Wissenschaftspolitische Erfolgsgeschichte

Moderation: Matthias Hanselmann |
Der derzeitige Vorsitzende des Wissenschaftsrats Peter Strohschneider glaubt, dass der Wissenschaftsrat seine Aufgaben "ziemlich erfolgreich bewältigt" habe. Manche der Empfehlungen seien allerdings erst nach 30 Jahren umgesetzt worden wie zum Beispiel die Lehrprofessur.
Hanselmann: Wir sprechen mit dem gegenwärtigen Vorsitzenden des Wissenschaftsrates, Prof. Dr. Peter Strohschneider. Guten Tag, Herr Strohschneider.

Peter Strohschneider: Guten Tag.

Hanselmann: Heute Nachmittag wird im Deutschen Historischen Museum in Berlin diskutiert und gefeiert werden aus Anlass des 50. Geburtstages des Wissenschaftsrates. Seine Funktion und Bedeutung haben wir eben geschildert bekommen. Herr Strohschneider, haben Sie wirklich Grund zum Feiern heute?

Strohschneider: Ja, das glaub ich, dass man das sagen kann. Der Wissenschaftsrat ist sozusagen vom Institutionentypus her eine Einrichtung im bundesdeutschen Wissenschafts- und Politikberatungssystem, der sich nicht leicht eine andere zur Seite stellen lässt, glaube ich, sagen zu können. Und er ist eine Einrichtung, die in den ersten 50 Jahren ihres Bestehens doch insgesamt ihre Aufgaben ziemlich erfolgreich bewältigt hat. Ich glaube, ich darf das selbst in meiner Rolle sagen, ohne mich sozusagen in Stilfragen zu disqualifizieren.

Hanselmann: Unter diesen erfolgreichen Bewältigungen der Aufgaben, welche würden Sie da besonders würdigen?

Strohschneider: Also es gibt natürlich in den 50 Jahren bundesrepublikanischer Wissenschafts- und Hochschulgeschichte, die der Wissenschaftsrat beratend, konzipierend, mitsteuernd begleitet hat, sehr unterschiedliche Phasen, aber man kann sicher die Phase des Ausbaus des Hochschulsystems in den späten 60er und in den frühen mittleren 70er Jahren besonders hervorheben. Man kann ganz bestimmt die Integration des Forschungssystems der DDR in das gesamt-bundesdeutsche Forschungssystem hervorheben, wo der Wissenschaftsrat sehr maßgeblich mit beteiligt gewesen ist. Und wir sind ja auch im Moment in einer Phase, in der sich Forschung, Wissenschaft, Hochschulen sehr, sehr durchgreifend verändern und wo der Rat, die Empfehlungsfähigkeit, die Expertise des Wissenschaftsrates vielfältig gefragt sind, nicht zuletzt in der Exzellenzinitiative.

Hanselmann: Darüber sprechen wir gleich noch. Vielleicht erst mal noch ein kleiner Blick in die Geschichte. Gab es die eine oder andere Empfehlung des Wissenschaftsrates, die Sie für fragwürdig oder gar falsch halten nachträglich?

Strohschneider: Also, ich bin noch gar nicht so lange im Wissenschaftsrat, dass ich schon Zeit gehabt hätte, sämtliche Empfehlungen und Stellungnahmen zu lesen, die im Laufe der Jahre produziert worden sind. Es gibt erfolgreichere Empfehlungen und weniger wirkungsreiche Empfehlungen. Es gibt aber auch eine, jetzt im Druck, erscheinende Geschichte des Wissenschaftsrates, macht das ziemlich deutlich. Es gibt auch sehr frühe wegweisende Konzeptionalisierungsversuche, gerade im Wissenschaftsrat, die sozusagen erst nach 30 Jahren dann durchzuschlagen beginnen im Wissenschaftssystem. Ich nenne als Beispiel die Lehrprofessur, die schon in den 60er Jahren in einer Empfehlung des Wissenschaftsrates stand.

Hanselmann: Die was genauer beinhaltet?

Strohschneider: Den Vorschlag, eine Differenzierung im Personal der Universitäten vorzunehmen, also Professuren mit einem Tätigkeitsschwerpunkt in der Forschung, was nicht heißt, dass sie nicht lehren sollen. Und aber auch Professuren mit einem Tätigkeitsschwerpunkt in der Lehre, was heißt, dass sie auch forschen sollen, aber eben einen Schwerpunkt in der Lehre haben sollen. So hat das der Wissenschaftsrat in seinen Empfehlungen vom Januar diesen Jahres beschrieben. Aber sozusagen eine Grundidee, wie man im historischen Rückblick sagen kann, ist schon vor über 40 Jahren diskutiert und ausgedacht worden.

Hanselmann: Herr Strohschneider, Sie haben es eben angesprochen. Immer wieder wird gejammert, Deutschland muss als Wissenschaftsstandort nach vorne gebracht werden, international stärker werden im Wettbewerb. Zurzeit ist ein großer Umbruch, der vonstatten geht. Sind wir da zum Beispiel mit der Exzellenzinitiative auf dem Vormarsch, können wir mithalten mit rasanten internationalen Entwicklungen?

Strohschneider: Also ich glaube, dass die Exzellenzinitiative ein glänzendes Instrument ist für die Aufgabe, die sie lösen soll, nämlich die Förderung und Sichtbarmachung internationaler Spitzenforschung. Und ich glaube auch, dass sie als Instrument, sozusagen als Steuerungsinstrument, von hochschulischer Forschung und auch von außerhochschulischer Forschung insoweit, wie sie sich mit universitärer Forschung kooperativ verbündet, dass sie auch als Instrument bemerkenswert ist. Jedenfalls kann man sehen, das, was wir machen mit der Exzellenzinitiative in der Bundesrepublik, dass das auch in englischen, auch in amerikanischen und in anderen europäischen Wissenschaftssystemen mit großer Aufmerksamkeit und mit großem Respekt, glaube ich auch, beobachtet wird.

Hanselmann: Was glauben Sie denn, wann werden wir eine verlässliche Rangliste der deutschen Unis haben, eine nach der sich Studierende wirklich richten können, sich den für ihr Studium optimalen Fachbereich, die optimale Uni wählen können?

Strohschneider: Ich glaube nicht, dass es die Rangliste geben wird, ich glaube, dass es bei den Ranglisten so ist, wie wir annehmen, dass es auch im Wissenschaftssystem selber sei. Die müssen auch miteinander konkurrieren, und es wird gewissermaßen eine Kulturtechnik sein, verschiedene Ranglisten miteinander vergleichen zu können. Die unterschiedlichen Informationsgehalte, die sie bieten, auf die eigenen Wünsche und Vorstellungen beziehen zu können und danach dann Entscheidungen zu treffen. Aber eine einzige Rangliste, glaube ich, wird es nicht wirklich geben. Dazu ist Wissenschaft als System zu komplex, zu polyfunktional und sozusagen zu differenziert.

Hanselmann: Herr Strohschneider, lassen Sie uns einen Blick in die Zukunft wagen. Wie sollte die deutsche Uni in 10, 20 Jahren ausschauen?

Strohschneider: Also ich denke, Sie sollte differenzierter sein. Es wird unterschiedliche Funktionsformen von Universitäten geben. Es wird sehr viel mehr Wettbewerb zwischen den Universitäten geben, Konkurrenzen könnte man sagen. Und man muss organisieren, dass diese Konkurrenzen produktiv sind, dass sie nicht kontraproduktiv sind. Das ist eine Aufgabe, die durchaus noch nicht bewältigt ist.

Ich denke, dass das gesamte Bildungssystem sich umorganisiert, so wie die Gesellschaft sich im Zuge - ja, wie soll man sagen - des Weges in die Wissenschaftsgesellschaft, der wachsenden Bedeutung von Wissenschaft für Gesellschaft, für Wirtschaft, für Kultur sich verändert. Und dass in diesem Veränderungsprozess, in diesem Wandlungsprozess die Wissenschaft und die Hochschulen dynamisch sich sozusagen mitentwickeln können und dass das ein chancenreicher Prozess ist, in dem die Risiken dann nicht überwiegen dürfen. Das ist eine Aufgabe, an der der Wissenschaftsrat mitarbeitet.

Hanselmann: Sie selbst sind Geisteswissenschaftler, Philologe und Mittelalter-Forscher. Wie steht es denn mit dem Verhältnis von Natur- und Geisteswissenschaften im Wissenschaftsrat, mal Hand aufs Herz, wie ernst werden die Geisteswissenschaften genommen?

Strohschneider: Ziemlich ernst. Der Wissenschaftsrat, würde ich sagen, ist die Institution im Felde von Wissenschaft und Wissenschaftspolitik, soweit ich es überblicken kann, wo mir so etwas Fachborniertheiten tatsächlich noch nie begegnet sind. Das liegt an der Diskussionskultur, die im Wissenschaftsrat herrscht. Es liegt auch an ziemlich simplen, sozusagen institutionellen Mechanismen. Der Rat kann Entscheidungen nur mit Zweidrittelmehrheit fällen, er braucht immer alle.
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