Wo der reformorientierte Islam zu Hause war
Die fortschrittlichen Muslime, die einst den Staat Pakistan konzipierten, waren alle Absolventen der islamischen Reformuniversität von Alighar. Doch selbst hier geraten die liberalen Traditionen der pakistanischen Staatsgründer zunehmend in Vergessenheit.
Karachi. Mehr als 13 Millionen Einwohner, Pakistans größte Stadt. Ein Wirrwarr von Autos, Motorrikschas, Pferde-Tongas, bunt bemalten Lastwagen und Mopeds. In den unterschiedlichen Gefährten: Muslime, Hindus, Zarathustra-Anhänger, Christen, Pandschabis, Belutschen, Paschtunen, Sindhis, Muslim-Flüchtlinge aus Indien: Die Hafenmetropole ist ein Kaleidoskop der indischen Geschichte; ein Flickenteppich jener Religionen und Ethnien, die vor der Teilung in Indien und Pakistan auf dem Subkontinent zusammenlebten.
Sie alle tragen dazu bei, dass Karachi jenseits von seinem kolonialen Zentrum nicht wie eine Großstadt wirkt, eher wie eine Ansammlung ganz unterschiedlicher Dörfer. Einige mit Stacheldraht und Barrikaden voneinander abgeteilt - entlang ethnischer, politischer und religiöser Grenzen.
Denn immer wieder flackert Gewalt zwischen den Gruppen auf, zwischen Schiiten und Sunniten, Alteingesessenen und neuen Zuwanderern aus Indien. Violet, eine Sozialarbeiterin, schlägt sich seit Jahren mit den Folgen solcher Zustände herum.
"Dieser Weg zur Bushaltestelle führt mitten durch ein Viertel afghanischer Paschtunen. Manchmal müssen Hindu-Mädchen da durch, um Brot zu holen, weil ein Elternteil krank ist. Dann kommt es vor, dass Paschtunen sie vergewaltigen. Zur Polizei gehen? Nein, undenkbar. Die Hindus haben zu viel Angst, dass sie dann von den Polizisten verprügelt werden. Sie besitzen nicht mal Personalausweise."
Identität ist alles. Und in der Hackordnung der Identitäten: Platz Eins für den sunnitischen Islam in seiner konservativen Erscheinungsform. Vor allem die islamischen Parteien, die einflussreichen Geistlichen und Stiftungen fördern seit Langem die Wagenburgmentalität. Multiplikatoren sind traditionelle Koranhochschulen wie die Banuri Town-Madrassa – immer wieder in den Schlagzeilen für ihre guten Verbindungen zu religiös motivierten Gewalttätern.
Für viele ihrer Studenten spielt die Ideologie allerdings keine Rolle. Es sind praktische Gründe, die sie bewegen, nicht das staatliche, säkular orientierte, sondern das private und religiöse Unterrichtssystem zu wählen.
"Die Madrassa liegt nicht weit von meinem Wohnort. Und das Studium hier kostet nichts."
... sagt ein junger Mann Anfang 20. Und ein anderer ergänzt:
"Diese Madrassa ist eine der berühmtesten der Gegend. Außerdem ist hier das Essen frei."
Auch das ist Pakistan: Menschen wie Navid, Vertreter der Mittelschicht, Verwaltungsangestellter Ende 30, mit Krawatte über blütenweißem Hemd.
"Unsere Regierung sollte zurück zu dem gehen, was unser Staatsgründer wollte. Denn der, Jinnah, verabscheute jede Form von Terror. Für ihn sollte jeder Pakistani Staatsbürger sein und seine Mitbürger respektieren."
Der Ort, an dem sich Navid so äußert, befindet sich nur ein paar Kilometer von der Madrassa entfernt – und scheint dennoch in einer anderen Dimension zu liegen. Es ist das Mausoleum von Pakistans Staatsgründer Mohammed Ali Jinnah. Inmitten einer Grünanlage, in der Marmorstufen zu einem weiß schimmernden Bau führen. Wer hinein will, muss die Schuhe ausziehen, als beträte er eine Moschee. Tatsächlich ist das Jinnah-Mausoleum eine Art Wallfahrtsort. Einer für weltlich orientierte Pakistani. Ein Besucher hat Narvid Worte gehört und ergänzt:
"Das Schlimmste ist, dass sie sogar in pakistanischen Schulbüchern den Hass zwischen den jungen Leuten unterschiedlicher Ethnien und Religionen säen. Es reicht uns. Wir wollen, dass das aufhört."
"Bedenken Sie, wie Jinnah gearbeitet hat. Lesen Sie seine Reden, und Sie werden zur Auffassung gelangen, dass alles darauf ausgerichtet war, Pakistan in eine glänzende Zukunft zu führen."
"Er selbst hat sich nie anders als vorbildlich verhalten. Immer wieder hat er zur Mitmenschlichkeit, zur Brüderlichkeit aufgerufen. Alles an seinen öffentlichen Äußerungen weist darauf hin, dass dies ein Land nicht nur für die Muslime ist, sondern dass jeder in Pakistan ein Staatsbürger ist und jeder den anderen respektieren soll."
Die schnurrbärtigen Wachen, die in allen Ecken des Mausoleums stehen, werfen herausfordernde Blicke um sich. So als bewachten sie nicht nur den toten Staatsgründer Pakistans, sondern hüteten auch einen Gral: Pakistan – das Projekt der islamischen Moderne.
Im Unabhängigkeitsmuseum, das dem Mausoleum angeschlossen ist, findet sich in markanten Worten von Staatsgründer Mohammed Ali Jinnah die Basis einer solchen Lesart, gewissermaßen als Gebrauchsanweisung, die der Staatsgründer seinem Land auf den Weg gegeben hat.
"Wenn ihr euere Vergangenheit vergangen sein lasst, (...) wird es kein Ende geben für den Fortschritt, den ihr machen werdet (...) Geht frei in euere Tempel oder in euere Moscheen oder zu jedem anderen Platz, an dem gebetet werden kann. Gehört zu jeder beliebigen Religion, zu jeder Kaste, zu jeder möglichen Art von Glauben, denn all das liegt außerhalb der Zuständigkeit des Staats."
Sie alle tragen dazu bei, dass Karachi jenseits von seinem kolonialen Zentrum nicht wie eine Großstadt wirkt, eher wie eine Ansammlung ganz unterschiedlicher Dörfer. Einige mit Stacheldraht und Barrikaden voneinander abgeteilt - entlang ethnischer, politischer und religiöser Grenzen.
Denn immer wieder flackert Gewalt zwischen den Gruppen auf, zwischen Schiiten und Sunniten, Alteingesessenen und neuen Zuwanderern aus Indien. Violet, eine Sozialarbeiterin, schlägt sich seit Jahren mit den Folgen solcher Zustände herum.
"Dieser Weg zur Bushaltestelle führt mitten durch ein Viertel afghanischer Paschtunen. Manchmal müssen Hindu-Mädchen da durch, um Brot zu holen, weil ein Elternteil krank ist. Dann kommt es vor, dass Paschtunen sie vergewaltigen. Zur Polizei gehen? Nein, undenkbar. Die Hindus haben zu viel Angst, dass sie dann von den Polizisten verprügelt werden. Sie besitzen nicht mal Personalausweise."
Identität ist alles. Und in der Hackordnung der Identitäten: Platz Eins für den sunnitischen Islam in seiner konservativen Erscheinungsform. Vor allem die islamischen Parteien, die einflussreichen Geistlichen und Stiftungen fördern seit Langem die Wagenburgmentalität. Multiplikatoren sind traditionelle Koranhochschulen wie die Banuri Town-Madrassa – immer wieder in den Schlagzeilen für ihre guten Verbindungen zu religiös motivierten Gewalttätern.
Für viele ihrer Studenten spielt die Ideologie allerdings keine Rolle. Es sind praktische Gründe, die sie bewegen, nicht das staatliche, säkular orientierte, sondern das private und religiöse Unterrichtssystem zu wählen.
"Die Madrassa liegt nicht weit von meinem Wohnort. Und das Studium hier kostet nichts."
... sagt ein junger Mann Anfang 20. Und ein anderer ergänzt:
"Diese Madrassa ist eine der berühmtesten der Gegend. Außerdem ist hier das Essen frei."
Auch das ist Pakistan: Menschen wie Navid, Vertreter der Mittelschicht, Verwaltungsangestellter Ende 30, mit Krawatte über blütenweißem Hemd.
"Unsere Regierung sollte zurück zu dem gehen, was unser Staatsgründer wollte. Denn der, Jinnah, verabscheute jede Form von Terror. Für ihn sollte jeder Pakistani Staatsbürger sein und seine Mitbürger respektieren."
Der Ort, an dem sich Navid so äußert, befindet sich nur ein paar Kilometer von der Madrassa entfernt – und scheint dennoch in einer anderen Dimension zu liegen. Es ist das Mausoleum von Pakistans Staatsgründer Mohammed Ali Jinnah. Inmitten einer Grünanlage, in der Marmorstufen zu einem weiß schimmernden Bau führen. Wer hinein will, muss die Schuhe ausziehen, als beträte er eine Moschee. Tatsächlich ist das Jinnah-Mausoleum eine Art Wallfahrtsort. Einer für weltlich orientierte Pakistani. Ein Besucher hat Narvid Worte gehört und ergänzt:
"Das Schlimmste ist, dass sie sogar in pakistanischen Schulbüchern den Hass zwischen den jungen Leuten unterschiedlicher Ethnien und Religionen säen. Es reicht uns. Wir wollen, dass das aufhört."
"Bedenken Sie, wie Jinnah gearbeitet hat. Lesen Sie seine Reden, und Sie werden zur Auffassung gelangen, dass alles darauf ausgerichtet war, Pakistan in eine glänzende Zukunft zu führen."
"Er selbst hat sich nie anders als vorbildlich verhalten. Immer wieder hat er zur Mitmenschlichkeit, zur Brüderlichkeit aufgerufen. Alles an seinen öffentlichen Äußerungen weist darauf hin, dass dies ein Land nicht nur für die Muslime ist, sondern dass jeder in Pakistan ein Staatsbürger ist und jeder den anderen respektieren soll."
Die schnurrbärtigen Wachen, die in allen Ecken des Mausoleums stehen, werfen herausfordernde Blicke um sich. So als bewachten sie nicht nur den toten Staatsgründer Pakistans, sondern hüteten auch einen Gral: Pakistan – das Projekt der islamischen Moderne.
Im Unabhängigkeitsmuseum, das dem Mausoleum angeschlossen ist, findet sich in markanten Worten von Staatsgründer Mohammed Ali Jinnah die Basis einer solchen Lesart, gewissermaßen als Gebrauchsanweisung, die der Staatsgründer seinem Land auf den Weg gegeben hat.
"Wenn ihr euere Vergangenheit vergangen sein lasst, (...) wird es kein Ende geben für den Fortschritt, den ihr machen werdet (...) Geht frei in euere Tempel oder in euere Moscheen oder zu jedem anderen Platz, an dem gebetet werden kann. Gehört zu jeder beliebigen Religion, zu jeder Kaste, zu jeder möglichen Art von Glauben, denn all das liegt außerhalb der Zuständigkeit des Staats."
Leuchtfeuer der islamischen Moderne
Liest man unter den Schwarz-Weiß-Porträts die Biografien der Gründerväter Pakistans, fällt auf: Sie alle waren Absolventen der islamischen Reformuniversität von Aligarh, die, heißt es auf einer anderen Tafel, das Labor gewesen sei, in dem fortschrittliche Muslime den Staat Pakistan einst konzipierten, dem Leuchtfeuer der islamischen Moderne.
Die islamische Reformuniversität von Aligarh, die Wiege Pakistans, gibt es bis heute, 120 Kilometer südlich von Neu-Delhi, in Indien gelegen.
Nach langer Reise von Karachi aus, mit häufigem Umsteigen, peniblen Grenzkontrollen, rollt der Express in den unscheinbaren Bahnhof des Provinznestes ein. Entlang der Strecke: einstöckige Häuserzeilen, Hindutempel, hingegen keine Moscheen.
Am Bahnhof wartet, gekleidet in ein langes Hemd und Pluderhosen, Professor Rahad Abrar, Experte für die Geschichte der Universität von Aligarh.
Rahad Abrar lotst den Taxifahrer aus dem Stadtzentrum heraus, vorbei an Ladenzeilen, in denen Unterhaltungselektronik angeboten wird - zwischen heiligen Kühen, die mitten im Verkehr herumsitzen und gelangweilt in die Sonne blinzeln.
Dort, wo Aligarhs Außenbezirke enden, steigt hinter Weizenfeldern wie eine Fata Morgana eine surreale Kulisse empor: Rote Mauern, spitze Giebel und Türmchen. Eine Fusion aus Neogothik und Moghularchitektur – Oxford, nach Indien versetzt.
Durch das Königin-Victoria-Tor, über dem immer noch die Aufschrift "Mohammedanisches-Englisch-Orientalisches College" zu sehen ist, geht es über ziemlich verdorrten englischen Rasen, auf Arkaden zu, die an einen mittelalterlichen Klostergang erinnern.
"Das älteste College der Universität wurde zur Zeit Sir Syed Ahmed Khan eingerichtet. Dahinter liegen die Studentenwohnheime. Heute haben wir 70 Wohnheime für 32.000 Studenten, die in mehr als 300 Seminaren eingeschrieben sind."
Professor Abrar öffnet die Tür zu seinem Büro. Hinter seinem Schreibtisch hängt das monumentale Bild eines Turbanträgers mit weißem Bart. Darauf der Gründer der Universität: Sir Syed Ahmed Khan, Islamreformer, reicher Großgrundbesitzer. Für sein Projekt, eine Universität nach britischem Vorbild aber auf islamischer Grundlage zu errichten, setzte er seine gesamten eigenen Mittel ein und sammelte zusätzlich Spenden.
"Syed Ahmed Khan hat nicht nur einen Korankommentar verfasst, sondern auch eine vergleichende Religionsgeschichte. Der erste indische Muslim, der mit einem islamischen Hintergrund modern dachte. Er wollte, dass Religion auf wissenschaftliche Art und Weise gelehrt wird."
Die islamische Reformuniversität von Aligarh, die Wiege Pakistans, gibt es bis heute, 120 Kilometer südlich von Neu-Delhi, in Indien gelegen.
Nach langer Reise von Karachi aus, mit häufigem Umsteigen, peniblen Grenzkontrollen, rollt der Express in den unscheinbaren Bahnhof des Provinznestes ein. Entlang der Strecke: einstöckige Häuserzeilen, Hindutempel, hingegen keine Moscheen.
Am Bahnhof wartet, gekleidet in ein langes Hemd und Pluderhosen, Professor Rahad Abrar, Experte für die Geschichte der Universität von Aligarh.
Rahad Abrar lotst den Taxifahrer aus dem Stadtzentrum heraus, vorbei an Ladenzeilen, in denen Unterhaltungselektronik angeboten wird - zwischen heiligen Kühen, die mitten im Verkehr herumsitzen und gelangweilt in die Sonne blinzeln.
Dort, wo Aligarhs Außenbezirke enden, steigt hinter Weizenfeldern wie eine Fata Morgana eine surreale Kulisse empor: Rote Mauern, spitze Giebel und Türmchen. Eine Fusion aus Neogothik und Moghularchitektur – Oxford, nach Indien versetzt.
Durch das Königin-Victoria-Tor, über dem immer noch die Aufschrift "Mohammedanisches-Englisch-Orientalisches College" zu sehen ist, geht es über ziemlich verdorrten englischen Rasen, auf Arkaden zu, die an einen mittelalterlichen Klostergang erinnern.
"Das älteste College der Universität wurde zur Zeit Sir Syed Ahmed Khan eingerichtet. Dahinter liegen die Studentenwohnheime. Heute haben wir 70 Wohnheime für 32.000 Studenten, die in mehr als 300 Seminaren eingeschrieben sind."
Professor Abrar öffnet die Tür zu seinem Büro. Hinter seinem Schreibtisch hängt das monumentale Bild eines Turbanträgers mit weißem Bart. Darauf der Gründer der Universität: Sir Syed Ahmed Khan, Islamreformer, reicher Großgrundbesitzer. Für sein Projekt, eine Universität nach britischem Vorbild aber auf islamischer Grundlage zu errichten, setzte er seine gesamten eigenen Mittel ein und sammelte zusätzlich Spenden.
"Syed Ahmed Khan hat nicht nur einen Korankommentar verfasst, sondern auch eine vergleichende Religionsgeschichte. Der erste indische Muslim, der mit einem islamischen Hintergrund modern dachte. Er wollte, dass Religion auf wissenschaftliche Art und Weise gelehrt wird."
Vorbild Oxford und Cambridge
In einer Glasvitrine zeigt Professor Abrar ein altes Papier, auf dem der Gründer sein Motto aufgezeichnet hat.
"Aus diesem College werden wir eine Universität machen, die sich mit Oxford und Cambridge messen kann. Wie es in Oxford und Cambridge Kirchen gibt, werden an jede Fakultät Moscheen angeschlossen sein, außerdem ein Sportplatz und ein Swimmingpool. Der Gebrauch von groben und schmutzigen Wörtern, wie sie Knaben für gewöhnlich aufschnappen, wird an diesem College untersagt sein. Untersagt sein wird ferner: Zigaretten zu rauchen und Betel zu kauen. Alle Studenten sind gehalten, Socken und Schuhe in europäischem Stil zu tragen."
Heute wird auf dem Campus nicht mehr viel Wert auf europäische Eleganz gelegt. Aus den Fenstern der neogotischen Studentenunterkünfte flattert Wäsche. In den miteinander verbundenen Höfen verrotten die Gebäude. Der Stuck bröckelt, während das Unkraut wuchert und der Staub zentimeterdick auf Wegen und Mauern liegt.
Ein Fingerzeig darauf, wie viel sich seit den Tagen des Universitätsgründers verändert hat. Das Gros der Muslime ist nach der Teilung ins benachbarte Pakistan abgewandert. Professor Abrar scheint eifrig bemüht, Pakistan nicht zu erwähnen. Handelt es sich doch um eine Art Erbfeind, mit dem sich Indien im latenten Kriegszustand befindet und das zudem von der Regierung immer wieder für Terroranschläge verantwortlich gemacht wird wie den von Bombay 2008.
Heute wagen nur noch wenige Studenten an der weltweit einzigen islamischen Reformuniversität, die sich die Freiheit von Forschung und Lehre auf die Fahnen schreibt, ihre Meinung öffentlich kundzutun. Als indischer Muslim, lassen sie durchblicken, tue man gut daran, nicht zu viel Aufsehen zu erwecken. Die Antworten auf die Frage nach ihrem Studienort klingen pragmatisch – und ähneln damit denen der Studenten der erzkonservativen Madrassa von Karachi:
"Meine Religion ist der Islam, also sollte ich etwas darüber wissen. Und das Englisch, das ich hier lerne, kann mir Berufsleben etwas nützen."
"In Indien werden Minoritäten nicht sehr viele Chancen eingeräumt. Ich bin Muslim. Hier haben wir Möglichkeiten, die wir woanders nicht hätten. In einigen Gegenden Indiens muss man mit Problemen rechnen, wenn man zu einer religiösen Minderheit gehört. Besonders dort, wo Hindu-Parteien regieren. Außerdem gibt es in anderen Universitäten manchmal keinen Strom. In Aligarh ist Strom jederzeit verfügbar."
Die Frage, was die Visionen des Universitätsgründers von einem reformorientierten liberalen Islam heute bedeuten, löst eine eher zurückhaltende Reaktion aus.
"Ich habe Syed Ahmed Khan noch nie gesehen. Aber ich habe von ihm gehört. Er soll ein toller Mann gewesen sein und diese Universität gegründet haben. Ich schließe ihn in mein Gebet ein."
Ist das alles, was vom damaligen Modernismus übrig geblieben ist? Professor Abrar verneint: In Aligarh gehe, es hypermodern zu:
"Pharmazeutik, Physiotherapie, Radiologie, Ingenieurswissenschaften, Elektrotechnik, Informatik, Architektur ..."
Für fortschrittliche Theologie sei die Universität allerdings nicht mehr bekannt, räumt der Professor gleichzeitig ein. Warum? Ist es die Wagenburgmentalität der Religionen; setzen Hindus und Muslime aus politischen Gründen lieber auf Einheit und Identität, auf religiösen Konservatismus statt auf Reformen? Abrar lässt das unbeantwortet - und eilt lieber voraus, zum Grab des Universitätsgründers.
"Hier ruht Sir Syed Ahmed Khan. Hier können Sie erkennen: Geboren 1817, gestorben 1889. Er war der Träumer unserer Träume."
"Aus diesem College werden wir eine Universität machen, die sich mit Oxford und Cambridge messen kann. Wie es in Oxford und Cambridge Kirchen gibt, werden an jede Fakultät Moscheen angeschlossen sein, außerdem ein Sportplatz und ein Swimmingpool. Der Gebrauch von groben und schmutzigen Wörtern, wie sie Knaben für gewöhnlich aufschnappen, wird an diesem College untersagt sein. Untersagt sein wird ferner: Zigaretten zu rauchen und Betel zu kauen. Alle Studenten sind gehalten, Socken und Schuhe in europäischem Stil zu tragen."
Heute wird auf dem Campus nicht mehr viel Wert auf europäische Eleganz gelegt. Aus den Fenstern der neogotischen Studentenunterkünfte flattert Wäsche. In den miteinander verbundenen Höfen verrotten die Gebäude. Der Stuck bröckelt, während das Unkraut wuchert und der Staub zentimeterdick auf Wegen und Mauern liegt.
Ein Fingerzeig darauf, wie viel sich seit den Tagen des Universitätsgründers verändert hat. Das Gros der Muslime ist nach der Teilung ins benachbarte Pakistan abgewandert. Professor Abrar scheint eifrig bemüht, Pakistan nicht zu erwähnen. Handelt es sich doch um eine Art Erbfeind, mit dem sich Indien im latenten Kriegszustand befindet und das zudem von der Regierung immer wieder für Terroranschläge verantwortlich gemacht wird wie den von Bombay 2008.
Heute wagen nur noch wenige Studenten an der weltweit einzigen islamischen Reformuniversität, die sich die Freiheit von Forschung und Lehre auf die Fahnen schreibt, ihre Meinung öffentlich kundzutun. Als indischer Muslim, lassen sie durchblicken, tue man gut daran, nicht zu viel Aufsehen zu erwecken. Die Antworten auf die Frage nach ihrem Studienort klingen pragmatisch – und ähneln damit denen der Studenten der erzkonservativen Madrassa von Karachi:
"Meine Religion ist der Islam, also sollte ich etwas darüber wissen. Und das Englisch, das ich hier lerne, kann mir Berufsleben etwas nützen."
"In Indien werden Minoritäten nicht sehr viele Chancen eingeräumt. Ich bin Muslim. Hier haben wir Möglichkeiten, die wir woanders nicht hätten. In einigen Gegenden Indiens muss man mit Problemen rechnen, wenn man zu einer religiösen Minderheit gehört. Besonders dort, wo Hindu-Parteien regieren. Außerdem gibt es in anderen Universitäten manchmal keinen Strom. In Aligarh ist Strom jederzeit verfügbar."
Die Frage, was die Visionen des Universitätsgründers von einem reformorientierten liberalen Islam heute bedeuten, löst eine eher zurückhaltende Reaktion aus.
"Ich habe Syed Ahmed Khan noch nie gesehen. Aber ich habe von ihm gehört. Er soll ein toller Mann gewesen sein und diese Universität gegründet haben. Ich schließe ihn in mein Gebet ein."
Ist das alles, was vom damaligen Modernismus übrig geblieben ist? Professor Abrar verneint: In Aligarh gehe, es hypermodern zu:
"Pharmazeutik, Physiotherapie, Radiologie, Ingenieurswissenschaften, Elektrotechnik, Informatik, Architektur ..."
Für fortschrittliche Theologie sei die Universität allerdings nicht mehr bekannt, räumt der Professor gleichzeitig ein. Warum? Ist es die Wagenburgmentalität der Religionen; setzen Hindus und Muslime aus politischen Gründen lieber auf Einheit und Identität, auf religiösen Konservatismus statt auf Reformen? Abrar lässt das unbeantwortet - und eilt lieber voraus, zum Grab des Universitätsgründers.
"Hier ruht Sir Syed Ahmed Khan. Hier können Sie erkennen: Geboren 1817, gestorben 1889. Er war der Träumer unserer Träume."