Witold Gombrowicz: "Kronos - Intimes Tagebuch"

Bissige Betrachtungen

Der polnische Schriftsteller Witold Gombrowicz im Jahr 1965 (hinter ihm steht der Autor Slawomir Mrozek)
Witold Gombrowicz (im Jahr 1965, hinter ihm steht der Autor Slawomir Mrozek) gehört zu den bedeutendsten polnischen Schriftstellern. © imago / Eastnews
Von Katharina Döbler |
Der Pole Witold Gombrowicz gehört zu den größten Autoren der Moderne. Seine Tagebücher aus den Jahren 1953 bis 1969 erschienen im wichtigsten polnischen Exilverlag in Paris - und erreichten internationalen Kultstatus.
Der eigenwillige, um nicht zu sagen - exzentrische Gombrowicz - nutzte die Form der intellektuellen Lebensmitschrift erst im argentinischen, dann im französichen Exil zu wahnwitzigen Selbstbespiegelungen und bissig-brillanten Betrachtungen seiner Zeit.
Wenn er in seinen Stücken und Romanen gesellschaftliche Konventionen und moralische Wertsysteme genüsslich ad absurdum führte (wie in "Pornografie" oder "Ferdydurke"), zermalmte er in seinen Tagebüchern schonungslos Zeitgeschichte, Kultur und alles, was ihm sonst so vor die geladene Feder kam. Einziger Maßstab dabei war sein gigantisches Ego, das zu spiegeln, zu ironisieren und zu feiern er nie müde wurde.
Dass er nebenher ein "intimes Tagebuch" führte, war bekannt. Seine Witwe hielt es bis 2013 unter Verschluss; inzwischen ist es auch auf Deutsch in der ausgezeichneten Übersetzung von Olaf Kühl erschienen. Es ist keine Offenbarung, jedenfalls keine literarische.
Gombrowicz begann Anfang der Fünfzigerjahre, Zusammenfassungen seiner Monate und Jahre (auch in der Rückschau) auf großen Bögen zu notieren. Diese "Tableaux", die im Buch zum Teil als Faksimiles abgedruckt sind, haben etwas durchaus schematisches, und so waren sie auch gedacht: Unter den Rubriken Erotik, Finanzen oder Literatur finden sich Zahlen, Abkürzungen, Namen.
Krankheiten als zentrales Thema
Akribisch notierte der Mann, der als Einziger des Dreigestirns der polnischen Moderne den Krieg überlebt hatte, Ehrungen, Kritiken, Honorare, Kontostand und die phasenweise recht hohe Frequenz kurzer sexueller Affären, mit Männern wie mit Frauen. Mit der Zeit wurden die Krankheiten zum zentralen Thema, ebenso die diversen Medikamente und Therapien, denen der Autor sehr viel mehr Platz einräumt wird als der Liebe seiner letzten Lebensjahre, der 30 Jahre jüngeren Französin Rita Labrosse.
Aus dem gemeinsamen Leben mit ihr werden vor allem Anschaffungen und Streitereien notiert. Und zur Eheschließung Ende 1968 notiert er bissig, was die Boulevardzeitungen darüber schrieben. "Verreckender Graf, 65, ehelicht auf dem Sterbebett seine Sekretärin".
Das klingt dann am Ende doch wieder ganz nach dem Gombrowicz, den wir aus seinen Büchern kennen.
Ansonsten steht hier der depressiv-hypochondrische Narziss ohne die sorgfältig drapierten Gewänder seiner glänzenden Sprache vor seinen Lesern.
Seine zu Lebzeiten publizierten Tagebücher, die den Eindruck zu erwecken versuchen, ungeschminkt authentisch und roh zu sein, waren in Wahrheit sorgfältig gearbeitete Stilisierungen. Im intimen Tagebuch aber gibt es solche Maskierungen nicht mehr.

Witold Gombrowicz: Kronos - Intimes Tagebuch
aus dem Polnischen von Olaf Kühl
Hanser, München 2015
360 Seiten, 27,90 Euro

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