WM-Tagebuch (32)

WIR SIND WELTMEISTERRRRRRRRRRRRRR!!!

Deutsche Fußball-Fans vor dem Brandenburger Tor
Deutsche Fußball-Fans vor dem Brandenburger Tor © dpa / picture alliance / Hannibal Hanschke
Von Thomas Wheeler |
Es war die 113. Minute des WM-Endspiels Deutschland gegen Argentinien: Schöner Spurt von André Schürrle über Links, Pass ins Zentrum zu Mario Götze, der den Ball herrlich mit der Brust annahm, ihn abtropfen ließ und volley zum 1:0 vollendete.
Das Tor, das die deutsche Nationalmannschaft zum vierten Mal zum Fußball-Weltmeister krönte. Es folgten noch mal zehn Zitter-Minuten gegen starke Südamerikaner. Dann war es vollbracht. Um 23.36 Uhr unserer Zeit pfiff der italienische Schiedsrichter Nicola Rizzoli das 20. WM-Finale im Maracana-Stadion von Rio de Janeiro ab, und der Jubel in der Republik war grenzenlos - von Flensburg bis nach Oberammergau.
Aber was war das vorher für ein Nervenkitzel! Kurz vor dem Anpfiff hatte Sami Khedira beim Aufwärmen Wadenprobleme und musste auf die Bank. Das hieß, der Bundestrainer musste umstellen und brachte den unerfahrenen Christoph Kramer. Die Argentinier waren, wie es Joachim Löw prophezeit hatte, der erwartet schwere Gegner. Der zweimalige Weltmeister agierte aus einer stabilen Abwehr, und griff die DFB-Elf häufig schon in Höhe der Mittellinie an. Bei Ballbesitz schalteten die Südamerikaner dann blitzschnell um.
Argentinien gefährlich bei Tempogegenstößen
Diese wurden immer wieder eingeleitet vom hervorragenden Lionel Messi, mit dem Mats Hummels seine liebe Müh und Not hatte. Gonzalo Higuain, zunächst die einzige argentinische Sturmspitze, hatte in der 4. und 21. Minute zweimal den Führungstreffer auf dem Fuß. Glück für die deutsche Mannschaft. In dieser Druckphase prallte auch Christoph Kramer mit dem argentinischen Abwehrchef Ezequiel Garay zusammen und blieb benommen liegen. Nach einer Behandlungspause machte er noch einmal kurz weiter, aber nach einer guten halben Stunde ging es dann nicht mehr. Kramer wurde mit Verdacht auf eine Gehirnerschütterung ausgewechselt. Für ihn kam André Schürrle.
Mit Schürrle wurde die DFB-Elf stärker
Der Stürmer des FC Chelsea hatte kurz nach seiner Einwechslung gleich die erste große Möglichkeit für das deutsche Team. In der 37. Minute bediente ihn Thomas Müller mit einem tollen Pass, aber der argentinische Torhüter Sergio Romero reagierte blendend. Jetzt war mehr Zug im DFB-Spiel. Argentinien verlagerte sich nun mehr auf das Verteidigen und hatte in der Nachspielzeit der ersten Hälfte Fortuna auf seiner Seite, als Benedikt Höwedes nach einer Ecke von Toni Kroos an den Pfosten köpfte.
Argentinier in der zweiten Hälfte zielstrebiger
Trainer Alejandro Sabella brachte ab der 46. Minute Sergio Agüero für Ezequiel Lavezzi, und die Albiceleste machte nach dem Seitenwechsel gleich mächtig Dampf. Gerade mal 120 Sekunden waren gespielt, da verzog Lionel Messi nur ganz knapp. Der Löw-Elf dagegen fehlten Tempo und Ideen beim Spielaufbau. Da aber die deutsche Defensive um den umsichtigen Jerome Boateng sicher stand, verflachte die Partie allmählich. Ein Drehschuss von Messi eine Viertelstunde vor dem Ende der regulären Spielzeit sorgte noch einmal für Aufregung, dann wurden die Argentinier langsam müder - kein Wunder nach dem Kraftakt im Halbfinale gegen die Niederlande, und beide Mannschaften scheuten immer mehr das Risiko. Was folgte, war zwangsläufig die Verlängerung.
Schürrle hat die Führung auf dem Fuß
Noch nicht einmal eine Minute war absolviert, da hätte der Angreifer fast wie im Achtelfinale gegen Algerien getroffen, aber sein Schuss war zu mittig angesetzt, und der argentinische Schlussmann Sergio Romero konnte mit den Fäusten klären. In der 97. Minute dann die Riesengelegenheit für die Südamerikaner, aber Rodrigo Palacio, der erst kurz zuvor eingewechselt worden war, sah vor sich die "Wand Manuel Neuer" und konnte diese nicht mit einem Heber überwinden. 0:0 hieß es auch nach der ersten Hälfte der Verlängerung. Als alles immer mehr auf ein Elfmeterschießen hindeutete, dann aber doch noch die Szene des Spiels. Die 113. Minute: André Schürrle mit dem Überblick, Pass zu Mario Götze, und der schoss Deutschland in den Glückstaumel. Manuel Neuer darf sich neben dem Weltmeistertitel auch noch über die Auszeichnung "bester Torwart des Turniers" freuen. Der goldene Ball für den besten Spieler der WM geht an Lionel Messi. Sicherlich nur ein ganz kleiner Trost für den 27-Jährigen, der bei seiner dritten Weltmeisterschaftsteilnahme erneut den ganz großen Wurf verpasste.
Torrekord eingestellt
Das war sie also die 20. Fußball-Weltmeisterschaft. Die zweite in Brasilien. Erstmals hat mit Deutschland eine europäische Mannschaft eine WM in Südamerika gewonnen. 171 Treffer sind gefallen. Genauso viele wie bei der WM 1998 in Frankreich. Bestmarke damit egalisiert. Vor allem die Vorrunde bot mehrfach offensive Spiele. Herausragend natürlich das 5:1 der Niederländer gegen den entthronten Titelverteidiger Spanien. Und auch das 4:0 der DFB-Elf gegen Portugal. Ab der K.O.-Phase dominierte immer mehr dann die Taktik. Bis zum Finale ging es gleich achtmal in die Verlängerung. Viermal ins Elfmeterschießen. Stark waren inklusive der deutschen Weltmeister vor allem Mannschaften, die als Kollektiv auftraten. Also Argentinien, Niederlande, Kolumbien, Frankreich, Belgien und zur Überraschung aller Costa Rica. Mit Geschlossenheit trotzten diese Nationen auch den z. T. extrem anstrengenden Witterungsbedingungen: Temperaturen über 30 Grad, und vor allem eine sehr hohe Luftfeuchtigkeit.
Kein Ruhmesblatt der Männer in Schwarz
Enttäuschend dagegen Nationen, die dachten, sie könnten einen Blumentopf im Vorbeigehen gewinnen und sich auf den Lorbeeren der Vergangenheit ausruhen. Allen voran Gastgeber Brasilien und die Spanier, aber auch Italien, Uruguay, Portugal und Ghana blieben deutlich hinter den eigenen Erwartungen zurück. Ähnlich wie viele Schiedsrichter. Haarsträubende Fehlentscheidungen: Elfmeter die keine waren, Tore, die hätten gegeben werden müssen, zweifelhafte Platzverweise, ein Schulterbiss der nicht geahndet wurde und die wenigsten Gelben Karten seit der WM 1986 in Mexiko. Das war kein Ruhmesblatt der Männer in Schwarz.
Was funktionierte: Die Torlinientechnik, die erstmals beim Vorrundenspiel Frankreich gegen Honduras ihre Tauglichkeit bewies, und auch das Spray, dass die Unparteiischen zum Markieren der Freistoßpositionen einsetzten, machte Sinn. Sinnlos bzw. sinnentleert das teilweise sehr rüde und manchmal sogar brutale Einsteigen im Zweikampf. Ohne Rücksicht auf die Gesundheit der Kollegen, manchmal sogar am Rande der Körperverletzung, vor allem bei der Attacke von Zuniga gegen Neymar wurde gefoult und getreten. Das hatte nun wirklich nichts mit Fußball zu tun.
So, und nun schließe ich mein Tagebuch und gehe nach fünf turbulenten und abwechslungsreichen WM-Wochen in den wohlverdienten Kurzurlaub. Jetzt reicht es mir aber auch erst mal mit Fußball.

Thomas Wheeler ist Sportredakteur im Deutschlandradio Kultur und u.a. verantwortlich für das sonntägliche Sportmagazin "Nachspiel". Während der FIFA-WM schreibt er uns täglich seine Eindrücke vom Spieltag auf - oder seine Gedanken zu den spielfreien Tagen.