Sehnsuchtsort Sonnenallee
Sie vermissen ihr Brot, ihre eingelegten Auberginen, ihre Gewürze. Doch sie wissen inzwischen, wo sie sie bekommen: Syrische Flüchtlinge in Berlin fahren in die Sonnenallee. Und nicht nur sie. Auch aus dem Umland kommen sie in Scharen in die arabischste Straße der Hauptstadt.
Die Kassierer und Verkäufer kommen kaum hinterher. Die Schlange an den zwei Kassen des Supermarktes Azzam reicht bis zur hintersten Regalreihe des Ladens. Die Kunden nehmen Dosen, Gewürze, Mokkapackungen aus den Regalen, lesen die arabischen Etiketten einander vor, riechen daran. Im Eingangsbereich ist abgepacktes arabisches Fladenbrot in 30 roten Kisten gestapelt. Drei junge Männer nehmen jeweils mehrere Packungen heraus. Sie sind syrische Flüchtlinge und wohnen seit drei Monaten in einem Flüchtlingsheim in Brandenburg. Deutsch sprechen sie noch nicht.
"Hier bekommen wir alles, was wir in Syrien auch gegessen haben. Vor allem kaufen wir Brot und Gewürze."
Die Männer sind 18 und 19 Jahre alt. Sie sind ohne ihre Eltern von Syrien in den Libanon geflüchtet. Von dort kamen sie nach Berlin. Hier fühlen sie sich zwar sicher, besonders wohl aber nicht, erzählen sie unserem Dolmetscher, dem Lieferanten des Supermarktes. Spaß haben wir hier kaum, sagt einer.
Mohammed Azzam verkauft dreimal so viel wie zuvor
Während die drei jungen Syrer sich an der Kasse anstellen, wird unser Dolmetscher zu seinem Transporter gerufen, der vor dem Laden in zweiter Reihe parkt. Der Inhaber des Ladens, Mohammed Azzam, sortiert die angelieferte Ware in die Regale:
"Hier zum Beispiel Fleisch, diese Dosen und Bohnen, diese Dosen, Humus, Thunfisch, Tee, Zucker. Hier haben wir Oliven, eingelegte Gurken und hier Makdus, eingelegte Auberginen."
Waren, die der Supermarkt ohnehin im Sortiment hat, sagt Azzam. Aber seit einigen Monaten muss er dreimal so viel wie sonst bestellen. Es habe sich auch außerhalb Berlins unter den Flüchtlingen herumgesprochen, dass man hier arabische Produkte kaufen könne. Die Kunden kämen von überall her, sagt Mohammed Azzam:
"Von Potsdam, Neubrandenburg, aus den ganzen umliegenden Städten kommen sie nach Berlin, meistens am Wochenende. Und sie kaufen für die ganze Woche ein. Das war früher nicht so. Jetzt verkaufen wir das Dreifache als früher."
Azzam beugt sich über eine Kiste und packt Gewürze aus. Die drei jungen Syrer haben nach langem Anstehen bezahlt und verlassen mit jeweils zwei vollen Einkaufstüten den Laden.
Auf der Sonnenallee ist es so wie in Syrien
Vor dem Geschäft sitzen zwei Frauen auf einer Bank, die um einen Baum herum gebaut ist. Ihre Kinder hüpfen um den Baum. Auf dem Boden liegen mehrere vollgepackte Taschen. Ihr Einkauf für die nächsten zwei Wochen, erzählen die Frauen mit streng gebundenen Kopftüchern. Sie wohnen in Eberswalde, eine Stunde Bahnfahrt von Berlin entfernt. Der Lieferant Mohammed Nassar dolmetscht wieder:
"Sie sagt, das ist eine arabische Straße. Da finden sie alles, was sie brauchen. Woanders finden sie das nicht. Und es ist alles billig hier. Dieser Obststand, die Tische, das ist genauso wie in Syrien."
Die Frauen warten auf ihre Männer, die im benachbarten Restaurant für Schawarma und Falafel anstehen. Durch das Fenster sieht man, dass alle Tische besetzt sind und vor der Theke viele Kunden anstehen. Draußen, auf dem Gehweg ist es so voll, dass man kaum vorankommt. Jeden Freitag und Samstag das gleiche Bild, sagt unser Dolmetscher, der sich weiter mit den zwei Frauen unterhält.
Zehn Kilo Hühnchen - für Nachbarn im Heim in Brandenburg
Neben ihnen sitzen wie reisebereit noch mehr Frauen, Kinder und Männer. Sie kommen zweimal im Monat aus dem südlichen Brandenburg hierher, erzählt Bashar Marawi:
"Einige andere Heimbewohner haben uns Bestellungen aufgegeben. Ich habe zehn Kilo Hühnchen gekauft, fünf Kilo für mich und fünf für eine andere Familie. Er hat drei Kilo für sich und drei für andere gekauft. Alle brauchen Essen."
Die Einkäufe sind in Trolleys und großen Taschen verstaut. Sobald die Kinder ihre Schawarmas aufgegessen haben, werden sie sich auf den Rückweg nach Finsterwalde machen, erzählt Marawi. Die Fahrt mit der Regionalbahn dauert zwei Stunden. Und ist jedes Mal doch ein bisschen mehr als nur eine Einkaufstour.
"Hier ist alles günstig, außerdem sind hier alle Araber. Wir können uns mit ihnen in unserer Sprache unterhalten."
Wenn sie aber schon mal in der arabischsten Straße Berlins sind, fügt er noch hinzu, vergnügen sie sich auch ein wenig wie in Syrien.
"Wir kaufen ein, essen in diesem Restaurant, und dann rauchen wir Wasserpfeife." (Lacht)
Sagt er. Muss dann aber los. Damit er und die anderen nicht ihren Zug verpassen.