WM-Tagebuch (23)

Nach großem Kampf im Halbfinale

Von Thomas Wheeler und Daniel Marschke |
Mit dem knappen, aber verdienten Sieg steht eine DFB-Elf bereits zum 13. Mal unter den besten vier Mannschaften der Welt. Halbfinal-Gegner ist der Gastgeber - ohne ihren Star Neymar, der einen Wirbelbruch erlitt.
Mats Hummels "Kopfballschreck" erzielte das einzige Tor gegen Frankreich bereits in der 13. Minute. Mit dem knappen, aber verdienten Sieg steht eine DFB-Elf bereits zum 13. Mal unter den besten vier Mannschaften der Welt. Die Gastgeber sind nun am Dienstag der Halbfinal-Gegner. Die Selecao setzte sich im Südamerika-Duell ebenfalls knapp, aber genauso verdient mit 2:1 gegen Kolumbien durch.
Bundestrainer Joachim Löw ist also doch nicht beratungsresistent. Gegen die Franzosen stellte er im Vergleich zur Achtelfinal-Partie gegen Algerien gleich auf mehreren Positionen um. Kapitän Philipp Lahm rückte aus dem Mittelfeld wieder auf die gewohnte rechte Abwehrseite. Mats Hummels, nach einer Grippe wieder gesund, bildete mit Jerome Boateng die Innenverteidigung, und Benedikt Höwedes verteidigte erneut links. Dafür musste Abwehrchef Per Mertesacker auf die Bank. Im Mittelfeld agierten Sami Khedira und Bastian Schweinsteiger erstmals gemeinsam. André Schürrle und Mario Götze räumten ihre Offensivplätze im Mittelfeld und waren zunächst nur Reserve. Miroslav Klose spielte von Anfang an bei dieser Weltmeisterschaft als einzige Sturmspitze, blieb aber blass.
Aufopferungsvoll in jeden Schuss
Die DFB-Elf arbeitete, ackerte, schuftete, und warf sich aufopferungsvoll in jeden Schuss der starken Franzosen. So wird man Weltmeister. Bereits in der 13. Minute köpfte Mats Hummels nach einem Freistoß von Toni Kroos das einzige Tor an einem sonnigen Nachmittag in Rio de Janeiro. Bei 30 Grad und schwierigen Bedingungen hatte das deutsche Team in der ersten halben Stunde mehr Ballbesitz, die Équipe Tricolore aber die gefährlicheren Aktionen. Karim Benzema und Mathieu Valbuena scheiterten mit sehr guten Chancen an einem hervorragend aufgelegten Manuel Neuer und Mats Hummels, wobei Letzterer mit seinem vorzüglichen Stellungsspiel und großem Einsatz völlig zurecht als "Man of the match" ausgezeichnet wurde. Nach dem Seitenwechsel wurden Les Bleus immer stärker und drängten die Mannschaft von Joachim Löw weit in ihre eigene Hälfte. Dabei erspielten sie sich auch einige Möglichkeiten, fanden aber immer wieder in der deutschen Defensive ihren Meister, in der neben Neuer und Hummels auch Jerome Boateng sehr stark verteidigte. In den letzten zehn Minuten gingen den Franzosen langsam die Kräfte aus, und Deutschland kam wieder besser ins Spiel. Dabei vergab der eingewechselte André Schürrle in der Schlussphase zwei sehr gute Möglichkeiten und damit die endgültige Entscheidung. So blieb es eine Zitterpartie, in der Karim Benzema in der vierten und letzten Minute der Nachspielzeit noch die Riesengelegenheit zum Ausgleich besaß, die jedoch ein erneut glänzend reagierender Manuel Neuer vereitelte. Nach 94 Minuten stand ein knapper, aber verdienter Sieg nach leidenschaftlichem Kampf.
Brasilien feiert, doch für Neymar ist die WM beendet
Die 88. Minute war ein Schockmoment für alle Brasilianer. Der Rekord-Weltmeister führte zwar mit 2:1 gegen Kolumbien, aber dann musste Stürmerstar Neymar nach einem hässlichen Foul von Juan Zuniga verletzt ausgewechselt werden. Er weinte vor Schmerzen, als er von Sanitätern vom Spielfeld getragen wurde. Neymar wurde sofort in ein Krankenhaus zum Röntgen gebracht. Die traurige Diagnose: Wirbelbruch. Damit fällt er für den Rest des Turniers aus. Zuvor hatten die Gastgeber in der ersten Hälfte ihre bisher besten 45 Minuten bei dieser WM gespielt. Zwar war es noch nicht hundertprozentig das Jogo Bonito, also das schöne Spiel früherer Tage, nach dem sich jeder Brasilianer immer sehnt, doch 60.000 erlebten Leidenschaft, Tempo und phasenweise sehr schöne Spielzüge. Kapitän Thiago Silva drückte den Ball nach einer Ecke von Neymar bereits nach sieben Minuten ins Tor. Später sah Silva wegen eines dummen und überflüssigen Fouls jedoch Gelb und ist damit im Halbfinale gesperrt. In der zweiten Hälfte war das Spiel zerfahrener, was David Luiz aber nicht daran hinderte, den Vorsprung in der 69. Minute mit einem direkt verwandelten Freistoß auszubauen. Doch es wurde noch einmal spannend, als James Rodriguez nach 80 Minuten per Foulelfmeter verkürzte und somit seine Torausbeute auf Sechs erhöhte. Mehr war für die Kolumbianer allerdings nicht mehr drin, die nach ihrem besten WM-Ergebnis trotzdem voller Stolz nach Hause fliegen können.
Großer Respekt voreinander
Argentiniens Trainer Alejandro Sabella hat seine Spieler davor gewarnt, Belgien zu unterschätzen. Dies sei ein sehr gutes Team. Viele Spieler seien in ihren Vereinen in England und in Spanien Leistungsträger. Das werde eine sehr schwierige Aufgabe. Mit einem Sieg würden die Südamerikaner erstmals seit 1990 wieder ein WM-Halbfinale erreichen. Sollten es die Belgier schaffen, wäre es ihre erste Halbfinal-Teilnahme seit 1986. Trainer Marc Wilmots gab seiner jungen Mannschaft mit auf den Weg, dass Argentinien nicht nur Messi sei, sondern die Mannschaft sehr viele gute Spieler habe, die zusammen eine Einheit bildeten. Am Spielort Brasilia erwartet die einheimische Polizei etwa 100.000 argentinische Fans. Die Sicherheitsvorkehrungen sollen deutlich verstärkt werden, um die Einreise von Hooligans zu verhindern. Anstoß ist um 18 Uhr.
Costa Rica will nächste Überraschung
Sie sind der Partyschreck dieser Jubiläums-WM. Die Ticos aus Zentralamerika. Erst warfen sie in der Vorrunde den viermaligen Weltmeister Italien und den Weltmeister von 1966, England, aus dem Rennen und schlossen die Gruppenphase als souveräner Erster vor Uruguay ab. Dann hatten die Costa Ricaner im Elfmeterschießen gegen Griechenland die besseren Nerven. Und jetzt wollen sie auch den Niederländern ein Bein stellen. Mit Hilfe ihres Trainer-Weltenbummlers Jorge Luis Pinto. Der Kolumbianer lebte während seines Studiums ein paar Jahre in Köln und beobachtete dort oft den damaligen niederländischen Trainer Rinus Michels bei seiner Arbeit mit dem FC. Dort hat sich Pinto einiges vom "Voetbal Total" abgeschaut, dass er nun heute in die Aufstellung gegen die Oranjes mit einbringen will. Arjen Robben gibt sich beeindruckt von den bisherigen Auftritten Costa Ricas, sieht den Viertelfinal-Gegner aber dennoch nur als Durchgangsstation auf dem erneuten Weg ins Weltmeisterschaftsfinale. Los geht es um 22 Uhr mitteleuropäischer Zeit in Salvador.
Thomas Wheeler ist Sportredakteur im Deutschlandradio Kultur und u. a. verantwortlich für das sonntägliche Sportmagazin "Nachspiel". Während der FIFA-WM schreibt er uns täglich seine Eindrücke vom Spieltag auf - oder seine Gedanken zu den spielfreien Tagen.
Sportredakteur Thomas Wheeler
Thomas Wheeler© Deutschlandradio - Bettina Straub