Aber wie werden wir über Wissenschaft und Forschung informiert? Die gute Nachricht ist: Die Kommunikation der Wissenschaft mit der Öffentlichkeit hat sich in den letzten Jahrzehnten professionalisiert. Die schlechte Nachricht lautet: Sie verlagert sich aber auch immer mehr ins Vorfeld des Journalismus, in die Public Relations.

Wissenschaft wird in der Bevölkerung positiv wahrgenommen

Auf den ersten Blick ist eher unspektakulär, was Fachleute unter Leitung von Professor Mike Schäfer von der Universität Zürich an Erkenntnissen zum "Stand der Kunst" in der Schweiz jüngst zusammengetragen haben:
Die Bevölkerung, so die Studie, "nimmt Wissenschaft positiv wahr". Das Vertrauen in Wissenschaft und Wissenschaftler "ist hoch und scheint über die Zeit stabil zu sein". Die meisten Forscher und Forscherinnen "sind bereit, mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren". Journalisten aus verschiedenen Ressorts berichten über wissenschaftsbezogene Themen und tragen so zum Wissenschaftsjournalismus bei, so der Projektbericht.
Das ist vermutlich auf deutsche Verhältnisse größtenteils übertragbar. An dieser Oberfläche gilt es allerdings zu kratzen:
Der Wissenschaftsjournalismus selbst hat der Studie zufolge einen Rückgang erlebt, nur eine kleine Anzahl von Medienhäusern hat noch eigene Wissenschaftsredaktionen. Die Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsjournalismus verschlechtern sich. Die in Umfragen geäußerte Bereitschaft der Wissenschaftler, über ihre Forschung mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren, ist nicht deckungsgleich mit ihren "tatsächlichen Kommunikationsbemühungen". Inhaltsanalysen von Nachrichtenmedien zeigen, dass es immer dieselben wenigen Forscher sind, welche durch Medienpräsenz glänzen.

Die PR-Abteilungen der Universitäten sind nicht neutral

Es gibt keine Studien zur personellen Ausstattung von Redaktionen mit Wissenschaftsjournalisten. Über Jahre hinweg wurden die Wissenschaftsredaktionen jedoch eher reduziert. In den meisten Medien finden sich seit eh und je weit mehr Sport- und Politikjournalisten.
Wenn aber Wissenschaftsredakteure fehlen, die Experten im Wissenschaftsbetrieb identifizieren und ihnen die richtigen Fragen stellen können, ist es sehr wahrscheinlich, dass man im Bedarfsfall auf einen sehr kleinen Kreis von Forschern zurückgreift.
PR-Experten befinden sich inzwischen in einer mehrfachen Übermacht gegenüber Journalisten. Die Pressestellen der Universitäten wurden rasant zu Kommunikationsabteilungen ausgebaut. Sie sind längst nicht mehr nur Sprachrohre der Hochschulleitungen, sondern kümmern sich in aller Breite um die Wissenschaftskommunikation.

Wissenschaft muss auf Medien zugehen

Das tun sie freilich im wohlverstandenen Interesse der eigenen Forschungseinrichtung. Missliebiges oder Fragwürdiges aus dem Wissenschaftsbetrieb werden die Medien von diesen Dienstleistern nur in den seltensten Fällen freiwillig erfahren.
Medienforscher haben obendrein herausgefunden, dass ausgerechnet Journalisten diesen Einfluss der PR-Seite nicht wahrhaben wollen. Die Recherchekapazität des Journalismus hat dramatisch abgenommen, dagegen seine PR-Abhängigkeit ebenso dramatisch zugenommen.
Damit die Kommunikation der Wissenschaft mit der Gesellschaft gelingt, müssten Wissenschaftler nicht nur vermehrt auf die Medien zugehen. Sie sollten auch hinnehmen, wenn Journalisten ihre Arbeit kritisch hinterfragen.

Stephan Ruß-Mohl, geb. 1950, ist emeritierter Professor für Journalistik und Medienmanagement (Università della Svizzera italiana in Lugano) sowie Gründer des European Journalism Observatory. Von 1985 bis 2001 war er Ordinarius für Publizistikwissenschaft an der FU Berlin. Jüngste Buchveröffentlichung: "Streitlust und Streitkunst. Diskurs als Essenz der Demokratie" (Herbert von Halem Verlag, 2020)

© Carl Russ-Mohl
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