Wo die Götter die Welt erschufen
Einblicke in eine rätselhafte Kultur des alten Mexiko: Exponate aus der einst größten und einflussreichsten Metropole Amerikas, Teotihuacán, sind jetzt in Berlin zu sehen.
20 Quadratkilometer! So groß war die Stadt in ihrer Blütezeit. Um 100 vor der Zeitenwende entstanden, wurde sie 300 Jahre später nach städteplanerischem Gesamtkontept umgestaltet: auf 20 Quadratkilometern entstand eine schachbrettartig angelegte Metropole. An ihrer Hauptachse lagen die über 60 Meter hohen Pyramiden für Mond und Sonne, an ihrem Ende die etwas kleinere des Quetzalcoatl. Bis zu über 160.000 Menschen lebten in Teotihucán. Um 650 ging die Stadt unter, 800 Jahre später wurde sie von den Azteken wieder besiedelt.
"Für die Azteken war Teotihuacán der Ort, an dem die Götter die Welt erschufen. Und bis heute ist Teotihuacán für Mexiko ein enorm wichtiger Ort: Dort lag einmal die größte Stadt der Welt, mit einer unglaublichen Vielfalt an Kunst. Ein grundlegender Ort für das Verständnis unserer Geschichte, die - weil danach die Spanier kamen und alles zerstörten - unsere verlorene Stärke und Größe ausdrückt."
Mit dieser bis heute beeindruckenden Größe eröffnet die Ausstellung: Der erste Saal präsentiert die Architektur und Machtsymbole der Stadt. Darunter zwei gewaltige, steinerne Köpfe Quetzalcoatls, der gefiederten Schlange, die zuständig war für die Fruchtbarkeit der Erde und für das Leben selbst, und die einst eine Pyramide schmückten. Oder das mehrteilige Steinrelief eines grimmig blickenden Jaguars. Daneben - in einer Vitrine - zwei an Fäden hängende Lote zum Ausrichten von Wänden.
Dieser Verweis auf menschliche Arbeit zieht sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung und macht sie so besonders: Sie präsentiert die Fundstücke nämlich nicht als spektakuläre Sensationen, sondern zeigt die für ihre Entstehung notwendigen gesellschaftlichen Voraussetzungen: Alltag und Arbeit stehen im Mittelpunkt. Und ob im Bereich Architektur, Handel, Wandmalerei oder Keramik - sichtbar wird das Bild einer hochentwickelten, arbeitsteiligen Gesellschaft.
"Wir wissen viel darüber, wie die Menschen zusammengelebt haben, in ihren Vierteln, in den Häusern. Das ist vielleicht nicht sonderlich spektakulär, erzählt uns aber viel über die Gesellschaft. Heute wissen wir, dass Teotihuacán die größte Metropole der Welt war. Man sprach dort die unterschiedlichsten Sprachen. In ihr lebten Menschen aus ganz Mesoamerika, aus Veracruz, Oaxaka, dem Gebiet der Maya."
Angelockt wurden sie wohl durch die ungewöhnlichen Lebensbedingungen: Teotihuacán war durch Kriege, Tributzahlungen und Handel reich geworden. Die Kontakte reichten bis nach Honduras und ins guatemaltekische Tikal. Und die lebensgroße Keramikfigur eines kauernden Alten, dessen Rücken unter der Last eines Kohlebeckens fast zu brechen scheint, fand man an der Golfküste.
Der gesellschaftlich produzierte Reichtum blieb jedoch nicht allein in den Händen der herrschenden Klasse. Vielmehr entwickelte diese ein einzigartiges stadtplanerisches Konzept: Es gab eine öffentliche Wasserversorgung, ein funktionierendes Abwassersystem, und...
"Alle Häuser waren gleich, egal, woher ihre Bewohner kamen. Ob Mayas, Menschen aus Veracruz, Ost- oder Westmexiko - alle lebten in derselben Steinarchitektur. Die Menschen in Teotihuacán behandelten sich als Gleiche. Alle waren gleich. Und das spiegelt sich auch in der Kunst: Wenn man die Keramikfiguren anguckt, gibt es keine unterschiedlichen Gesichtszüge - alle sehen gleich aus. Und das ist eine ganz starkes politisches Ziel."
Das für mehrere Jahrhunderte aufging, obwohl es gesellschaftliche Hierarchien gab. So fand man nur in den Wohnhäusern der Reichen Wandbilder, die in satten Rot-Ocker-Tönen von der Götterwelt erzählen, oder besonders aufwändig gestaltete Keramikfiguren. Doch etwas einfachere - mit denselben Gesichtszügen - entstanden als Massenware auch für Arbeiter.
Was man bisher allerdings nicht fand, sind die Namen der Herrscher der damals mächtigsten und einflussreichsten Kultur Amerikas. Auch dies, meint Miguel Baez, war Absicht.
"In diesem Sinn ist Teotihuacán wirklich einzigartig. Wir wissen nichts über die Herrscher. Wir haben keine Namen, wissen nicht, wo sie wohnten, nicht, wo sie regierten. Es gibt nicht die Spur von dem Namen eines Königs. Überall drumherum gab es Könige. Hier: Nichts! - Wir gehen heute davon aus, dass es vier führende Leute gab, die gemeinsam mit einem wechselnden Kollektiv regierten."
Vieles ist noch ungeklärt. Doch die Chancen, Antworten zu finden, werden trotz neuester Technik nicht besser: Fünf Prozent der riesigen Metropole sind bisher erst erforscht. Aber das Geld reicht nicht einmal aus, um die wichtigsten Gebäude zu konservieren und so vor ihrer endgültigen Zerstörung durch Frost und Regen zu schützen. So wird die Antwort auf viele Fragen wohl für immer lauten: "No sabemos" - "Wir wissen es nicht". Etwa auf die Frage nach den Machtstrukturen. Oder weshalb das so starke Teotihucán um 650 unterging. Die Archäologen wissen: Es gab damals eine Dürre. Vielleicht wurde die Stadt auch erobert, oder es gab soziale Unruhen - aber was wirklich passiert ist ...
Zum Thema: Homepage des Martin-Gropius-Baus
1.7. - 10.10.2010, Berlin
"Für die Azteken war Teotihuacán der Ort, an dem die Götter die Welt erschufen. Und bis heute ist Teotihuacán für Mexiko ein enorm wichtiger Ort: Dort lag einmal die größte Stadt der Welt, mit einer unglaublichen Vielfalt an Kunst. Ein grundlegender Ort für das Verständnis unserer Geschichte, die - weil danach die Spanier kamen und alles zerstörten - unsere verlorene Stärke und Größe ausdrückt."
Mit dieser bis heute beeindruckenden Größe eröffnet die Ausstellung: Der erste Saal präsentiert die Architektur und Machtsymbole der Stadt. Darunter zwei gewaltige, steinerne Köpfe Quetzalcoatls, der gefiederten Schlange, die zuständig war für die Fruchtbarkeit der Erde und für das Leben selbst, und die einst eine Pyramide schmückten. Oder das mehrteilige Steinrelief eines grimmig blickenden Jaguars. Daneben - in einer Vitrine - zwei an Fäden hängende Lote zum Ausrichten von Wänden.
Dieser Verweis auf menschliche Arbeit zieht sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung und macht sie so besonders: Sie präsentiert die Fundstücke nämlich nicht als spektakuläre Sensationen, sondern zeigt die für ihre Entstehung notwendigen gesellschaftlichen Voraussetzungen: Alltag und Arbeit stehen im Mittelpunkt. Und ob im Bereich Architektur, Handel, Wandmalerei oder Keramik - sichtbar wird das Bild einer hochentwickelten, arbeitsteiligen Gesellschaft.
"Wir wissen viel darüber, wie die Menschen zusammengelebt haben, in ihren Vierteln, in den Häusern. Das ist vielleicht nicht sonderlich spektakulär, erzählt uns aber viel über die Gesellschaft. Heute wissen wir, dass Teotihuacán die größte Metropole der Welt war. Man sprach dort die unterschiedlichsten Sprachen. In ihr lebten Menschen aus ganz Mesoamerika, aus Veracruz, Oaxaka, dem Gebiet der Maya."
Angelockt wurden sie wohl durch die ungewöhnlichen Lebensbedingungen: Teotihuacán war durch Kriege, Tributzahlungen und Handel reich geworden. Die Kontakte reichten bis nach Honduras und ins guatemaltekische Tikal. Und die lebensgroße Keramikfigur eines kauernden Alten, dessen Rücken unter der Last eines Kohlebeckens fast zu brechen scheint, fand man an der Golfküste.
Der gesellschaftlich produzierte Reichtum blieb jedoch nicht allein in den Händen der herrschenden Klasse. Vielmehr entwickelte diese ein einzigartiges stadtplanerisches Konzept: Es gab eine öffentliche Wasserversorgung, ein funktionierendes Abwassersystem, und...
"Alle Häuser waren gleich, egal, woher ihre Bewohner kamen. Ob Mayas, Menschen aus Veracruz, Ost- oder Westmexiko - alle lebten in derselben Steinarchitektur. Die Menschen in Teotihuacán behandelten sich als Gleiche. Alle waren gleich. Und das spiegelt sich auch in der Kunst: Wenn man die Keramikfiguren anguckt, gibt es keine unterschiedlichen Gesichtszüge - alle sehen gleich aus. Und das ist eine ganz starkes politisches Ziel."
Das für mehrere Jahrhunderte aufging, obwohl es gesellschaftliche Hierarchien gab. So fand man nur in den Wohnhäusern der Reichen Wandbilder, die in satten Rot-Ocker-Tönen von der Götterwelt erzählen, oder besonders aufwändig gestaltete Keramikfiguren. Doch etwas einfachere - mit denselben Gesichtszügen - entstanden als Massenware auch für Arbeiter.
Was man bisher allerdings nicht fand, sind die Namen der Herrscher der damals mächtigsten und einflussreichsten Kultur Amerikas. Auch dies, meint Miguel Baez, war Absicht.
"In diesem Sinn ist Teotihuacán wirklich einzigartig. Wir wissen nichts über die Herrscher. Wir haben keine Namen, wissen nicht, wo sie wohnten, nicht, wo sie regierten. Es gibt nicht die Spur von dem Namen eines Königs. Überall drumherum gab es Könige. Hier: Nichts! - Wir gehen heute davon aus, dass es vier führende Leute gab, die gemeinsam mit einem wechselnden Kollektiv regierten."
Vieles ist noch ungeklärt. Doch die Chancen, Antworten zu finden, werden trotz neuester Technik nicht besser: Fünf Prozent der riesigen Metropole sind bisher erst erforscht. Aber das Geld reicht nicht einmal aus, um die wichtigsten Gebäude zu konservieren und so vor ihrer endgültigen Zerstörung durch Frost und Regen zu schützen. So wird die Antwort auf viele Fragen wohl für immer lauten: "No sabemos" - "Wir wissen es nicht". Etwa auf die Frage nach den Machtstrukturen. Oder weshalb das so starke Teotihucán um 650 unterging. Die Archäologen wissen: Es gab damals eine Dürre. Vielleicht wurde die Stadt auch erobert, oder es gab soziale Unruhen - aber was wirklich passiert ist ...
Zum Thema: Homepage des Martin-Gropius-Baus
1.7. - 10.10.2010, Berlin