Wo die Kinder Gottes wohnen
Frauen müssen Röcke tragen, in den Geschäften gibt es keine Kondome zu kaufen: Rund 3000 Menschen leben in der Retortenstadt Ave Maria im US-Bundestaat Florida. Die meisten von ihnen sind erz-katholisch.
Eine braune Schatulle mit einem Gebet auf der Vorderseite und einem Bild der Madonna auf dem Deckel. Öffnet man die Spieluhr, erklingt das Ave Maria. Kitsch für die einen, ein nettes Andenken aus dem einzigen Souvenirladen der Stadt Ave Maria für andere.
"Mir gefiel die Idee, dass es eine neue Stadt war, als ich vor drei Jahren hierher gezogen bin. Das fand ich sehr ansprechend. Eine ganz junge Stadt, in der es aber bereits eine Universität gibt, die mein Sohn besucht. Ich wollte in seiner Nähe sein, habe also hier einen Job gesucht. Außerdem bin ich Katholikin. Von daher habe ich zu einer Stadt namens Ave Maria natürlich eine besondere Beziehung. Das bedeutet 'gegrüßet seist Du, Maria'. Das fand ich cool."
Kathy Delaney ist aus der Metropole New York ins beschauliche Ave Maria gezogen. Die stämmige, langhaarige Frau hat im Wellness-Tempel Salon d‘Maria im Zentrum der Stadt Arbeit gefunden. Maniküre, Pediküre, Massage, Peeling – alles, um in Ave Maria neben dem Geist auch den Körper in Schuss zu halten.
"Ich bin ausgebildete Masseurin. Meine Kunden werden hier therapeutisch behandelt. Mir gefällt es, Menschen zu helfen, damit sie sich besser fühlen, wenn sie Schmerzen haben. Das ist für mich wie eine Handlung, die ich aus Liebe tue, wie ein Geschenk Gottes, das ich mit anderen teile – und nur darum geht es."
Wer von New York - oder von sonstwo her – nach Ave Maria zieht, den muss eine bestimmte Überzeugung treiben. Genauer: eine tief-religiöse Überzeugung, wie sie auch bei Kathy Delaney vorherrscht. Der Aufbau der künstlichen Stadt Ave Maria verstärkt diese Überzeugung: Alle Geschäfte, ob Souvenirläden oder Massage-Salons, sind kreisförmig rund um die zentrale Kathedrale angeordnet.
"Die Kirche bildet das Stadtzentrum von Ave Maria. Man kann jederzeit kurz vorbeischauen, um ein Gebet zu sprechen. Der Glaube ist das zentrale Thema hier. Es fällt uns deswegen nicht schwer, ihn auch zu leben."
'Verkündigungs-Kreis' ist der offizielle Name des Kirchplatzes. Dort münden alle Straßen, dort sind die Geschäfte und Restaurants – genauer: das Restaurant, denn in Ave Maria gibt es genau eine irische Gaststätte, ein Café, einen Obstladen und einen Supermarkt. Ein Hauch von Sozialismus, ein Anfall von mangelndem Pluralismus in dieser Retortenstadt.
"Naja, so richtige Kaufhäuser haben wir hier noch nicht. Wir müssen die Stadt verlassen, um wirklich groß einzukaufen. Hier gibt es nur das Notwendige, wie Schulen, Ärzte und eine Kirche. Es ist so eine Art Oase außerhalb der wahren Welt. Ich genieße es aber immer, hierher zurückzukommen. Ich reise viel; gerade erst war ich in Ecuador, in Maryland und in Kalifornien. Dort besuche ich regelmäßig meine Familie. Ich kenne die Welt außerhalb. Gerade deswegen gefällt es mir hier: Es ist sicher, man fühlt sich beschützt, und man ist von Gleichgesinnten umgeben. Wer so etwas mag, wird sich hier wohlfühlen."
Etwa 1100 "Gleichgesinnten" bietet die Kirche von Ave Maria Platz – ein 30 Meter hoher Bau nur aus Glas und Stahl. Wäre Holz verwendet worden, hätte die hohe Luftfeuchtigkeit im Süden Floridas dazu geführt, dass sich im Innern des Gebäudes Wolken bilden und in der Kirche ein eigenes Ökosystem entsteht. Binnen eines einzigen Jahres, von März 2006 bis März 2007, ist die Kirche erbaut worden. Und: Sie ist wirbelsturmsicher, kann sogar Hurrikanen der höchsten Kategorie widerstehen.
Rund 3000 Menschen wohnen mittlerweile in Ave Maria. Die überwiegende Mehrheit ist katholisch, aber auch Protestanten und Muslime werden geduldet. Denn dies sei eine tolerante Stadt, wie Pastor Robert Tatman betont.
"Wir haben diese Stadt getreu der amerikanischen Überzeugung aufgebaut, dass wir Menschen nicht diskriminieren. Auch wenn die meisten Einwohner hier katholisch sind, hegen wir gegenüber Andersgläubigen keine Vorurteile. Es spielt keine Rolle, woher jemand kommt. Jedermann ist jederzeit willkommen. Wenn das keine christliche Einstellung ist, weiß ich es auch nicht."
Das Stadtbild von Ave Maria bestimmen weiße, katholische, hetero-sexuelle Mitt-Vierziger und –Fünfziger. Die "tolerierten Minderheiten" verspüren offenbar keinen großen Drang, sich in einer erz-katholischen Retorten-Stadt wie Ave Maria niederzulassen, in der die Frauen Röcke tragen müssen und in der keine Kondome verkauft werden. Menschen mit dunkler Hautfarbe, Homosexuelle, Alkoholabhängige oder Singles sind im Stadtbild von Ave Maria nicht zu erkennen. Sichtbar und hörbar ist dafür jedoch der Nachwuchs von Ave Maria, was Masseurin Kathy Delaney freut.
"Wenn Sie sich umsehen, sehen Sie überall Kinder. Dieser Ort hier ist hervorragend dafür geeignet, Kinder großzuziehen. Sie finden überall Unterstützung; andere Familien helfen aus und kümmern sich um die Kinder. Es ist wie eine große Familie."
Dass die Frauen und Männer von Ave Maria nicht verhüten, liegt nicht daran, dass sie im Ort keine Kondome bekommen, sondern es geschieht aus Überzeugung. Und so hat die Besitzerin des Souvenirladens mittlerweile neun Kinder, der Diakon des Ortes acht. Als Spielplatz fungiert der gesamte Ort.
"Katholiken konzentrieren sich sehr auf ihre Ehe. Sie sind für das Leben sehr offen, betrachten Kinder als Geschenk Gottes und verhüten bewusst nicht. Und das läuft nun einmal auf große, glückliche Familien hinaus."
Veronica Lyter ist aus Chicago nach Ave Maria gezogen – aber nicht, um sich dem Kindersegen anzuschließen oder ein Geschäft zu eröffnen. Denn auch abseits der religiösen Anziehungskraft weiß die junge Stadt junge Leute anzulocken – mit Rabatten nämlich; Rabatte auf den Lehrbetrieb in Form geringerer Studiengebühren an der Ave Maria University.
"Warum ich hier studiere – das ist eine lange Geschichte. Die Hochschule hier ist noch neu. Um es kurz zu machen: Die Universität von Ave Maria hat Stipendien vergeben. Meiner Familie und mir hat das finanziell sehr geholfen."
Rund 1000 Studenten hat die Ave Maria University nach einem halben Jahrzehnt angezogen. Veronica Lyter hat sich für Literatur entschieden. Sie ist sich unschlüssig, ob und wenn ja welchen theologischen Einfluss die Dozenten zu nehmen versuchen.
"Ich glaube nicht, dass die Professoren religiöse Aspekte in unserer Lektüre besonders betonen. Nein, das ist etwas, das mir selber aufgefallen ist, wenn unsere Dozenten sich metaphorisch ausdrücken. Was sie mir wohl sagen wollen ist, dass Literatur Wahrheit reflektiert. Und für mich ist die Wahrheit Christus. Das ist aber meine persönliche Schlussfolgerung. Eigentlich bemühen sich unsere Dozenten, möglichst objektiv zu unterrichten. Sie betonen sogar, dass Theologie und Literatur zwei verschiedene Dinge sind."
Und so gehen die Einwohner von Ave Maria hin und mehren sich weiter, in ihrer Siedlung, die ihnen als ein Garten Eden, Besuchern aber eher wie ein riesiger Kindergarten erscheinen mag. Ein Kindergarten mit Fluchttür zur wahren Welt.
"Ich finde hier alles, was ich brauche. Aber ehrlich gesagt tut ein Kulissenwechsel dann und wann mal ganz gut. Jedes zweite Wochenende fahre ich mit meinen Freunden ins 40 Autominuten entfernte Naples. Wir sind in Ave Maria also nicht wie in einer kleinen Blase gefangen. 2009 hatte ich aber noch kein Auto und war acht Monate non-stop lang hier auf dem Campus. - Und das ging auch ..."
"Mir gefiel die Idee, dass es eine neue Stadt war, als ich vor drei Jahren hierher gezogen bin. Das fand ich sehr ansprechend. Eine ganz junge Stadt, in der es aber bereits eine Universität gibt, die mein Sohn besucht. Ich wollte in seiner Nähe sein, habe also hier einen Job gesucht. Außerdem bin ich Katholikin. Von daher habe ich zu einer Stadt namens Ave Maria natürlich eine besondere Beziehung. Das bedeutet 'gegrüßet seist Du, Maria'. Das fand ich cool."
Kathy Delaney ist aus der Metropole New York ins beschauliche Ave Maria gezogen. Die stämmige, langhaarige Frau hat im Wellness-Tempel Salon d‘Maria im Zentrum der Stadt Arbeit gefunden. Maniküre, Pediküre, Massage, Peeling – alles, um in Ave Maria neben dem Geist auch den Körper in Schuss zu halten.
"Ich bin ausgebildete Masseurin. Meine Kunden werden hier therapeutisch behandelt. Mir gefällt es, Menschen zu helfen, damit sie sich besser fühlen, wenn sie Schmerzen haben. Das ist für mich wie eine Handlung, die ich aus Liebe tue, wie ein Geschenk Gottes, das ich mit anderen teile – und nur darum geht es."
Wer von New York - oder von sonstwo her – nach Ave Maria zieht, den muss eine bestimmte Überzeugung treiben. Genauer: eine tief-religiöse Überzeugung, wie sie auch bei Kathy Delaney vorherrscht. Der Aufbau der künstlichen Stadt Ave Maria verstärkt diese Überzeugung: Alle Geschäfte, ob Souvenirläden oder Massage-Salons, sind kreisförmig rund um die zentrale Kathedrale angeordnet.
"Die Kirche bildet das Stadtzentrum von Ave Maria. Man kann jederzeit kurz vorbeischauen, um ein Gebet zu sprechen. Der Glaube ist das zentrale Thema hier. Es fällt uns deswegen nicht schwer, ihn auch zu leben."
'Verkündigungs-Kreis' ist der offizielle Name des Kirchplatzes. Dort münden alle Straßen, dort sind die Geschäfte und Restaurants – genauer: das Restaurant, denn in Ave Maria gibt es genau eine irische Gaststätte, ein Café, einen Obstladen und einen Supermarkt. Ein Hauch von Sozialismus, ein Anfall von mangelndem Pluralismus in dieser Retortenstadt.
"Naja, so richtige Kaufhäuser haben wir hier noch nicht. Wir müssen die Stadt verlassen, um wirklich groß einzukaufen. Hier gibt es nur das Notwendige, wie Schulen, Ärzte und eine Kirche. Es ist so eine Art Oase außerhalb der wahren Welt. Ich genieße es aber immer, hierher zurückzukommen. Ich reise viel; gerade erst war ich in Ecuador, in Maryland und in Kalifornien. Dort besuche ich regelmäßig meine Familie. Ich kenne die Welt außerhalb. Gerade deswegen gefällt es mir hier: Es ist sicher, man fühlt sich beschützt, und man ist von Gleichgesinnten umgeben. Wer so etwas mag, wird sich hier wohlfühlen."
Etwa 1100 "Gleichgesinnten" bietet die Kirche von Ave Maria Platz – ein 30 Meter hoher Bau nur aus Glas und Stahl. Wäre Holz verwendet worden, hätte die hohe Luftfeuchtigkeit im Süden Floridas dazu geführt, dass sich im Innern des Gebäudes Wolken bilden und in der Kirche ein eigenes Ökosystem entsteht. Binnen eines einzigen Jahres, von März 2006 bis März 2007, ist die Kirche erbaut worden. Und: Sie ist wirbelsturmsicher, kann sogar Hurrikanen der höchsten Kategorie widerstehen.
Rund 3000 Menschen wohnen mittlerweile in Ave Maria. Die überwiegende Mehrheit ist katholisch, aber auch Protestanten und Muslime werden geduldet. Denn dies sei eine tolerante Stadt, wie Pastor Robert Tatman betont.
"Wir haben diese Stadt getreu der amerikanischen Überzeugung aufgebaut, dass wir Menschen nicht diskriminieren. Auch wenn die meisten Einwohner hier katholisch sind, hegen wir gegenüber Andersgläubigen keine Vorurteile. Es spielt keine Rolle, woher jemand kommt. Jedermann ist jederzeit willkommen. Wenn das keine christliche Einstellung ist, weiß ich es auch nicht."
Das Stadtbild von Ave Maria bestimmen weiße, katholische, hetero-sexuelle Mitt-Vierziger und –Fünfziger. Die "tolerierten Minderheiten" verspüren offenbar keinen großen Drang, sich in einer erz-katholischen Retorten-Stadt wie Ave Maria niederzulassen, in der die Frauen Röcke tragen müssen und in der keine Kondome verkauft werden. Menschen mit dunkler Hautfarbe, Homosexuelle, Alkoholabhängige oder Singles sind im Stadtbild von Ave Maria nicht zu erkennen. Sichtbar und hörbar ist dafür jedoch der Nachwuchs von Ave Maria, was Masseurin Kathy Delaney freut.
"Wenn Sie sich umsehen, sehen Sie überall Kinder. Dieser Ort hier ist hervorragend dafür geeignet, Kinder großzuziehen. Sie finden überall Unterstützung; andere Familien helfen aus und kümmern sich um die Kinder. Es ist wie eine große Familie."
Dass die Frauen und Männer von Ave Maria nicht verhüten, liegt nicht daran, dass sie im Ort keine Kondome bekommen, sondern es geschieht aus Überzeugung. Und so hat die Besitzerin des Souvenirladens mittlerweile neun Kinder, der Diakon des Ortes acht. Als Spielplatz fungiert der gesamte Ort.
"Katholiken konzentrieren sich sehr auf ihre Ehe. Sie sind für das Leben sehr offen, betrachten Kinder als Geschenk Gottes und verhüten bewusst nicht. Und das läuft nun einmal auf große, glückliche Familien hinaus."
Veronica Lyter ist aus Chicago nach Ave Maria gezogen – aber nicht, um sich dem Kindersegen anzuschließen oder ein Geschäft zu eröffnen. Denn auch abseits der religiösen Anziehungskraft weiß die junge Stadt junge Leute anzulocken – mit Rabatten nämlich; Rabatte auf den Lehrbetrieb in Form geringerer Studiengebühren an der Ave Maria University.
"Warum ich hier studiere – das ist eine lange Geschichte. Die Hochschule hier ist noch neu. Um es kurz zu machen: Die Universität von Ave Maria hat Stipendien vergeben. Meiner Familie und mir hat das finanziell sehr geholfen."
Rund 1000 Studenten hat die Ave Maria University nach einem halben Jahrzehnt angezogen. Veronica Lyter hat sich für Literatur entschieden. Sie ist sich unschlüssig, ob und wenn ja welchen theologischen Einfluss die Dozenten zu nehmen versuchen.
"Ich glaube nicht, dass die Professoren religiöse Aspekte in unserer Lektüre besonders betonen. Nein, das ist etwas, das mir selber aufgefallen ist, wenn unsere Dozenten sich metaphorisch ausdrücken. Was sie mir wohl sagen wollen ist, dass Literatur Wahrheit reflektiert. Und für mich ist die Wahrheit Christus. Das ist aber meine persönliche Schlussfolgerung. Eigentlich bemühen sich unsere Dozenten, möglichst objektiv zu unterrichten. Sie betonen sogar, dass Theologie und Literatur zwei verschiedene Dinge sind."
Und so gehen die Einwohner von Ave Maria hin und mehren sich weiter, in ihrer Siedlung, die ihnen als ein Garten Eden, Besuchern aber eher wie ein riesiger Kindergarten erscheinen mag. Ein Kindergarten mit Fluchttür zur wahren Welt.
"Ich finde hier alles, was ich brauche. Aber ehrlich gesagt tut ein Kulissenwechsel dann und wann mal ganz gut. Jedes zweite Wochenende fahre ich mit meinen Freunden ins 40 Autominuten entfernte Naples. Wir sind in Ave Maria also nicht wie in einer kleinen Blase gefangen. 2009 hatte ich aber noch kein Auto und war acht Monate non-stop lang hier auf dem Campus. - Und das ging auch ..."