WM in Brasilien

Fußball, Frisuren, Vorbilder

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Sind Fußballer zu unpolitisch für Vorbilder? Ja, sagt Nicol Ljubic © Revierfoto
Von Nicol Ljubic |
Während die FIFA gegen Korruptionsvorwürfe kämpft, gelten Fußballer bei vielen Kindern und Jugendlichen als strahlende Helden. Der Schriftsteller Nicol Ljubic wünscht sich von den Vorbildern mehr Mut zum politischen Statement.
Meine beiden Söhne haben sich entschieden: Sie wollen Fußballer werden. Nicht Freizeitfußballer wie ihr Vater, sondern Superstars. Die passenden Schuhe haben sie schon, es sind die, mit denen Neymar, Brasiliens Superstar, seine Tore schießt. Die entsprechenden Trikots haben sie auch: Neymar Jr. und Ronaldo. 70 Euro das Stück. Und nicht zu vergessen: die Frisuren. Jeden Morgen stehen meine Söhne mitsamt einer Tube Gel vor dem Spiegel und zupfen so lange an ihren Haaren herum, bis zumindest ihre Frisuren denen ihrer Vorbilder ähneln.
Fußballspielende Superstars sind für Kinder wichtigere Vorbilder als die eigenen Eltern. Das hat eine Studie der EBS Universität in Wiesbaden ergeben. Und ich kann sie leider aus eigener Erfahrung bestätigen. Schade nur, dass so viele Fußballer ihre Vorbildfunktion in erster Linie dazu nutzen, um Kindern den Konsum schmackhaft zu machen: Da geht es dann um Schuhe, Trikots und Bälle. Für die Hersteller solcher Sportartikel und für die Werbestars natürlich ein Riesengeschäft.
Es ist unverantwortlich, wenn Fußballer sich nicht politisch äußern
Seit Wochen freuen sich meine Kinder auf die WM, das größte Sportereignis der Welt, wie es heißt. Dass es von 100.000 Polizisten und 57.000 Soldaten bewacht wird aus Sorge vor Protesten und Demonstrationen, das wissen meine Söhne mittlerweile auch, allerdings nicht von ihren Superstars, sondern aus den Kindernachrichten "Logo" und von Papa. Der im Übrigen, um an dieser Stelle möglichen Missverständnissen vorzubeugen, selbst ein großer Fußballfan ist. Der es aber unverantwortlich findet, dass von Sportlern erwartet wird, sie sollten sich allein auf ihren Sport konzentrieren und alles Politische ausblenden. Sport und Politik, so die gängige Meinung, hätten nichts miteinander zu tun. Selbst wenn viele Menschen darunter leiden, weil das Geld in den Neubau von Stadien fließt statt in den von Schulen und Krankenhäusern.
"Wir sind hier, um Fußball zu spielen. Die WM außerhalb des Spielfeldes ist nicht unsere Angelegenheit", hat der brasilianische Nationaltrainer gesagt. Und der deutsche Bundestrainer sagt, er habe die Proteste registriert. Die Aufgabe aber sei, sich auf das Sportliche zu konzentrieren. Als könne man nicht Sportler sein und sich gleichzeitig mit den gesellschaftlichen Umständen einer WM auseinandersetzen. Für die eigene Vermarktung allerdings sind neben dem Fußballspielen durchaus Kapazitäten frei. Wenn sich ein Fußballer – immerhin Hauptakteur einer WM – nicht zu gesellschaftspolitischen Umständen äußern soll, weil er sich auf den Fußball konzentrieren soll, dann soll er bitte auch nicht für Schuhe, Chips, Autos oder Hautcremes werben und laufend Belangloses auf seiner Facebook-Seite posten und über Twitter verbreiten.
Vorbildfunktion falsch verstanden
Wenn es um Fußballer geht, ist vonseiten der Verantwortlichen immer von ihrer Vorbildfunktion für Kinder die Rede. Deshalb werden sie für vermeintliches Fehlverhalten wie Diskobesuche oder Alkoholkonsum bestraft. Als Vater von zwei Söhnen frage ich mich: Wäre es nicht auch vorbildlich, Kindern zu zeigen, dass es wichtig ist, sich nicht nur auf den Fußball, Schuhe und Frisuren zu konzentrieren, sondern sich auch mit dem zu beschäftigen, was außerhalb des Platzes passiert? Gerade als Fußballstars, die mehr Menschen kennen als die Bundeskanzlerin? Müssten die Verantwortlichen, wenn sie denn wirklich ein Gespür für Verantwortung hätten, ihre Spieler nicht geradezu ermutigen, auf die Welt jenseits des Stadions hinzuweisen? Man muss sich doch Gedanken machen, wenn vor den Stadien Tausende protestieren und ihre Rechte einfordern. Darf man das öffentlich ignorieren? Vor allem auch im Hinblick auf die künftigen Weltmeisterschaften. In Russland und Katar, zwei Länder, die eine eher eigenwillige Vorstellung von Demokratie haben.
Allerdings sind die Verantwortlichen selbst keine guten Vorbilder. "Der Fußball ist stärker als die Unzufriedenheit der Menschen. Wenn der Ball einmal rollt, werden die Menschen das verstehen", sagte Sepp Blatter, FIFA-Chef, zu den Protesten im Vorfeld des Confederations Cups in Brasilien. Und Oliver Bierhoff, Team-Manager der deutschen Nationalmannschaft, sagte jüngst, politische Aussagen sollte vor allen Dingen der DFB-Präsident als Delegationsleiter machen. Das Problem ist nur: Meine Jungs wissen nicht mal, wie dieser Präsident heißt – und über seine Frisur haben sie auch noch nie gesprochen.

Nicol Ljubic, 1971 in Zagreb geboren, ist als Sohn eines Flugzeugtechnikers in Schweden, Griechenland und Russland aufgewachsen. Er studierte Politikwissenschaften und besuchte die Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg. Seit 1999 lebt er als freier Journalist und Autor in Berlin. 2012 gab er die Anthologie "Schluss mit der Deutschenfeindlichkeit!" heraus, in der deutsche Autoren mit "Migrationshintergrund" über ihre Erfahrungen in Deutschland schreiben. Darunter: Herta Müller, Zsuzsa Bank, Ijoma Mangold und Irene Dische. Im Herbst 2012 erschien bei Hoffmann und Campe sein jüngster Roman: "Als wäre es Liebe".

Der Journalist und Schriftsteller Nicol Ljubic. Der 1971 in Zagreb geborene Ljubic wurde für seine journalistische Arbeit unter anderem mit dem renommierten Theodor-Wolf-Preis ausgezeichnet. Über seine Erfahrungen nach dem Eintritt in die SPD schrieb er das Buch "Genosse Nachwuchs. Wie ich die Welt verändern wollte". 
© picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler
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