Wo Museen aus dem Vollen schöpfen

Von Jürgen Kalwa |
In Boston, Massachusetts, wurde in den letzten zehn Jahren mehr als eine Milliarde Dollar in den Bau und Ausbau von zahlreichen angesehenen Museen gesteckt. Staatliche Subventionen gibt es nicht. Das viele Geld kommt ausschließlich aus privaten Kanälen.
Regelmäßig sonntagmittags erwachen die alten Gemäuer des Isabella Stewart Gardner Museums unter den Klängen klassischer Musik.

Mal wird Schubert gegeben. Mal ist es Bartók. Mal sind es Lieder aus dem "Great American Songbook”. Aber immer sind es junge Talente, die hier in Boston, Sitz von zahlreichen namhaften Universitäten und kulturellen Einrichtungen, ein interessiertes Publikum finden.

Das Museum ist die Hinterlassenschaft einer wohlhabenden Kunstsammlerin. Gebaut im Stil einer venezianischen Renaissance-Villa mit einem Innenhof mit Garten. Bei der Eröffnung im Jahr 1903 spielte das Boston Symphony Orchestra. Zu den Sammlungsobjekten gehörte - neben einem Botticelli und mehreren Rembrandts - das berühmte Gemälde Jan Vermeers mit dem passenden Titel "Das Konzert".

Der Vermeer allerdings kam dem Museum vor 20 Jahren beim größten Kunstraub aller Zeiten abhanden. Dem Ruf des Palazzos tat das keinen Abbruch. Im Gegenteil. Zurzeit entsteht gleich nebenan ein moderner Anbau. Wichtiger Teil des Entwurfs: Ein dreistöckiger Betonkubus mit allen akustischen Finessen, der Platz für 300 Konzertbesucher bieten wird.

So etwas kostet viel Geld.

Helena Hartnett ist im Isabella Stewart Gardner Museum zuständig für Geldbeschaffung und Kontaktpflege zu den wohlhabenden privaten Gönnern, oder in der euphemistisch angehauchten Sprache des amerikanischen Kulturwesens: Director of Development and External Affairs. Sie musste nicht nur 114 Millionen Dollar Baukosten auftreiben. Weitere 46 Millionen werden gesammelt, um das Stiftungskapital zu erhöhen. Der Zwischenstand:

"We are almost there. Which is a good thing.”"

Fast am Ziel in nur drei Jahren. Das ist wirklich eine gute Sache. Denn nur wenige Meter weiter hat im November das sehr viel größere Museum of Fine Arts einen stattlichen Anbau eröffnet. Entworfen hat ihn der britische Architekt Norman Foster. Kostenpunkt: mehr als 500 Millionen Dollar.

Und nicht zu vergessen, der 2006 fertig gestellte Neubau des Institute of Contemporary Art am ehemaligen Hafen. Ebenfalls eine reine Privatinitiative.

Wo kommt in einer Stadt mit einem Einzugsbereich von viereinhalb Millionen Menschen so viel Geld für die Kunst her? Peter Kadzis, Chefredakteur der Stadtzeitschrift Phoenix:

""Es gibt wirtschaftliche Faktoren. Viele Leute erkennen nicht: New York mag so etwas wie das Rom der weltweiten Finanzindustrie sein. Aber Boston ist der Vatikan. Und Boston pflegt traditionell die Künste. Diese Tradition wurde von den Museen sehr wirkungsvoll angezapft.”"

Dabei wollen nicht alle Gönner ins Rampenlicht, wie Geoff Edgers sagt, der Kulturreporter des Boston Globe:

""In Boston gibt man Geld nicht unbedingt deshalb, weil man zeigen will, wer die dickste Brieftasche hat. Man sieht es im Museum of Fine Art beim Blick auf die Tafel mit den Namen der Gönner: einige der größten Spenden sind anonym.”"

Niemand umwirbt die eitlen und die weniger eitlen Reichen so geschickt wie Malcolm Rogers. Der gebürtige Engländer leitet das Museum of Fine Arts seit 1994. Unter seiner Führung verabschiedete man sich vom kunsthistorischen Allerlei zugunsten eines prestigeträchtigen Kernthemas: Malcolm Rogers konzentriert sich auf das künstlerische Erbe von Nord- und Südamerika. Jedes Jahr kommt rund eine Million Besucher.

Zu ihm nach Hause, zu den exklusiven Partys der kunstinteressierten Millionäre von Boston, kommt nur eine Handvoll. Im kleinen Kreis entfaltet Rogers seinen ganzen Charme.

""Leute geben Geld, wenn sie an das Projekt glauben. Wir reden über eine relativ kleine Gruppe. Über ein paar Hundert sehr reicher Menschen. Die Reichen haben die Wahl, ob sie spenden. Sie sind nicht gezwungen, das zu tun."

Aber wenn sie einmal zum engen Kreis der Förderer einer Einrichtung gehören, dann spenden sie auch, wenn der Dow-Jones-Index in den Keller sackt.

So wie Stiftungsrat Fred Sharf. Harvard-Absolvent und Besitzer einer Sportmarketing-Firma. Er unterstützt viele Einrichtungen, aber keine so intensiv wie das Museum of Fine Arts. Mit Millionen von Dollar und mit Kunst aus seiner privaten Sammlung. Er und der Direktor treffen sich regelmäßig auf einen Whiskey. Kaum jemand war überrascht, als der gelernter Historiker und Japan-Kenner 2009 eine große Ausstellung kuratierte. Solch ein Nehmen und Geben ist Teil einer zielgerichteten Strategie, sagt Malcolm Rogers.

"Der Schlüssel ist, die Stiftungsräte zu den größten Investoren zu machen. Dann kann man zu anderen Leuten gehen und sagen: Schauen Sie sich an, was wir hier auf die Beine gestellt haben. Wollen Sie nicht auch zu diesem bemerkenswerten Kreis gehören?"