Herfried Münkler, geboren 1951 in Friedberg, ist Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Er ist mit zahlreichen Studien zur politischen Ideengeschichte und zur Theorie des Krieges hervorgetreten. Nicht wenige davon sind mittlerweile Standardwerke, so etwa "Machiavelli" (1982) und "Gewalt und Ordnung" (1992). Zuletzt erschien 2017 sein Buch "Der Dreißigjährige Krieg. Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618–1648".
Das Aufeinandertreffen der Freundlichkeiten
"Die Wahrheit liegt auf dem Platz", lautet eine der großen Fußballweisheiten. Doch Länderspiele spiegeln auch das Verhältnis von Nationen wieder. Historiker Herfried Münkler mit einigen Gedanken über das bevorstehende Schicksalsspiel gegen Schweden.
Fußballländerspiele zwischen Deutschland und Schweden haben – sieht man einmal von dem Skandalspiel 1958 ab, bei dem es in Schweden zu üblen Beschimpfungen der deutschen Mannschaft kam – einen notorisch freundschaftlichen Charakter. Selbst dann, wenn es sich um Pflichtspiele handelt, in denen es um Ruhm und die Rangfolge im internationalen Fußball geht.
Das mag auch damit zu tun haben, dass die Schweden bei diesen Aufeinandertreffen nicht gewinnen müssen und die Deutschen, von denen wiederum das erwartet wird, meistens gewinnen. Bisher zumindest.
Traditionelle Freundschaft
Freilich ist das Fehlen einer aggressiven Rivalität nicht selbstverständlich. In der Regel spiegelt sich entgegen aller Beteuerungen der Sportfunktionäre in der Stimmungslage bei Fußballspielen das allgemeine politische Verhältnis zweier Länder zueinander. Die Schweden sind den Deutschen lieb und wert: Den einen wegen der aus Deutschland stammenden Königin Silvia, mit der die schwedische Königsfamilie zum Objekt anteilnehmender Beobachtung seitens der deutschen Regenbogenpresse geworden ist. Den anderen wegen des lange Zeit als vorbildlich geltenden schwedischen Wohlfahrtsstaats, und noch anderen wegen der hohen Sicherheitsstandards schwedischer Automobile.
Umgekehrt gibt es eine traditionelle Deutschenfreundlichkeit der Schweden: Während des Ersten Weltkriegs etwa fühlten sich viele Schweden den Deutschen verbunden.
Gustav Adolf 1630 als Retter gefeiert
Man mag sich – und das nicht erst seit kurzem. Als 1630 der Schwedenkönig Gustav Adolf auf Usedom landete, um mit seinen kampferprobten Regimentern in den Dreißigjährigen Krieg einzugreifen, wurde er von den Protestanten, die bis dahin eine Niederlage nach der anderen kassiert hatten, als Retter begrüßt.
Der Tod des Königs auf dem Schlachtfeld von Lützen im Spätherbst 1632 hat diese Bewunderung nur noch gesteigert: "Christ und Held", lautet die Widmung auf dem Gedenkstein nahe Lützen zur Erinnerung an den Schlachtentod des Königs. Alle Angehörigen des schwedischen Königshauses haben diesen Ort zu besuchen – so will es das royale Protokoll.
Vergleich mit dem Söldnerwesen
Es waren vorwiegend Söldner, mit denen die Schweden damals in Deutschland Krieg führten, viele Schotten, vor allem aber auch Deutsche. Und nicht wenige Schweden blieben nach Kriegsende in Deutschland, kauften sich von dem im Krieg erworbenen oder geraubten Geld einen Bauernhof – und wurden mit der Zeit Deutsche.
Was damals der internationalisierte Markt für militärische Arbeitskraft war, lässt sich heutzutage mit den internationalisierten Migrationsverhältnissen und den daraus resultierenden Herkunftsverhältnissen der Fußballnationalspieler vergleichen. Bei den Vereinsmannschaften ist der Vergleich mit dem einstigen militärischen Söldnerwesen unmittelbar naheliegend. Bei den Nationalmannschaften ist nicht so sehr Geld, sondern neben dem Geburtsort die Option für eine Nation ausschlaggebend.
Die ethnisch-identitäre Karte bleibt in der Tasche
Es sind nicht zuletzt junge Männer "mit Migrationshintergrund", wie man so sagt, für die der Fußball der effektivste Kanal des sozialen Aufstiegs ist, in Schweden für die Ibrahimovićs, in Deutschland für die Özils und Khediras. Das zeigt beide Länder als sozial fortgeschrittene Nationen, und es erklärt zugleich, dass es in beiden starke, mitunter aggressive Wünsche der Rückkehr zu früheren Verhältnissen gibt.
Beide Nationalmannschaften wären dann freilich deutlich schlechter, und die Aussicht auf einen Titelgewinn wäre kleiner. Deswegen bleibt beim Fußball die ethnisch-identitäre Karte bei den Meisten in der Hosentasche, und fast alle setzen auf Sieg, egal, welche Namen die Nationalspieler tragen.