Wissenschaftssystem hat nicht versagt
Bundesbildungsministerin Annette Schavan hat die Entscheidung der Universität Bayreuth begrüßt, ihrem Kabinettskollegen Karl-Theodor zu Guttenberg den Doktortitel abzuerkennen. Es sei gut, dass die Universität die Dissertation zügig geprüft habe, sagte die CDU-Politikerin.
Ute Welty: Manchmal scheint es, als habe zum Thema Bildung jeder etwas zu sagen. So diskutieren auf der Bildungsmesse didacta in Stuttgart der Schauspieler Hannes Jaenicke wie auch der frühere Außenminister Klaus Kinkel. Eine Menge Unternehmen bieten Essen für die Schulmensa an oder Lernprogramme für Spielekonsolen. Bei der Fülle des Angebotes wundert es dann nicht, wenn immer noch zehn Prozent die Schule ohne Abschluss verlassen, und warum Deutschland beim Pisa-Test nicht übers Mittelmaß hinauskommt. Vielleicht liegt es dann doch an des Deutschen liebstem Bildungskind: dem Föderalismus. Ob Bildung länger Ländersache sein soll, darüber spreche ich jetzt mit Bundesbildungsministerin Annette Schavan. Guten Morgen!
Annette Schavan: Schönen guten Morgen, Frau Welty!
Moderatorin: Die Macher der didacta sagen ganz klar: Deutschland braucht einen, und zwar den besten Bildungsplan, und nicht 16 föderale Freilandversuche. Warum verhallt diese Forderung der Experten im politischen Ohr bislang derart ungehört?
Schavan: Deutschland ist, wie übrigens viele andere Länder, ein föderales Land. Das steht so im Grundgesetz. Das muss auch nicht Konsequenzen für die Qualität von Bildung haben, wenn klar ist – und das ist ja die Forderung, die auf der didacta formuliert worden ist –, dass zugleich dieses Bildungssystem mehr Vergleichbarkeit braucht, also Vergleichbarkeit der Bildungsabschlüsse, der Bildungsgänge, der Bildungspläne. Die ersten Länder machen sich auf den Weg. Ich habe das oft gesagt, wir müssen das erreichen, weil ansonsten der Föderalismus grundsätzlich infrage gestellt wird.
Moderatorin: Aber die Praxis zeigt doch und die Erfahrungen auch der Menschen, dass es immer schwieriger wird, Vergleiche anzustellen, beispielsweise die Grundschulzeit in Nordrhein-Westfalen sind vier Jahre und in Berlin sechs.
Schavan: Deshalb ist es notwendig, dass in den nächsten Jahren die 16 Länder sich auch in diesen Fragen auf Vergleichbarkeit konzentrieren, also zum Beispiel die Tatsache, dass es jetzt 96 Schulbezeichnungen gibt, reduzieren auf zehn bis zwölf.
Aber es wäre ganz falsch, den Eindruck zu erwecken, dass die Qualität von Bildung daran hängt, ob es Vergleichbarkeit gibt oder nicht. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit, der Mobilität. Die ersten Länder, noch einmal gesagt, machen sich auf den Weg, jetzt zum Beispiel zur gemeinsamen Abiturprüfung. Es ist keine Qualitätsfrage, aber es ist eine Gerechtigkeitsfrage. Und da darf es nicht mehr Auseinander geben, sondern mehr Gemeinsamkeit.
Moderatorin: Die ersten Länder nach 60 Jahren Föderalismus und Bildungsföderalismus – müsste das nicht reichen, um herauszufinden, was in Sachen Bildung funktioniert und was nicht funktioniert?
Schavan: Wir haben gerade in den letzten Jahren festgestellt, dass, wenn ich die Ergebnisse der Pisa-Studie mir anschaue, wir zu deutlichen Verbesserungen gekommen sind. Und jetzt ist die Zeit, in der es auch darum geht, in der Bildungspolitik nicht nur den Blick auf Institutionen zu werfen:
Die Gesellschaft braucht mehr Bildungsbegeisterung, braucht mehr Bildungshunger, braucht mehr Unterstützung für die Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer, mehr Autorität für die Schule – deshalb haben wir auf der didacta die Allianz für Bildung ins Leben gerufen –, damit das, was in unseren Bibliotheken, in Sport, in der kulturellen Jugendbildung, in vielen Stiftungen geleistet wird, noch besser genutzt werden kann, verstärkt wird, um Bildungschancen zu verbessern.
Das ist jetzt angesagt – die Verbindung von Bildungsreformen, die zu mehr Gemeinsamkeit führen, und eine Allianz in der Gesellschaft, die deutlich macht: Wir sind auf dem Weg in die Bildungsrepublik Deutschland. Und ich finde, dass gerade die öffentliche Debatte über den Föderalismus zu Verbesserungen geführt hat.
Moderatorin: Gerade in den letzten Jahren hat die Politik die Situation ja noch verschlimmbessert durch das sogenannte Kooperationsverbot im ersten Teil der Föderalismusreform. Damit wird es dem Bund sehr schwer gemacht, um es vorsichtig auszudrücken, Geld im Bildungsbereich zu investieren. Hätten Sie nicht längst dieses Kooperationsverbot revidieren müssen?
Schavan: Um das Kooperationsverbot zu revidieren, braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und die Zustimmung der Länder. Das ist nicht einfach. Ich bin der Überzeugung, dass der Föderalismus das Kooperationsverbot nicht braucht und dass es immer mehr auch zu einem Stachel wird, der dazu führt, dass der Föderalismus infrage gestellt wird. Deshalb gehöre ich zu denen, die sagen: Wir sollten deutlich machen, dass Bildung eine gesellschaftliche Aufgabe ist, die Zuständigkeitsfrage niemanden interessiert, Bund, Länder und Kommunen zu gemeinsamen bildungspolitischen Initiativen kommen müssen.
Moderatorin: Befürchten Sie darüber hinaus, dass das Ansehen des deutschen Bildungssystems noch mehr und weiter leidet angesichts der Plagiatsvorwürfe gegen Verteidigungsminister zu Guttenberg und angesichts der Tatsache, dass die Universität Bayreuth dieser seiner Arbeit erst die höchste Auszeichnung verliehen hat und jetzt den akademischen Grad aberkennt?
Schavan: Wissenschaftliche Integrität ist ein hohes Gut. Und dazu gehört, die Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens zu kennen und konsequent anzuwenden. Und deshalb ist es gut, dass die Universität Bayreuth die Dissertation zügig geprüft hat, und ich finde, ihre Entscheidung zeigt, dass die Selbstregulierungskräfte der Wissenschaft wirksam sind.
Viele, die in der Wissenschaft arbeiten, sind natürlich enttäuscht darüber, dass eine Dissertation so zustande gekommen ist, und ich finde, dass die gestrige Entscheidung zeigt: Die Wissenschaft ist souverän, die Wissenschaft entscheidet zügig. Wir haben in Deutschland im Schnitt rund 24.000 Doktorarbeiten im Jahr, wir haben Ombudsleute, die bei Zweifeln …
Moderatorin: Aber Frau Schavan, der Fehler ist doch schon gemacht worden, indem diese Arbeit eben offensichtlich nicht hinreichend überprüft wurde.
Schavan: Der Fehler ist gemacht worden. Es gibt Situationen, in denen Fehler gemacht werden. Und entscheidend ist, dass ein System dann Selbstregulierungskräfte hat, und das ist gestern deutlich geworden. Der Titel ist aberkannt, und damit ist klar seitens der Wissenschaft gesagt worden: Hier ist ein Fehler gemacht worden beim Zustandekommen der Arbeit und bei der Bewertung der Arbeit, und insofern sage ich: Die hohe Qualität der Wissenschaft zeigt sich darin, dass sie zügig in der Lage ist, dann Fehler auch zuzugeben und klare Konsequenzen zu ziehen.
Moderatorin: Bundesbildungsministerin Annette Schavan in Deutschlandradio Kultur. Ich danke sehr fürs Gespräch!
Schavan: Bitte schön!
Annette Schavan: Schönen guten Morgen, Frau Welty!
Moderatorin: Die Macher der didacta sagen ganz klar: Deutschland braucht einen, und zwar den besten Bildungsplan, und nicht 16 föderale Freilandversuche. Warum verhallt diese Forderung der Experten im politischen Ohr bislang derart ungehört?
Schavan: Deutschland ist, wie übrigens viele andere Länder, ein föderales Land. Das steht so im Grundgesetz. Das muss auch nicht Konsequenzen für die Qualität von Bildung haben, wenn klar ist – und das ist ja die Forderung, die auf der didacta formuliert worden ist –, dass zugleich dieses Bildungssystem mehr Vergleichbarkeit braucht, also Vergleichbarkeit der Bildungsabschlüsse, der Bildungsgänge, der Bildungspläne. Die ersten Länder machen sich auf den Weg. Ich habe das oft gesagt, wir müssen das erreichen, weil ansonsten der Föderalismus grundsätzlich infrage gestellt wird.
Moderatorin: Aber die Praxis zeigt doch und die Erfahrungen auch der Menschen, dass es immer schwieriger wird, Vergleiche anzustellen, beispielsweise die Grundschulzeit in Nordrhein-Westfalen sind vier Jahre und in Berlin sechs.
Schavan: Deshalb ist es notwendig, dass in den nächsten Jahren die 16 Länder sich auch in diesen Fragen auf Vergleichbarkeit konzentrieren, also zum Beispiel die Tatsache, dass es jetzt 96 Schulbezeichnungen gibt, reduzieren auf zehn bis zwölf.
Aber es wäre ganz falsch, den Eindruck zu erwecken, dass die Qualität von Bildung daran hängt, ob es Vergleichbarkeit gibt oder nicht. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit, der Mobilität. Die ersten Länder, noch einmal gesagt, machen sich auf den Weg, jetzt zum Beispiel zur gemeinsamen Abiturprüfung. Es ist keine Qualitätsfrage, aber es ist eine Gerechtigkeitsfrage. Und da darf es nicht mehr Auseinander geben, sondern mehr Gemeinsamkeit.
Moderatorin: Die ersten Länder nach 60 Jahren Föderalismus und Bildungsföderalismus – müsste das nicht reichen, um herauszufinden, was in Sachen Bildung funktioniert und was nicht funktioniert?
Schavan: Wir haben gerade in den letzten Jahren festgestellt, dass, wenn ich die Ergebnisse der Pisa-Studie mir anschaue, wir zu deutlichen Verbesserungen gekommen sind. Und jetzt ist die Zeit, in der es auch darum geht, in der Bildungspolitik nicht nur den Blick auf Institutionen zu werfen:
Die Gesellschaft braucht mehr Bildungsbegeisterung, braucht mehr Bildungshunger, braucht mehr Unterstützung für die Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer, mehr Autorität für die Schule – deshalb haben wir auf der didacta die Allianz für Bildung ins Leben gerufen –, damit das, was in unseren Bibliotheken, in Sport, in der kulturellen Jugendbildung, in vielen Stiftungen geleistet wird, noch besser genutzt werden kann, verstärkt wird, um Bildungschancen zu verbessern.
Das ist jetzt angesagt – die Verbindung von Bildungsreformen, die zu mehr Gemeinsamkeit führen, und eine Allianz in der Gesellschaft, die deutlich macht: Wir sind auf dem Weg in die Bildungsrepublik Deutschland. Und ich finde, dass gerade die öffentliche Debatte über den Föderalismus zu Verbesserungen geführt hat.
Moderatorin: Gerade in den letzten Jahren hat die Politik die Situation ja noch verschlimmbessert durch das sogenannte Kooperationsverbot im ersten Teil der Föderalismusreform. Damit wird es dem Bund sehr schwer gemacht, um es vorsichtig auszudrücken, Geld im Bildungsbereich zu investieren. Hätten Sie nicht längst dieses Kooperationsverbot revidieren müssen?
Schavan: Um das Kooperationsverbot zu revidieren, braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und die Zustimmung der Länder. Das ist nicht einfach. Ich bin der Überzeugung, dass der Föderalismus das Kooperationsverbot nicht braucht und dass es immer mehr auch zu einem Stachel wird, der dazu führt, dass der Föderalismus infrage gestellt wird. Deshalb gehöre ich zu denen, die sagen: Wir sollten deutlich machen, dass Bildung eine gesellschaftliche Aufgabe ist, die Zuständigkeitsfrage niemanden interessiert, Bund, Länder und Kommunen zu gemeinsamen bildungspolitischen Initiativen kommen müssen.
Moderatorin: Befürchten Sie darüber hinaus, dass das Ansehen des deutschen Bildungssystems noch mehr und weiter leidet angesichts der Plagiatsvorwürfe gegen Verteidigungsminister zu Guttenberg und angesichts der Tatsache, dass die Universität Bayreuth dieser seiner Arbeit erst die höchste Auszeichnung verliehen hat und jetzt den akademischen Grad aberkennt?
Schavan: Wissenschaftliche Integrität ist ein hohes Gut. Und dazu gehört, die Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens zu kennen und konsequent anzuwenden. Und deshalb ist es gut, dass die Universität Bayreuth die Dissertation zügig geprüft hat, und ich finde, ihre Entscheidung zeigt, dass die Selbstregulierungskräfte der Wissenschaft wirksam sind.
Viele, die in der Wissenschaft arbeiten, sind natürlich enttäuscht darüber, dass eine Dissertation so zustande gekommen ist, und ich finde, dass die gestrige Entscheidung zeigt: Die Wissenschaft ist souverän, die Wissenschaft entscheidet zügig. Wir haben in Deutschland im Schnitt rund 24.000 Doktorarbeiten im Jahr, wir haben Ombudsleute, die bei Zweifeln …
Moderatorin: Aber Frau Schavan, der Fehler ist doch schon gemacht worden, indem diese Arbeit eben offensichtlich nicht hinreichend überprüft wurde.
Schavan: Der Fehler ist gemacht worden. Es gibt Situationen, in denen Fehler gemacht werden. Und entscheidend ist, dass ein System dann Selbstregulierungskräfte hat, und das ist gestern deutlich geworden. Der Titel ist aberkannt, und damit ist klar seitens der Wissenschaft gesagt worden: Hier ist ein Fehler gemacht worden beim Zustandekommen der Arbeit und bei der Bewertung der Arbeit, und insofern sage ich: Die hohe Qualität der Wissenschaft zeigt sich darin, dass sie zügig in der Lage ist, dann Fehler auch zuzugeben und klare Konsequenzen zu ziehen.
Moderatorin: Bundesbildungsministerin Annette Schavan in Deutschlandradio Kultur. Ich danke sehr fürs Gespräch!
Schavan: Bitte schön!