Luther und die Avantgarde
Kunstausstellung im Alten Gefängnis in Wittenberg vom 19. Mai - 17. September 2017
Künstler versetzen Luther ins Heute
Im ehemaligen Gefängnisbau in Wittenberg (Sachsen-Anhalt) haben sich namhafte Künstler wie Ai Weiwei, Günther Uecker und Jonathan Meese von Martin Luther inspirieren lassen. Meese hat seine eigenen Thesen an die Zellenwand geschrieben.
Auf dem einstigen Gefängnishof hat Achim Monhé zwischen Büschen und Sand ein Feld aus fast 700 Steinplatten angelegt. Darauf wird man aus der Luft das gepixelte Porträt von Edward Snowden erkennen. Drohnen sollen das Foto ins Internet einspeisen:
"Ich hatte mir die Frage gestellt, wie sähe eine Reformation heute aus. Es ist zwar keine religiös motivierte Reformation, die von Snowden betrieben wurde, aber es ist eine Reformation innerhalb der digitalen Welt."
Industrieroboter schreibt Bibel mit Tusche
Im Erdgeschoss des ockerfarbenen Gefängnisbaus war noch bis nach der Wende das Wittenberger Grundbuchamt untergebracht. Die Zellen in den oberen Stockwerken wurden bis 1975 benutzt. Jetzt gestalten die Künstlerinnen und Künstler die etwa sechs Quadratmeter großen Räume für die Ausstellung "Luther und die Avantgarde". Sie lassen sich zum einen von der Person Martin Luther inspirieren, zum anderen von den untergehenden Techniken der Handschrift und des Druckens. Das Karlsruher Künstlerkollektiv Robotlab hat einen Industrieroboter so programmiert, dass er während der Ausstellung die Bibel mit Tusche in Kalligraphie schreibt. Bei einer früheren Präsentation hat Jan Zappe festgestellt:
"... dass sowohl die Bibel als auch die Maschine sich gegenseitig aufladen. Also der Betrachter, der in die Ausstellung kommt, sagt, okay, was erlaubt der Maschine jetzt so einen sakralen Text zu schreiben auf der einen Seite und auf der anderen Seite, wie kommt es, dass dieser sakrale, schon seit 2000 Jahren existierende Text plötzlich mit so einer modernen Technik realisiert wird."
Viele Künstler aus China dabei
Ein dezenter Wandfries im Treppenhaus begleitet die Besucher auf dem Weg nach oben. Die chinesische Künstlerin Jia hat alle Zeichen gesammelt, die in China seit der Schriftreform in den 50er-Jahren verboten sind. Die Buchstaben sind so streng geometrisch gehalten, dass man glaubt, ein Häftling habe mit den Strichen seine Tage gezählt. Für Xu Dan von der Bonner Stiftung für Kunst und Kultur, die diese Ausstellung organisiert, unterstreicht der Ort das kuratorische Konzept:
"Wir befinden uns hier in einem Gefängnis, also an einem Ort, wo normalerweise eben keine äußere Freiheit herrscht, weil der Körper ist gefangen. Aber dennoch gibt es die innere Freiheit, die Gedanken, der Geist, der ist, so behaupten viele Künstler, immer frei."
Weil die Stiftung für Kunst und Kultur mit ihrem Vorsitzenden Walter Smerling vor zwei Jahren "China 8", einen Austausch mit chinesischen Künstlern initiierte, sind jetzt auch in Wittenberg überraschend viele Künstler aus China vertreten. Nach der Eröffnung wird man sehen müssen, ob das den Blick auf Luther schärft oder in die Beliebigkeit verzerrt.
Ungewöhnlich präzise reagiert Ai Weiwei auf den Ort. Der Künstler hat seinen Körperabdruck in Beton gegossen. Die beiden offenen Hälften des Blocks machen die bedrückende äußere Enge spürbar, die auch der inneren Freiheit die Luft abschnüren kann.
Meese: "Luther hat für das Falsche gekämpft"
Mit Höllenlärm wird eine Figur von Markus Lüpertz in den oberen Stock gezogen. Ein paar Schritte weiter hat Jonathan Meese seine eigenen Thesen an die Zellenwand geschrieben. Als Einziger verweigert er sich konsequent der Luther Hagiographie.
"Martin Luther war schlau. Der hat vieles richtig gemacht. Aber das Vorzeichen ist falsch und dann ist die Rechnung immer falsch. Also er hat für das Falsche gekämpft – nämlich Religion. Meese kämpft auch für etwas, das ist aber das Geile. Ob es das Richtige ist, das kann ich gar nicht entscheiden. Es ist das Zukünftige. Denn Luther steht natürlich auch für Essen und Trinken und Leben und Vitalität und Fliehen und Gejagtwerden und sich durchsetzen und scheitern und alles. Das ist ja in Ordnung. Nur, wofür der gebrannt hat, war falsch! Energieverschwendung!"
In einigen Tagen wird auch Günther Uecker zum Aufbau anreisen, der selbst einmal mit dem Nagel in der Hand die heiligen Museumshallen stürmte. Spannend wäre es, wenn Reibung zwischen den verschiedenen künstlerischen Haltungen entstünde. Doch leider behindern die Einzelzellen den Disput. Da erweist sich die naheliegende Ortswahl als Falle.