Brexit würde Lücken in den Forschungsetat der Unis reißen
Bei einem Brexit drohten Studierenden aus EU-Ländern bis zu doppelt so hohe Studiengebühren, warnt Georg Krawietz, der Leiter des Londoner DAAD-Büros. In den Forschungshaushalt der britischen Unis würde ein Wegfall der EU-Mittel erhebliche Lücken reißen.
Ein Brexit würde nach Ansicht von Georg Krawietz, Leiter des Londoner DAAD-Büros, dazu führen, dass britischen Universitäten künftig Forschungsgelder fehlten und das Studium in Großbritannien für EU-Ausländer deutlich teurer würde.
"Naive" Argumente der "Leave"-Kampagne
Die britischen Universitäten würden derzeit "sehr, sehr viel Geld aus EU-Förderprogrammen" einwerben, sagt Krawietz. Ohne diese Geld würde "eine erhebliche Lücke im Forschungshaushalt" entstehen. Diese lasse sich auch nicht einfach durch inländische Forschungsgelder decken, wie die Befürworter der "Leave"-Kampagne argumentierten. "Diese Rechnung ist meines Erachtens naiv", so der Londoner DAAD-Direktor. "Weil, es gibt viele Bereiche, die dann eben unterfinanziert werden würden. Und ob die Wissenschaft dann diejenige ist, die als erstes das Geld bekommt aus London, das halte ich für sehr fragwürdig."
Teures Studium für EU-Ausländer
Für Studierende aus dem EU-Ausland könnte sich nach einem Brexit das Studium erheblich verteuern, meint Krawietz. Denn bisher zahlten Studierende aus EU-Ländern die gleichen Studiengebühren wie britische: "Das sind knapp 9.000 Pfund im Durchschnitt, das heißt, für ein dreijähriges Bachelor-Studium muss man etwa 27.000 Pfund an Gebühren eben einrechnen."
Nicht-EU-Ausländer hingegen zahlten erheblich mehr: "Wir sprechen von Gebühren, die etwa 25 Prozent im Bereich der Geisteswissenschaften höher liegen. Denkt man an Laborfächer wie etwa Chemie oder Physik oder Ingenieurwissenschaften, können es etwa 50 Prozent mehr sein." In medizinischen Fächern drohten sogar doppelt so hohe Studiengebühren.
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Auch in der Hochschullandschaft ist man höchst beunruhigt und fürchtet fatale Folgen nach einem Austritt der Briten. Georg Krawietz leitet das Londoner Büro des DAAD, des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, und ist jetzt dort am Telefon. Schönen guten Morgen!
Georg Krawietz: Guten Morgen!
von Billerbeck: Welche Konsequenzen hätte denn ein Austritt der Briten für Forscher aus der EU?
Krawietz: Nun, es ist so, dass Forscher aus der EU keinen geringen Anteil der Forscherinnen und Forscher an britischen Hochschulen darstellen, etwa 16, 17 Prozent, oder in Zahlen ausgedrückt 30.000, 32.000 sind das momentan. Diese Männer und Frauen arbeiten an britischen Einrichtungen, das sind vor allen Dingen Hochschulen, es gibt in Großbritannien anders als in Deutschland einen relativ kleinen Teil der sogenannten außeruniversitären Forschung, das heißt, Wissenschaft findet vor allen Dingen an Hochschulen statt.
Diese Menschen müssten sich zukünftig, das heißt nach etwa zwei Jahren, wenn dann eventuell die neuen Verhandlungsergebnisse feststehen, müssten sich auch mit solchen Themen wie Visa- und Aufenthaltsfragen eben befassen. Das ist momentan im Rahmen der sogenannten Freizügigkeit, die ja eben für Waren und Dienstleistungen und auch für Menschen in der EU gelten, nicht der Fall. Das heißt, wer an einer britischen Universität lehrt und forscht, kann das momentan als EU-Bürger tun, so als wenn er eben ein Inländer wäre, ein britischer Staatsbürger.
500.000 internationale Studierende in Großbritannien
von Billerbeck: Das hieße ja, da kämen einige große Schwierigkeiten auf die britischen Unis zu, wenn da plötzlich 30.000 überlegen, ob sie sich das antun wollen.
Krawietz: Sie müssen sich zumindest auf sehr viel Bürokratie einstellen, das Thema Migration auch im Wissenschaftsbereich, das heißt Studierende oder Wissenschaftlerinnen und Forscher betreffend, ist in den letzten Jahren ohnehin schwieriger geworden. Also, man kann mittlerweile als Nicht-EU-Ausländer nicht mehr so ohne Weiteres an einer britischen Universität studieren, das ist erschwert worden. Das Ganze ist zu sehen im Zusammenhang mit Migration insgesamt, die man seitens der britischen Regierung einschränken wollte.
Man hat Zahlen definiert von etwa Maximum 100.000, die pro Jahr ins Land kommen sollten, letztlich ist man bei Zahlen von über 300.000 gelandet und daran waren auch eben internationale Studierende beteiligt, denen man in Anführungszeichen den Vorwurf gemacht hat, mit dazu beizutragen, dass man diese Begrenzung der Zuwanderung, mit 100.000 angegeben eben, nicht erreicht hat.
von Billerbeck: Welche Konsequenzen hätte es denn, wenn Großbritannien nicht mehr Mitglied der EU wäre, für Studierende oder für Studenten in spe?
Krawietz: Momentan ist es so, dass der Anteil der Studierenden im UK, die aus dem Ausland kommen, sehr, sehr hoch ist. Wir sprechen also von Zahlen, die etwa bei knapp 500.000 liegen …
von Billerbeck: Das ist eine Menge.
"Das Studium wird erheblich teurer"
Krawietz: Das heißt, der Anteil der internationalen Studierenden … Ja, das ist sehr viel in der Tat. Das ist sehr, sehr hoch. Diese internationalen Studierenden, wenn sie denn aus der EU kommen, zahlen in aller Regel diejenigen Gebühren, die auch ein Brite oder eine Britin eben zahlen, das sind knapp 9.000 Pfund im Durchschnitt. Das heißt, für ein dreijähriges Bachelorstudium muss man etwa 27.000 Pfund an Gebühren einrechnen. Diejenigen, die nicht aus der EU kommen, zahlen erheblich mehr.
Wir sprechen von Gebühren, die etwa 25 Prozent im Bereich der Geisteswissenschaften höher liegen. Denkt man an Laborfächer wie etwa Chemie oder eben auch Physik oder die Ingenieurwissenschaften, können das 50 Prozent mehr sein, wenn man an Medizin denkt, Medizinerfächer, können das durchaus bis zu 100 Prozent mehr sein. Das heißt, das Studium wird erheblich teurer.
Und wenn diese Gebühren dann auch von den EU-Studierenden erhoben würden, ob sich das so viele EU-Studierende wie bislang eben werden leisten können, ist dann wiederum eine andere Frage. Denn diese EU-Studierenden rechnen ja mittlerweile oder momentan damit, dass sie eben die Gebühren der Inländer zahlen, das wäre dann eine andere Situation für sie.
von Billerbeck: Nun kommen ja auch nicht unbeträchtliche Summen als Forschungsgelder aus der Europäischen Union. Welche Studiengänge und Wissenschaftsbereiche sind in Großbritannien denn davon besonders abhängig?
Krawietz: Im Grunde genommen alle. Also, die britischen Universitäten werben sehr, sehr viel Geld aus EU-Förderprogrammen eben ein. Die britischen Universitäten sind sehr beliebt als Kooperationspartner. Wenn andere Universitäten aus der EU Anträge stellen, in der Regel ist es so, dass wenigstens Universitäten und Hochschulen aus drei EU-Ländern Anträge stellen müssen, das ist eben der kooperative Gedanke der EU-Programme.
Fragwürdige Argumentation der Brexit-Befürworter
Aber wenn das wegfiele, dann würde eine erhebliche Lücke im Forschungshaushalt vieler Universitäten eben entstehen. Und den so einfach zu decken aus inländischen Mitteln, wie das eben Befürworter der Leave-Kampagne eben sagen, weil man dann eben weniger Geld nach Brüssel überweist, dann würden die britischen Universitäten das Geld eben sozusagen direkt aus London bekommen, diese Rechnung ist meines Erachtens naiv. Und das wird so einfach nicht funktionieren, weil, es gibt viele Bereiche, die dann eben unterfinanziert werden würden. Und ob die Wissenschaft dann diejenige ist, die als Erstes das Geld bekommt aus London, das halte ich für sehr fragwürdig.
von Billerbeck: Was ich mich auch frage, ist, wie das in so einem global ausgerichteten Betrieb wie der Wissenschaft überhaupt funktionieren soll. Wie sehen Sie das?
Krawietz: Wenn man mit Hochschulvertretern spricht, dann wird der Beitrag der EU-Studierenden als sozusagen ein Teil der internationalen Gemeinschaft sehr geschätzt. Es ist so, dass die chinesischen Bürgerinnen und Bürger, Studierenden momentan den höchsten Anteil darstellen, etwa 90.000 im UK, und es gibt viele, viele Nationen, aus denen eben Studierende nach Großbritannien kommen. Aber es ist gerade diese Mischung aus verschiedenen Ländern, die sozusagen den internationalen Charakter eben auch des Studiums in Großbritannien ausmacht.
Wenn diese Gruppe sich dahingehend verändern würde, dass der Anteil der EU-Studierenden eben drastisch nachließe, da hört man von britischen Professorinnen und Professoren schon, dass das sehr, sehr bedauert werden würde. Weil immer dann, wenn sozusagen so eine Gruppe kleiner wird und bestimmte Hintergründe, was Sprache, Kultur, Denken und so weiter angeht, wenn die zu groß würden oder zu Ungleichgewichten das führen würde, das ist für das akademische Klima, das akademische Denken und Diskutieren immer ein Nachteil.
von Billerbeck: Einschätzungen waren das vom Londoner DAAD-Büroleiter Georg Krawietz. Ich danke Ihnen!
Krawietz: Gerne, alles Gute nach Berlin!
von Billerbeck: Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.