Witzelei über den sozialistischen Realismus
Hermann Kant, zwischen 1978 und 1990 Präsident des DDR-Schriftstellerverbands, verrät Chuzpe. Parallel zu Günter Grass, der gerade seine 2400 Seiten umfassende Stasi-Akte vorlegt, in der Hermann Kant an nicht unwesentlicher Stelle als Agent der DDR-Sicherheitsbehörden vorkommt, geht Kant selbst in die Offensive: er offeriert einen lustigen und listigen Stasi-Roman.
Sein Held heißt Linus Cord und ist ironischerweise 1927 geboren, wie Grass also und nicht 1926 wie Kant. "Ironischerweise" ist allerdings ein Wort, das man in jeden Satz einer Inhaltsangabe dieses Romans einflechten müsste und das sich deswegen sofort totläuft. Denn das Einzige, was man sofort merkt, ist: Dieser Roman trieft und suppt vor lauter Ironie, sodass man zum Schluss gar nicht mehr recht weiß, wo diese Ironie herkommt.
Linus Cord ist kein Schriftsteller, sondern gehört der "Kritikersektion" des "Schreiberverbandes" an. Ziemlich stolz ist er auf seinen "Blechtrommel"-Verriss. Er schreibt gerade, als es an der Tür klopft und unverkennbar ein Stasi-Leutnant eintritt. Bald danach gesellen sich zum Stasi-Leutnant noch ein Stasi-Hauptmann und ein Stasi-Major, und als Überraschungsgast gibt es dann noch einen General, der der Höchste, aber auch der Liebste von allen ist. Die Stasi wirkt zunächst schon ein bisschen unheimlich. Sie begleitet, auffällig unsichtbar, Linus Cord auch nach Westberlin.
In allen Situationen werden Hollywood-Filme aufgerufen, die besonders markante Agenten- und Bösewicht-Gesten aufzubieten haben. Erzählt wird dies alles mit viel indirekter Rede, mit verschraubten bürokratischen Satzkonstruktionen, die das Sujet der Stasi und der Überwachungssprache zitieren und gleichzeitig zu Tode reiten. Der Grundgestus der Ironie verselbständigt sich sofort. Obwohl es an Kants Sprache überhaupt nichts gibt, an dem man sich berauschen könnte, gibt sie ständig vor, sich an sich selbst zu berauschen – "dann wandte er sich zum Gehen, nicht ohne seinem Schritt über die Schwelle klärende Blicke ins Treppenhaus vorauszusenden."
Bei Hermann Kant waltet die Ironie als pompöse Herrschaftstechnik. Sie geht über alles hinweg. Nach ein paar Pointen über die Stasi als Agenten-B- und C-Movie, mit durchaus waltendem Schrecken bei der Hauptfigur Linus Cord, stellt sich heraus, dass die Stasileute auch nur Slapstick-Figuren sind. Die Agentenstory dreht sich letztlich darum, den "allwissenden Erzähler" abzuschaffen.
Es handelt sich also um eine Art Literaturliteratur, eine Witzelei über den sozialistischen Realismus. Die DDR ist zwar verschwunden, die konkrete Macht, durch die Kant seine Herrschaftstechnik, seine Ironiemaschine erst ausbilden konnte– aber das macht gar nichts. Diese Ironie stabilisiert immer.
Besprochen von Helmut Böttiger
Hermann Kant: Kennung
Roman
Aufbau-Verlag, Berlin 2010
250 Seiten, 19,95 Euro
Linus Cord ist kein Schriftsteller, sondern gehört der "Kritikersektion" des "Schreiberverbandes" an. Ziemlich stolz ist er auf seinen "Blechtrommel"-Verriss. Er schreibt gerade, als es an der Tür klopft und unverkennbar ein Stasi-Leutnant eintritt. Bald danach gesellen sich zum Stasi-Leutnant noch ein Stasi-Hauptmann und ein Stasi-Major, und als Überraschungsgast gibt es dann noch einen General, der der Höchste, aber auch der Liebste von allen ist. Die Stasi wirkt zunächst schon ein bisschen unheimlich. Sie begleitet, auffällig unsichtbar, Linus Cord auch nach Westberlin.
In allen Situationen werden Hollywood-Filme aufgerufen, die besonders markante Agenten- und Bösewicht-Gesten aufzubieten haben. Erzählt wird dies alles mit viel indirekter Rede, mit verschraubten bürokratischen Satzkonstruktionen, die das Sujet der Stasi und der Überwachungssprache zitieren und gleichzeitig zu Tode reiten. Der Grundgestus der Ironie verselbständigt sich sofort. Obwohl es an Kants Sprache überhaupt nichts gibt, an dem man sich berauschen könnte, gibt sie ständig vor, sich an sich selbst zu berauschen – "dann wandte er sich zum Gehen, nicht ohne seinem Schritt über die Schwelle klärende Blicke ins Treppenhaus vorauszusenden."
Bei Hermann Kant waltet die Ironie als pompöse Herrschaftstechnik. Sie geht über alles hinweg. Nach ein paar Pointen über die Stasi als Agenten-B- und C-Movie, mit durchaus waltendem Schrecken bei der Hauptfigur Linus Cord, stellt sich heraus, dass die Stasileute auch nur Slapstick-Figuren sind. Die Agentenstory dreht sich letztlich darum, den "allwissenden Erzähler" abzuschaffen.
Es handelt sich also um eine Art Literaturliteratur, eine Witzelei über den sozialistischen Realismus. Die DDR ist zwar verschwunden, die konkrete Macht, durch die Kant seine Herrschaftstechnik, seine Ironiemaschine erst ausbilden konnte– aber das macht gar nichts. Diese Ironie stabilisiert immer.
Besprochen von Helmut Böttiger
Hermann Kant: Kennung
Roman
Aufbau-Verlag, Berlin 2010
250 Seiten, 19,95 Euro