Wissenschaftsjournalismus

Die Spreu vom Weizen trennen

07:09 Minuten
Volker Stollorz bei der Podiumsdiskussion zum Wissenschaftsjournalismus anlässlich der 30-Jahr-Feier der Wissenschaftspressekonferenz.
Wissenschaft sichten, einordnen - und seriös darüber schreiben: Für Volker Stollorz vom Science Media Center erfüllen Wissenschaftsjournalisten eine wichtig Aufgabe. © imago stock / Klaus Martin Höfer
Volker Stollorz im Gespräch mit Stephan Karkowsky |
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Wissenschaft ist überall - und dennoch leisten sich viele Zeitungen keine Wissenschaftsseiten. Dabei sind Fachjournalisten, die in der Infoflut seriös von unseriös unterscheiden helfen, wichtiger denn je, findet Volker Stollorz vom Science Media Center.
Der Wissenschaftsjournalist bemüht sich, unter Unmengen an fachwissenschaftlichen Veröffentlichungen diejenigen zu erkennen, die relevant genug sind für eine breitere Öffentlichkeit. Ob das heute leichter oder schwerer ist als früher, möchte ich mit dem Gründer und Leiter des Science Media Center in Köln besprechen. Heute beginnt in Lausanne der Weltkongress der Wissenschaftsjournalisten. Das ist auch unter uns Journalisten eine eher rare Spezies. Der Wissenschaftsjournalist bemüht sich unter Unmengen an fachwissenschaftlichen Veröffentlichungen diejenigen zu erkennen, die relevant genug sind für eine breitere Öffentlichkeit. Ich habe den Eindruck, Wissenschaftsmagazine liegen voll im Trend, von "Psychologie heute" bis "Terra X". So viel Wissenschaft war doch in den Medien noch nie, oder?
Stollorz: Ja, das stimmt. Also die Wissensvermittlung, so nenne ich das mal, ist sicherlich ein Feld, an dem das Publikum sehr interessiert ist, und das zeigen auch alle Umfragen soweit. Woran es vielleicht eher ein bisschen mangelt, ist der unabhängige, kritische, beobachtende Wissenschaftsjournalismus, der sich die Wissenschaft anschaut und auch deren Fehlverhalten, Schwierigkeiten, der sozusagen als professioneller Beobachter in die Wissenschaften schaut und guckt, wo und wenn ja, welches Wissen der Wissenschaft relevant ist für die Öffentlichkeit.

Lange führten Wissenschaftsmedien ein Nischendasein

Karkowsky: Also nicht nur jemand, der die Topschlagzeilen vermeldet, wie zum Beispiel, warum Wölfe keinen Hundeblick haben, sondern der tatsächlich auch kritisch hinterfragt. Woran liegt das denn, dass es davon zu wenige gibt?
Stollorz: Na ja, zunächst muss man mal sagen, wer die Wissenschaft beobachten will, das ist ziemlich aufwendig, also das braucht Ressourcen, und die Wissenschaftsressource in den Zeitungen, aber auch in den Magazinen… Lange hatten wir ein bisschen so ein Nischendasein, und das war so ein bisschen paradox. In Printmedien lag es ein bisschen daran, weil die keine Werbeanzeigen letztendlich hatten, und dann sind die auch in der Krise der Bezahlmodelle im Journalismus also auch die ersten gewesen, die dann sozusagen abgebaut wurden.
In vielen regionalen Zeitungen gibt es zum Beispiel gar keine Wissenschaftsjournalisten mehr. Das ist natürlich paradox, weil gleichzeitig die Wissenschaft überall ist. Also, alle Themen, die wir diskutieren – Klimawandel, Stickoxide, Glyphosat ist krebserregend – all diese Themen beinhalten ja ganz zentral wissenschaftliche Aussagen, und der Wissenschaftsjournalist ist eigentlich derjenige, der in die Wissenschaft schaut, um zu gucken, was weiß denn die Wissenschaft verlässlich darüber oder ob nicht zum Beispiel Glyphosat krebserregend ist.
Karkowsky: Warum braucht denn die Wissenschaft kritische Beobachter? Ich habe immer den Eindruck, die Wissenschaft genießt höchstes Vertrauen in der Öffentlichkeit, weil sie ja auch mit ihren Methoden ganz klar sagt: Wir können nur selten sagen, dass etwas bewiesen ist, aber wir können Ihnen sagen, was wir rausgefunden haben."
Stollorz: Das ist auch richtig. Das generelle Vertrauen der Öffentlichkeit und der Menschen insgesamt in Wissenschaft ist zumindest in Deutschland, aber auch in Amerika oder allen entwickelten Demokratien hoch, das stimmt. Aber wir sehen, dass in einzelnen Themenbereichen – nennen wir nur mal gentechnisch veränderte Organismen, Atomkraft, Klimawandel oder eben jetzt Glyphosat, welche Art von Landwirtschaft wollen wir –, kommt es sehr schnell zu Entwicklung, wo zum Beispiel bestimmte Akteure, die gezielt Desinformation verbreiten in der Öffentlichkeit, auf einmal erhebliche Reichweiten erzielen und dann die Wissenschaft nicht in der Lage ist, zeitnah zu reagieren, um sozusagen dort etwas entgegenzuhalten.
Da kommt dann auch wieder der Journalismus und insbesondere der Wissenschaftsjournalismus ins Spiel, der schnell und rasch und zielsicher verlässliches, wichtiges und richtiges Wissen sozusagen identifizieren und dann auch in die Debatte einbringen kann. Ich glaube, das ist schon oft ein Problem, dass dann bestimmte glaubwürdige Akteure auftreten, im Arztkittel, so nenne ich das jetzt mal, und dann Thesen verbreiten, die durch die Wissenschaft eigentlich gar nicht gedeckt sind.

Nimmt die aufklärerische Wirkung ab?

Karkowsky: Ich habe neulich ein Gespräch gehabt mit einem Wiener Psychologen, der hat mit seinem Team den behaupteten Zusammenhang untersucht zwischen Migration und einer Abnahme des durchschnittlichen Intelligenzquotienten, und der konnte nachweisen, Migration hat darauf keinen nachweisbaren Einfluss. Der Forscher war sich aber vollkommen bewusst darüber, dass seine Beweise bei denen nichts zählen, die schlichtweg was anderes glauben wollen, sagen wir mal wie Thilo Sarrazin. Nimmt die aufklärerische Wirkung des Wissenschaftsjournalismus ab?
Stollorz: Ja, das ist die große Millionen-Dollar-Frage. Also ich formuliere die mal um: Welche Strategien helfen gegen die zunehmende Verbreitung von Desinformation, das ist für mich sozusagen die Frage, und da muss man, glaube ich, erst mal hinschauen und sagen, dass da insbesondere im Umgang mit Wissenschaft für Laien das Problem ist, dass sie selber ja nicht beurteilen können, ob diese These, die Sie jetzt gerade genannt haben oder eben eine andere, verlässlich wissenschaftlich begründet ist oder nicht. Und dann machen Menschen, wenn das so ist, und jemand macht die Aussage A oder jemand macht die Aussage B, dann kann ich mich sozusagen anhand nur externer Kriterien entscheiden, Vertrauenswürdigkeit oder dass der überzeugend mir erscheint, überzeugende Argumente hat.
Das Problem ist dann eher, dass Laien, wenn sie in Wissensbestände aus der Wissenschaft sozusagen hineingeraten, dann oft die Dinge nicht richtig zu Ende denken, weil wir keine Wissenschaftler sind, und dadurch entsteht schon ein Dilemma, dass die Leute leicht, also in der Fachliteratur heißt das so ein bisschen die Wahrheitsillusion, dass ich glaube, ich habe etwas verstanden, aber ich habe es noch gar nicht tief verstanden. Das führt dann dazu, dass ich Dinge glaube, die letztendlich auf der Basis von Fehlinformationen zirkulieren.

5500 Publikationen pro Tag - das kann niemand lesen

Karkowsky: Und die schiere Menge an Veröffentlichungen, das wird ja jeden Tag mehr – macht es das für Sie eigentlich heute leichter oder schwerer, relevante Themen zu finden?
Stollorz: Na ja, die Digitalisierung ermöglicht natürlich einerseits den Zugang auf faktisch das gesamte Wissen der Wissenschaft, das ist toll. Es gibt tausende Journals. Aber 5.500 wissenschaftliche Publikationen pro Tag, die kann ja kein Mensch lesen, logischerweise, und das ist eine große Herausforderung. Wie finden jetzt eigentlich Journalisten, die die Wissenschaft beobachten, die richtigen und die wichtigen Quellen, und da sage ich jetzt voraus – und das ist auch ein Thema auf der Weltkonferenz –, werden wir künftig auch uns Methoden bedienen müssen, die das sozusagen noch erleichtern, also zum Beispiel künstliche Algorithmen, die uns zeigen, welche Themen in der Wissenschaft gerade wirklich virulent sind, welche zehn dort heiß diskutiert werden. Und so kann man auch auf Themen aufmerksam werden, ohne jetzt in speziellen Themenfeldern der Wissenschaft schon Spezialist zu sein.
Also, die Technik hilft einerseits, die Informationsflut besser zu durchforsten, gleichzeitig ist es aber auch so, die bloße Flut, die jetzt auch verfügbar wird für alle Menschen im Prinzip – jeder kann ja diese wissenschaftliche Artikel, die dort im Internet publiziert werden, lesen – und dann haben wir das Problem, aber es versteht sie nicht jeder oder versteht sie vielleicht falsch, oder es gibt Leute, die publizieren Artikel, die so aussehen wie ein wissenschaftlicher Artikel, aber in Wirklichkeit Propaganda sind. All diese Fragen müssen jetzt sozusagen in der Gesellschaft ganz neu verhandelt werden, und der Wissenschaftsjournalist kann da eine Rolle spielen, indem er Kriterien liefert, was überhaupt verlässliche Wissenschaft ist und wo man sie wirklich erkennt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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