Wo der schlimmste Feind des Islam lauert
Beirut und Bagdad bilden die geographischen Bezugspunkte des Romans von Yasmina Khadra. In Beirut wartet der Ich-Erzähler, ein junger Beduine, auf seinen Einsatz als Djihadi, als Gotteskrieger. Er erzählt, wie er, dem Gewalt von Kind an ein Gräuel war, zu einem solchen geworden ist. Am Ende vermittelt der Roman vor allem eines: wo der schlimmste Feind des Islam lauert.
Nichts beschäftigt die westliche Welt derzeit so sehr wie die Gefahr des fundamentalistischen Terrors. Und kein anderes Thema ist zugleich so sehr beherrscht von Stereotypen und der Verzerrung ins Abstrakte – das findet zumindest der algerische Schriftsteller Yasmina Khadra. Daher hat er sich der literarischen Mission verschrieben, die menschliche Innensicht dessen zu liefern, was hier nur ein Schlagwort in den Medien ist. Dieser Mission ist er auch im letzten Roman seiner Trilogie über die ‚Logik des Terrorismus’ treu geblieben, der unter dem Titel "Die Sirenen von Bagdad" in den Irak-Krieg entführt.
Beirut und Bagdad bilden dabei die geographischen Bezugspunkte des Romans. Dazwischen aber liegt das kleine irakische Wüstendorf Kafr Karam, aus dem der Ich-Erzähler, ein junger Beduine, stammt. In Beirut wartet er auf seinen Einsatz als Djihadi, als Gotteskrieger, und erzählt derweil, wie er, dem Gewalt von Kind an ein Gräuel war, zu einem solchen geworden ist.
Khadra macht klar: Es kann verschiedene Gründe geben, warum jemand ein Attentäter wird. Für seinen Ich-Erzähler war nicht wie erwartet die Invasion der Amerikaner der Stein des Anstoßes, sondern eine freudianisch anmutende Urszene: Als Kafr Karam eines Nachts von einer amerikanischen Razzia heimgesucht wird, sieht der junge Beduine wider Willen das entblößte Geschlecht seines Erzeugers. Das aber bedeutet laut den Gesetzen seiner Kultur: Er muss Heim und Hof nicht nur für immer verlassen, sondern auch Rache üben dafür, dass er und seinesgleichen entehrt worden sind.
Kafr Karam ist daher das dramaturgische Herz des Romans. Denn "Die Sirenen von Bagdad" umkreisen das Konzept der Blutrache als Ehrenkodex der Araber, um zu zeigen, dass die westliche Welt anderen kulturellen Konstrukten entweder mit Blindheit oder mit Ignoranz begegnet. Doch auch ein ‚Krieg der Kulturen’, wie ihn jene Djihadis im Munde führen, denen der Ich-Erzähler sich in Bagdad anschließen wird, ist Khadras Sache nicht. Ihn beschäftigt vielmehr das Problem der menschlichen Ausweglosigkeit in der Konfrontation zweier ungleicher Gegner – und die politischen Folgen, die daraus erstehen.
Um die Vielschichtigkeit der muslimischen Welt und deren innere Zerrissenheit zu demonstrieren, bringt Khadra viele Stimmen zum Einsatz. Diese Vielstimmigkeit ist die große Stärke des Romans – aber auch seine größte Schwäche. Denn gerade weil Khadra differenzieren will, wo er in der westlichen Darstellung der arabisch-muslimischen Welt Verallgemeinerungen am Wirken sieht; gerade, weil er jene zu Gehör bringen will, deren leisere Töne im Gelärm der westlichen Islamphobie untergehen, drohen seine Figuren zu künstlichen Fürsprechern seiner eigenen Mission zu werden. Manche Dialoge der Dorfbewohner wirken daher wie politische Abhandlungen, in denen nichts fehlt von dem, was die muslimische Welt argumentativ gegen den Westen zu Felde führt.
Doch Khadra wäre nicht Khadra, würde nicht auch in diesem Roman am Ende die Hoffnung glimmen, wenn er das Schlusswort seinem alter ego, einem Schriftsteller, überlässt: Dass es die Aufgabe gerade jener Intellektuellen sei, die wie Khadra in zwei Kulturen zu Hause sind, den Islam – und damit die Welt – vor dem Bösen zu retten. Dieser Optimismus überrascht, denn lehrten nicht spätestens die Londoner Anschläge 2007 genau das Gegenteil? Dennoch vermittelt dieser Roman vor allem eines: Der schlimmste Feind des Islam ist schon lange nicht mehr der Westen. Der schlimmste Feind, so Khadra, lauert im Inneren des Islam.
Rezensiert von Claudia Kramatschek
Yasmina Khadra: Die Sirenen von Bagdad. Roman.
Aus dem Französischen von Regina Keil-Sagawe,
Nagel & Kimche 2008, 315 Seiten, 19,90 Euro
Beirut und Bagdad bilden dabei die geographischen Bezugspunkte des Romans. Dazwischen aber liegt das kleine irakische Wüstendorf Kafr Karam, aus dem der Ich-Erzähler, ein junger Beduine, stammt. In Beirut wartet er auf seinen Einsatz als Djihadi, als Gotteskrieger, und erzählt derweil, wie er, dem Gewalt von Kind an ein Gräuel war, zu einem solchen geworden ist.
Khadra macht klar: Es kann verschiedene Gründe geben, warum jemand ein Attentäter wird. Für seinen Ich-Erzähler war nicht wie erwartet die Invasion der Amerikaner der Stein des Anstoßes, sondern eine freudianisch anmutende Urszene: Als Kafr Karam eines Nachts von einer amerikanischen Razzia heimgesucht wird, sieht der junge Beduine wider Willen das entblößte Geschlecht seines Erzeugers. Das aber bedeutet laut den Gesetzen seiner Kultur: Er muss Heim und Hof nicht nur für immer verlassen, sondern auch Rache üben dafür, dass er und seinesgleichen entehrt worden sind.
Kafr Karam ist daher das dramaturgische Herz des Romans. Denn "Die Sirenen von Bagdad" umkreisen das Konzept der Blutrache als Ehrenkodex der Araber, um zu zeigen, dass die westliche Welt anderen kulturellen Konstrukten entweder mit Blindheit oder mit Ignoranz begegnet. Doch auch ein ‚Krieg der Kulturen’, wie ihn jene Djihadis im Munde führen, denen der Ich-Erzähler sich in Bagdad anschließen wird, ist Khadras Sache nicht. Ihn beschäftigt vielmehr das Problem der menschlichen Ausweglosigkeit in der Konfrontation zweier ungleicher Gegner – und die politischen Folgen, die daraus erstehen.
Um die Vielschichtigkeit der muslimischen Welt und deren innere Zerrissenheit zu demonstrieren, bringt Khadra viele Stimmen zum Einsatz. Diese Vielstimmigkeit ist die große Stärke des Romans – aber auch seine größte Schwäche. Denn gerade weil Khadra differenzieren will, wo er in der westlichen Darstellung der arabisch-muslimischen Welt Verallgemeinerungen am Wirken sieht; gerade, weil er jene zu Gehör bringen will, deren leisere Töne im Gelärm der westlichen Islamphobie untergehen, drohen seine Figuren zu künstlichen Fürsprechern seiner eigenen Mission zu werden. Manche Dialoge der Dorfbewohner wirken daher wie politische Abhandlungen, in denen nichts fehlt von dem, was die muslimische Welt argumentativ gegen den Westen zu Felde führt.
Doch Khadra wäre nicht Khadra, würde nicht auch in diesem Roman am Ende die Hoffnung glimmen, wenn er das Schlusswort seinem alter ego, einem Schriftsteller, überlässt: Dass es die Aufgabe gerade jener Intellektuellen sei, die wie Khadra in zwei Kulturen zu Hause sind, den Islam – und damit die Welt – vor dem Bösen zu retten. Dieser Optimismus überrascht, denn lehrten nicht spätestens die Londoner Anschläge 2007 genau das Gegenteil? Dennoch vermittelt dieser Roman vor allem eines: Der schlimmste Feind des Islam ist schon lange nicht mehr der Westen. Der schlimmste Feind, so Khadra, lauert im Inneren des Islam.
Rezensiert von Claudia Kramatschek
Yasmina Khadra: Die Sirenen von Bagdad. Roman.
Aus dem Französischen von Regina Keil-Sagawe,
Nagel & Kimche 2008, 315 Seiten, 19,90 Euro