Wittstock - eine Kleinstadt wehrt sich gegen den Rechtsextremismus

Von Claudia van Laak |
Wittstock - die brandenburgische Kleinstadt auf halbem Weg zwischen Berlin und Hamburg hat ein großes Problem: Rechtsextremismus. Die KZ-Gedenkstätte Belower Wald brannte, Neonazis verfolgten Dunkelhäutige, terrorisierten ausländische Restaurantbesitzer. Lange schauten die Wittstocker weg, zu lange, wie manche meinen. 2001 gründete sich ein Bürgerbündnis. Die Zahl der rechtsextremen Straftaten geht seitdem zurück. Eine bürgernahe Ortsbesichtigung von Claudia van Laak.
Kenzler: "Ich wohne in Wittstock, Wittstock ist eine sehr schöne Stadt, und das lassen wir uns nicht kaputtmachen von einigen oder auch von irregeleiteten Jugendlichen."

Steinbach: "Alle Menschen sind verpflichtet, bekannt zu geben, dass das Leben außerhalb des Rechtsextremismus wesentlich wertvoller ist."

Engel: "Ich denke, die rechtsextreme Szene muss intensiv bekämpft werden."

Guskowsky: "Es geht darum, die Plätze in der Stadt zu besetzen, es geht aber auch darum, die Plätze in den Köpfen zu besetzen."

Wittstock an der Dosse - ein beschauliches Städtchen im Landkreis Ostprignitz-Ruppin. 16.146 Einwohner, eine mittelalterliche Stadtmauer, ein neugotisches Rathaus, eine imposante gotische Backsteinhallenkirche, gepflasterte Straßen und Plätze. Wie alle Städte im Nordosten schrumpft auch Wittstock - sechs Schulen mussten bereits schließen. Die Post steht zum Verkauf, das Bahnhofsgebäude leer und verrammelt, die Gebäude der ehemaligen Möbelfirma verfallen.

Im italienischen Restaurant "La Torre" am Wittstocker Marktplatz sind an diesem Mittag nur wenige Tische besetzt. Besitzer Mujo Memidi bedient persönlich. Vor fünf Jahren hat der Mazedonier das Restaurant eröffnet. Es dauerte nur wenige Tage, da standen Neonazis vor seiner Tür.

Memidi: "Ich habe auch schlechte Erfahrungen gemacht mit die Rechten. Habe oft verschiedene Sachbeschädigungen gehabt, Eisschilder zerstört, Tische zerstört, kaputtgemacht, Scheiben eingeschlagen über Nacht."

Mujo Memidi lässt sich nicht einschüchtern. Anders als die türkischen und asiatischen Gastronomen in Wittstock erstattet er jedes Mal Anzeige. Die Drohungen nehmen zu, die Neonazis greifen ihn persönlich an.

Memidi: "Ja, oft angegriffen, aber ich lasse nicht zu. Bevor er mir weh tut, soll er an eigenem Leib spüren. Solche Sprüche, Scheiß Ausländer, Scheiß Ittaker, Scheiß Kanake, scheiß Türke, ich nehme die Arbeit weg."

Diesen Spruch mit der Arbeit, den kann der Mazedonier am wenigsten verstehen. Schließlich beschäftigt er in seinem Restaurant fünf deutsche Angestellte, bildet einen Lehrling aus.

Memidi: "Diese Rechten, die kassieren unsere Steuergelder, was sie uns unterstellen, dass wir von der Staat leben, was nicht stimmt. Wenn ich soweit komme, dass ich von der Staat lebe, dann packe ich meinen Koffer und gehe ich."

Ein Jahr hält Memidi die Drohungen der Neonazis aus, dann bekommt er Magenkrebs, ist kurz davor, seine Koffer zu packen und Wittstock den Rücken zu kehren. Zu diesem Zeitpunkt gibt es in der brandenburgischen Kleinstadt etwa 60 gewalttätige Neonazis. Sie dominieren das Stadtbild, besetzen die wichtigen Plätze, verbreiten Angst. Alle zwei Monate marschiert eine NPD-Demo durch das Städtchen.
Kriminaloberkommissar Torsten P.:

"Wir würden sagen, dass bis zu diesem Höhepunkt, bis zum Sommer 2004, hier eigentlich nur eine Jugendkultur war. Entweder man hat dazu gehört und hat sich damit identifiziert, hat wenigstens diese Jugendkultur akzeptiert, man durfte jedenfalls nicht dagegen sein."

Der 38-jährige P. ist seit sieben Jahren zuständig für politisch motivierte Kriminalität im Kreis Ostprignitz-Ruppin. Er und seine Kollegen sind gewillt, hart einzugreifen gegen Neonazis, doch die Wittstocker schauen lange Zeit weg. Auch die Stadtverwaltung weiß nicht, wie sie mit diesem Phänomen umgehen soll. Dorothea Stüben ist für die Bereiche Sicherheit, Ordnung, Kultur und Jugend zuständig.

Dorothea Stüben: "Ja, wir haben auch Leute in der Stadt, die etwas tragen, Sachen tragen mit verbotenen Symbolen, sind die überhaupt verboten, das ist ja auch eine gewisse Unkenntnis. Es wurde schon wahrgenommen, das da was ist, aber das gab's ja auch woanders."

Die Liste der rechtsextrem motivierten Straftaten ist lang in Wittstock. Allein 2002 zählt die Polizei 43 Delikte. In den 90er Jahren gibt es einige spektakuläre Taten: Fünf Männer verprügeln nach einem Disco-Besuch einen Russlanddeutschen. Einer der Täter greift zu einem Feldstein, schlägt den Mann tot. Dorothea Stüben - zuständig für Sicherheit und Ordnung - will von all diesen Taten nichts erfahren haben.

"Das war doch der Bevölkerung nicht bekannt. Wenn es diese Ereignisse gab, dann bin ich ganz ehrlich, dass ich davon erst zwei oder drei Jahre später erfahren habe. Es war ja keine öffentliche Diskussion über dieses Ereignis da, es war sicherlich eine Zeitungsmeldung, aber ob da immer so ein Hintergrund da gesehen wird."

Viele Wittstocker wollen nichts gesehen haben, wenn randalierende Neonazis durch ihre Stadt ziehen und Ausländer anpöbeln. Sie trauen sich nicht, Anzeige zu erstatten, haben Angst, bei Gerichtsverfahren als Zeugen auszusagen. Zivilfahnder Torsten P. fühlt sich lange alleine gelassen im Kampf gegen den Rechtsextremismus.

"Also viele wollten damit einfach nichts zu tun haben. Oder wenn es darum ging 'Würden Sie denn auch ein entsprechendes Protokoll unterschreiben?' - 'Nein, nein, unterschreiben tu ich hier gar nichts'. Das hab ich selbst erlebt."

Erst allmählich ändert sich die Stimmung in Wittstock. 2001 gründet sich das Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus. Die erste Forderung: Die Stadt soll sich offen zu ihrem Problem bekennen.

Wolfgang Engel: "Ja, das ist schwer, das ist auch verständlich. Es ist ein Imageverlust jeder Stadt, einer jeden Region, da muss man schon gefestigt sein, um zu sagen, ja, das ist bei uns eine Tendenz, dagegen müssen wir vorgehen."

Wolfgang Engel ist CDU-Mitglied und Kommandant des Truppenübungsplatzes Wittstock. Der Mann mit dem festen Händedruck gehört zu den Gründungsmitgliedern des Bürgerbündnisses und weiß um die anfänglichen Schwierigkeiten.

"Nicht alle waren begeistert von dem, was da läuft, und manche haben gesagt, es wäre rufschädigend, wenn man in der Richtung etwas dagegen unternimmt."

Doch die Stimmen mehren sich, etwas gegen den rechtsextremen Spuk zu unternehmen, die Bürgerinitiative wächst. Der örtliche Polizeichef ist dabei, der Superintendent, die Lehrerin, die Feuerwehrfrau, der Oberstleutnant der Bundeswehr. Die Sozialarbeiterin Gisela Guskowsky stößt dazu - ihr farbiger Sohn ist Opfer eines rassistischen Überfalls geworden.

"Die kannten sich vom Sehen, die saßen immer vor dem Haus, und haben dann eines Abends gefeiert, und die beiden Jungs waren oben, und dann haben sie die Tür eingetreten: 'Wo ist der Nigger?' Der ist dann über den Balkon geflüchtet."

Manuel hangelt sich von einem Balkon zum anderen, stürzt dann ab, verletzt sich leicht, schlägt sich durch die Gärten, ruft am nächsten Morgen seine Mutter an.

"Er hat sich lange unwohl gefühlt, die ersten beiden Jahre hat er sich nicht recht rausgetraut, immer mit dem Fahrrad unterwegs."

Seitdem engagiert sich die schmale, kleine Frau im Bürgerbündnis. Ihre erste wichtige Aktion: Nach einer Neonazi-Demonstration kehren sie symbolisch den Marktplatz sauber. Allmählich setzt sich auch in der Stadtverwaltung die Ansicht durch, dass man nicht länger die Augen verschließen kann. Mitarbeiterin Dorothea Stüben sagt heute:

"Wir sehen das einfach als Pflicht an, dass wir weiter mitarbeiten, wir möchten es natürlich auch als Verwaltung, wir sind wirklich froh, dass wir dieses Bürgerbündnis haben, als Stadt, als Verwaltung."

Engagierte Demokratinnen und Demokraten haben einen Sinneswandel in der Stadt bewirkt. War es früher opportun, den Kopf wegzudrehen und zu schweigen, ist es jetzt eine Art moralische Verpflichtung, sich gegen den Rechtsextremismus zur Wehr zu setzen. Dieses Engagement weiß auch Brandenburgs Landesregierung zu schätzen. Verfassungsschutzchefin Winfriede Schreiber:

"Wittstock war mal ein Schwerpunkt, doch gerade in Wittstock zeigt sich nach unserer Erfahrung, dass bürgerliches Engagement hilft und Extremisten das Wasser abgräbt."

Treffpunkt der rechtsextremen Szene ist lange Zeit eine Wittstocker Tankstelle. Der Pächter lässt die Neonazis gewähren - vielleicht bedrohen sie ihn, vielleicht ist er ein politischer Sympathisant. Zeitweise 50 bis 80 Skinheads aus Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern betrinken sich an der Tankstelle, planen hier ihre Straftaten, randalieren.
Kriminaloberkommissar Torsten P.:

"Das geht mit Sachbeschädigung los über Körperverletzung, Hausfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung, Nötigung, Bedrohung, die typischen Propagandadelikte, und dann auch bis zum versuchten Totschlag, so weit ging das, eine sehr, sehr gewaltbereite Szene, das ist ein sehr harter Kampf gewesen hier."

Von dem rechten Spuk an der Wittstocker Tankstelle ist heute nichts mehr zu sehen. Im letzten Herbst hat der Pächter aufgegeben. Die Neonazis haben ihn in die Pleite getrieben, sagt Nachfolger Reinhard Rogge.

"Die Leute bringen ja keinen Umsatz, das ist ja das Schlimme, dass das die normalen Leute vergrault, und ich denk mal, hier wird in Massen geklaut worden sein, und deshalb ist der auch den Bach runter gegangen."

Neben der Kasse hängt die Kopie von zwei Passbildern. Sie zeigen zwei junge Männer, einer davon glatzköpfig. "Hausverbot" hat Reinhard Rogge mit Kugelschreiber darüber geschrieben, dahinter ein Ausrufezeichen.

"Wir haben zum Beispiel eine Angestellte, die haben die Jungs so fertig gemacht, nervlich, dass die heute in nervlicher Behandlung ist und nicht mehr arbeiten kann, die haben die sogar privat bedroht, die ist fertig, die kann nicht mehr."

Als der Pächterwechsel bekannt wird, setzt sich die Polizei sofort mit Reinhard Rogge zusammen, klärt ihn über den Neonazi-Treffpunkt an seiner Tankstelle auf. Die Beamten sind ständig präsent, verjagen die Rechtsextremen, setzen Hausverbote durch.

Reinhard Rogge: "Wir haben auch Drohungen gekriegt, wenn wir mit der Polizei zusammenarbeiten, dass sie uns die Anlage hochjagen und so, aber wir haben das durchgezogen, dass sind Leute, die sowie so nichts im Kopp haben."

Die Zusammenarbeit von Polizei und neuem Pächter funktioniert. Die Tankstelle ist nicht mehr länger ein Neonazi-Treffpunkt. Das Geschäft läuft langsam an. Nach zwei, drei Monaten trauen sich die alten Kunden, wieder hier zu tanken. Die Polizei, sagt Reinhard Rogge mit Anerkennung in der Stimme, die Polizei ist jut hier.

Die Polthier-Oberschule liegt nur wenige hundert Meter von der Tankstelle entfernt in einem Plattenbaugebiet. Schulleiterin Sabine Steinbach sitzt an ihrem Schreibtisch, vor sich ein Schild mit der Aufschrift "Schuld abladen verboten." Neben ihr steht ein Plakat, das für einen Vortrag mit dem Polarforscher Arved Fuchs in Wittstock wirbt.

Sabine Steinbach: "Das ist eine Art und Weise, meine Schüler von dem Thema rechts abzubringen, sie zu faszinieren, von Persönlichkeiten in Deutschland, und dass ich es geschafft habe, diese Verschiebung der Interessen in der Freizeit, wissen Sie, wie toll das ist."

Sabine Steinbach ist Lehrerin aus Passion, seit 1969 im Schuldienst, seit der Wende Schulleiterin. Die lebhafte 60-Jährige redet ohne Punkt und Komma, die Röte steigt ihr dabei ins Gesicht.

"Ich kann Kinder von diesem Weg abbringen, in dem ich sie als Mensch achte und schätze. Wenn ich sie von vornherein diskriminiere, habe ich sie verloren. Gib nie ein Kind auf."

Sabine Steinbach greift ins Regal, zieht ein Fotoalbum heraus, schlägt es auf. Zu sehen ist ein bulliger junger Mann in einem Lonsdale-T-Shirt bei der Gartenarbeit. Das ist Uwe, sagt Chemie-Lehrerin Steinbach, der war mal rechtsextrem.

"Dann habe ich zu diesem Schüler gesagt, du wohnst da drüben, du hast den Baum gepflanzt, du passt auf, dass der nicht gestohlen wird. Dann habe ich mich vor die Klasse gestellt und gesagt, Uwe, das hast Du gestern toll gemacht, du warst da zu unserem Frühjahrsputz und dann merkte ich Stück für Stück, wie mein Uwe sich verändert hat."

Auf fünf Seiten hat Sabine Steinbach den Kampf der Schule gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit dokumentiert. Besuche der KZ-Gedenkstätten Sachsenhausen und Ravensbrück, Kriegsgräberfürsorge in Frankreich, Anti-Gewalttraining. Die Hausordnung ist eindeutig. Unter Punkt 13 heißt es: "Verbale und äußerlich sicht- und erkennbare Provokationen hinsichtlich rechtsradikalem und ausländerfeindlichem Hintergrund werden nicht geduldet." Sabine Steinbach ist hart und gleichzeitig verständnisvoll. Sie ärgert sich darüber, dass viele in Wittstock ihre Schüler aus dem Plattenbaugebiet als Asoziale und Rechtsextremisten abstempeln.

"Es sind diese Kinder, die keine Liebe erfahren haben, die kein Wertegefühl haben, die irgendwo ein Zuhause brauchen. Schauen Sie mal hier aus dem Fenster, wo die Kinder leben, die sozialen Abbrüche kamen nach der Wende abrupt."

Der Blick aus dem Fenster ist trostlos. Plattenbauten, rundherum kahle Flächen, einige leer stehende Häuser sind in den letzten Jahren abgerissen worden. Der kalte Aprilwind pfeift um die Häuser. Sabine Steinbach zeigt auf den Stuhl neben sich.

"Ich habe Kinder schon hier bei mir sitzen gehabt, die haben gesagt, Frau Steinbach, können wir für mich ein Schutzprogramm suchen, ich will aussteigen. Und das ist doch der Erfolg, wir werden nie 100 Prozent alle schaffen, wir müssen die Kinder ansprechen, nicht ausgrenzen, ihnen sagen, Du hast Werte, aber woanders."

"Fahren Sie heute Nachmittag mal in den Belower Wald", rät Schulleiterin Steinbach, "da treffen Sie Lehrer und Schüler von mir".

Wie jedes Jahr sind französische KZ-Überlebende in die Gedenkstätte des Todesmarsches Belower Wald nördlich von Wittstock gekommen. Betagte Frauen und Männer, viele von ihnen am Stock. Sie gehen die letzten 500 Meter zu Fuß, so wie im April 1945, als die SS 16.000 von ihnen aus dem KZ Sachsenhausen hierher trieb.

An ihrer Seite gehen - langsamen Schrittes - Schülerinnen und Schüler aus der Polthier-Oberschule mit ihrer Klassenlehrerin Barbara Kenzler. Sie begleitet jedes Jahr diese Gedenkveranstaltung.

Barbara Kenzler: "Das ist doch selbstverständlich für mich, und den Schülern habe ich es auch erklärt, und es ist eine Tradition, die unbedingt erhalten bleiben muss, weil die Zeitzeugen ja immer schneller wegsterben, leider."
Geschichtslehrerin Kenzler engagiert sich aktiv im Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus Wittstock. Vor einigen Jahren verfolgten gewalttätige Neonazis ihren Sohn.

Barbara Kenzler: "Also erstmal ganz persönlich ist der Grund für mich, dass ich es sehr schlimm finde, und das ist das Allerschlimmste für mich, wenn Menschen andere Menschen erniedrigen."
Die 59-Jährige blickt sich um, runzelt die Stirn. Sie ist unzufrieden mit der geringen Beteiligung an dieser Gedenkveranstaltung. Die örtlichen Honoratioren sind da, eine PDS-Bundestagsabgeordnete und der Staatssekretär aus dem Kulturministerium, aber nur wenige Wittstocker sind gekommen.

An den Zufahrten zur Gedenkstätte stehen Polizeiautos. Zum Glück bleibt es ruhig an diesem April-Tag. Allen ist noch der antisemitische Brandanschlag vom September 2002 in Erinnerung. Neonazis beschmieren das Mahnmal mit Hakenkreuzen, schreiben "Juden haben kurze Beine" auf die Steinplatten. Die Kriminalpolizei hat die Täter bis heute nicht ermittelt, kritisiert Carmen Lange, Leiterin der Gedenkstätte Todesmarsch:

"Durch das Fenster ist ein Molotowcocktail geflogen und auch einer in den Keller, der ist Gott sei Dank nicht losgegangen, und dann ist einer der beiden Ausstellungsräume vollständig ausgebrannt."

Auch wegen dieses Anschlags möchte Carmen Lange die pädagogische Arbeit in ihrer Gedenkstätte verstärken. Das Haus soll umgebaut werden, doch noch fehlt das Geld. Carmen Lange macht sich Sorgen über die starke rechtsextreme Szene in Wittstock.

"Was ich glaube, was in Wittstock eine große Rolle spielt, ist, dass es auch überzeugte erwachsene Neonazis gibt, die sich die jungen Leute ranziehen. Und zwar nicht nur welche, die dumme Sprüche machen, sondern wirklich überzeugte Nationalsozialisten."

Matthias Wirth heißt der führende Kopf der rechtsextremen Wittstocker Szene. Er sitzt als Parteiloser in der Stadtverordnetenversammlung. Die NPD hat er verlassen, weil sie zur Europawahl einen ausländischen Kandidaten nominiert hatte. Wirth gründet zusammen mit anderen NPD-Abspaltern im Januar 2004 die so genannte "Bewegung Neue Ordnung", dann den "Schutzbund Deutschland". Brandenburgs Verfassungsschutzchefin Winfriede Schreiber:

"Dieser Schutzbund Deutschland ist verboten worden im letzten Jahr und zwar wegen der Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus. Das war schon so ähnlich, das es daran aus unserer Sicht keinen Zweifel gab."

Noch ist das Verbot nicht rechtskräftig, die Betroffenen haben dagegen geklagt. Der Verfassungsschutz hat Erkenntnisse darüber, dass die Akteure eine neue Neonazi-Propaganda-Vereinigung gebildet haben. Ihre rassistischen und antisemitischen Flugblätter können im Internet heruntergeladen werden.

Schreiber: "Diese neue Gruppierung firmiert als 'Bewegung Neues Deutschland', ob man darunter schon eine Vereinigung verstehen kann, das müssen wir noch offen lassen. Matthias Wirth ist auf jeden Fall in diese Netzwerke eingebunden."

Einige Kinder bemalen das Pflaster des Wittstocker Marktplatzes, andere spielen Basketball, fahren Skateboard, in einer Ecke steht ein Polizeiauto. Ein buntes Straßenfest, organisiert vom Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus und der Stadtverwaltung. Plätze und Köpfe besetzen, lautet das Motto, denn es ist der 20. April. Ein historisches Datum, der Geburtstag von Adolf Hitler. An diesem Tag demonstrieren Neonazis gerne ihre vermeintliche Macht.

Am Nachmittag rücken einige einschlägig gekleidete junge Männer an. Sie bleiben am Rand des Marktplatzes stehen, schweigen, dann ziehen sie wieder ab. Der Verfassungsschutz zählt im Moment 40 Personen zur Wittstocker Neonazi-Szene. Doch sie treten nicht mehr massiv in Erscheinung, die Zahl der Straftaten geht zurück. Der Neonazi-Treffpunkt an der Tankstelle ist aufgelöst, der Laden, in dem sie ihre Springerstiefel und Lonsdale-T-Shirts kauften, musste schließen. Auch an diesem 20. April bleibt es ruhig. Für das Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus kein Grund zur Entwarnung, die letzte Gewalttat liegt nicht sehr lange zurück - Neonazis schlugen einen jungen Mann zusammen, nur weil er lange Haare hatte.

Kriminaloberkommissar P.: "Entwarnung kann man nicht geben, das kann ganz schnell wieder umschwenken."

Rosenbruch: "Auf keinen Fall, wenn wir irgendwo denken würden, wir haben umerzogen, und das Problem würde sich erledigen, das wäre sehr fatal und gefährlich."

Stüben: "Da kann man nicht das Buch zumachen und sagen, wir sind fertig."

Engel: "Ich glaube auch nicht, dass wir die Absicht haben, hier irgendwann mal diese Arbeit einzustellen, das wäre aus meiner Sicht fatal."

Kriminaloberkommissar P.: "Es ist ein Kampf, den man ausfechten muss, und zwar über mehrere Jahre, wenn nicht Jahrzehnte."