Wo ohne Geld schöne Häuser gebaut werden

Von Andreas Meyer-Feist |
Statistisch gesehen liegt die Wirtschaft des Kosovos am Boden. Aber in der Haupttadt Pristina zeugen neue Häuser und protzige Autos vom Reichtum ihrer Besitzer. Etliche EU-Milliarden sind in dunklen Kanälen verschwunden. Korruption und Betrug sind im jüngsten Staat Europas an der Tagesordnung.
In einem Straßencafé in der Fußgängerzone von Pristina treffen wir Vedat, Dalip und Artan. Alle Mitte 20. Sie bestellen sich Mineralwasser. Das ist billiger als ein Cappuccino, der hier zwar nur halb so teuer ist wie in Deutschland - aber auch das ist zu viel, wenn man mit wenig Geld durchkommen muss:

"Es wird immer schwieriger einen Job zu finden. Alle meine Freunde hier sind gut ausgebildete Leute mit Diplom- und Masterabschlüssen. Wenn sie überhaupt einen Job finden, dann dauert das mindestens acht Monate. So lange musste einer meiner Freunde warten, er ist immerhin Elektroingenieur mit sehr guten Noten. Das ist der Grund, warum man sich große Sorgen um die eigene Zukunft in Kosovo machen muss."

Sein Freund hat jetzt zwar einen Job. Aber ohne Krankenkasse, ohne soziale
Absicherung und ohne Aufstiegsperspektive. Die Schuld für die Misere gibt er der
kosovarischen Politik:

"Ich glaube stark, dass die politische Klasse, die wir momentan haben, nicht gut sein kann für unser Land. Wenn sie die Wahl-Schwindeleien sehen, und wie die Mafia alles beherrscht, wie illegale Geschäfte gemacht werden und welche Vorwürfe im Raum stehen - speziell wenn es um Thaci geht."

Der 43 Jahre alte, ehemalige Kämpfer der kosovarischen Untergrundarmee UCK und heutige Ministerpräsident Hashim Thaci gilt bei vielen jungen, akademisch ausgebildeten Albanern als Symbol für die schlechten Verhältnisse im Land. Kaum ein hochrangiger Regierungsvertreter aus Deutschland, Frankreich oder anderen EU-Ländern hat sich in den vergangenen Monaten noch nach Pristina verirrt. Hashim Thaci hatte versucht, einen dubiosen Geschäftsmann, der bei Unternehmensprivatisierungen mitverdienen wollte, auf Druck seiner Koalitionspartner als Staatspräsidenten durchzusetzen. Hinzu kamen Vorwürfe des Europarats, der Thaci mit der Kosovo-Mafia in Verbindung bringt, die nach Ende des Kosovo-Krieges mit Waffen-, Drogen und - im Fall Thaci - mit Organhandel gute Geschäfte gemacht haben soll. Der Premierminister verteidigte sich: die politischen Gegner hätten die Gerüchte in Umlauf gebracht:

"Der Bericht ist skandalös! Ein Text voller Lügen! Es ist die Propaganda unserer Gegner, die gegen das Wohl Kosovos und gegen das Wohl unserer Bürger arbeiten. Seit Jahren geht das schon so. Es ist ein Bericht, der versucht, alle Kosovaren zu besudeln!"

Die jungen arbeitslosen Ingenieure, Juristen und Betriebswirte im Straßencafé schenken solchen Antworten ihres Premierministers offenbar nur noch wenig Vertrauen:

"Nicht sehr vertrauenswürdig, wenn sie sich die ganzen Berichte in Sachen Korruption anschauen. Es ist etwas frustrierend zu sehen, dass all diese Vorwürfe aber nie bis zum Ende untersucht werden - nie gibt es verlässliche Urteile."

Mustafa blättert in dicken Papierstapeln. Auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, wer beherrscht Kosovo. Das Ergebnis jahrelanger Arbeit:

"Es ist offensichtlich, dass Kosovo von einer abgeschlossenen und mächtigen Oligarchie beherrscht wird, die aus wenigen großen Familien besteht. Niemand kann hier ein Geschäft machen oder ein Unternehmen ohne die Erlaubnis dieser Familien gründen. Sie kontrollieren die Verwaltung, die Justiz. Sie sorgen dafür, dass ihre illegalen Geschäfte auch vor Strafverfolgung sicher sind. Natürlich funktioniert das nur, wenn die Menschen gehorchen und mitmachen. Aber die Menschen sind es gewohnt zu gehorchen, weil sie ihre Ohnmacht spüren und weil davon ihre Existenz abhängt. Man kann ihnen das nicht einmal verübeln. Nicht zu gehorchen könnte Selbstmord bedeuten in dieser darwinistischen Gesellschaft."

Nur selten bekommen diese Familien auch Namen und Gesichter. Hervorgegangen aus den Seilschaften ehemaliger UCK-Größen nutzen sie die Politik als Instrument persönlicher Bereicherung. Nur die Spitze einer kriminellen Ökonomie, die Milliarden einbringt. Durch Schmiergelder, Veruntreuung und Vetternwirtschaft. Mit dem Transfer afghanischen Heroins, weißrussischer Zigaretten und gepanschtem Viagra aus China.

"Das Problem ist, dass diese Oligarchie ihre Macht in Kosovo mehr und mehr festigt. Sie schickt ihre Kinder in teuere Privatschulen im Ausland. Sie hat dabei Nachfolger, die ihren Einfluss auf alle Bereiche der Gesellschaft ausdehnen. Wenn das nicht gestoppt wird, dann wird diese Elite im Kosovo für lange Zeit vorherrschen."

Das Unsoziale als Strukturprinzip einer Selbstbedienungsmentalität, in der Verlierer mit kaum zwei Euro am Tag auskommen müssen und in der es kaum rechtliche Möglichkeiten gibt, um illegale Gelder abzuschöpfen. Die trübe Realität in Kosovo, drei Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung. Sie sollte eine neue Rechtsstaatlichkeit und einen Aufschwung bringen, doch die kosovarischen Oligarchen haben kein Interesse an Veränderungen. Veränderungen sind schlecht für das Geschäft, sagt der Korruptionsforscher und fordert einen Akt der Befreiung für sein Land.

"Diese Art der Befreiung ist härter und langsamer als die militärische Befreiung in den 90er-Jahren. Eine demokratische Gesellschaft kann nicht funktionieren, wenn sie nicht das archaische Stammesdenken überwindet, das alles nur familiären Interessen unterordnet."

Der Korruptionsforscher schließt seinen Büroschrank gut ab. Es ist nicht ungefährlich, die Oligarchen zum Feind zu haben. Familien, die Ansehen genießen in einem Land, das gegen Serbien gekämpft und sich schließlich von Serbien losgesagt hat.
Die Landstraße, die die Hauptstadt Pristina mit Skopje im benachbarten Mazedonien verbindet. Hier arbeiten fleißige Handwerker gerade am Innenausbau eines Wohnblocks mit Eigentumswohnungen, ein schmuckes Heim für 20 Familien mit allem Komfort, außen quittengelb verputzt - dazu kleine Balkone mit Blick nach Süden. Nach und nach ist hier ein ganz neuer Stadtteil entstanden. Rudina Heroi, Wirtschaftsexpertin am GAP-Institut in Pristina.

"Hauptsächlich sind alle Berichte zur Lage der wirtschaftlichen Entwicklung in Kosovo nur ein Stück Papier. Das hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Wir haben keine sicheren Informationen über die tatsächliche Lage. Es gibt überall Probleme, aber nicht im Bausektor. Hier sehen wir das, was wir unter einer informellen Ökonomie verstehen, hier werden keine Steuern bezahlt, hier wird oft ohne finanzielle Mittel gebaut. Das verstärkt natürlich die Schattenwirtschaft und ebenso die Korruption."

Jemand hat das Grundstück, ein anderer die Maurer - die werden vom
Grundstückseigner mit dem Versprechen auf eine der fertigen Wohnungen entlohnt. Der dritte kennt den zuständigen Beamten in der Genehmigungsbehörde und sorgt für die nötigen Papiere, im Gegenzug bekommt er den Auftrag für den Ausbau der Haustechnik, der mit einem Teil der späteren Erlöse finanziert werden soll. Manchmal kommt das Bargeld der Oligarchen ins Spiel. Die Nachfrage nach geeigneten Projekten für die Geldwäsche für nicht deklarierte Einkünfte ist nicht zu unterschätzen. Je höher das Haus wächst, desto einfacher wird es, das Projekt zu beleihen, auch hier kann der Baukostenzuschuss einer reichen kosovarischen Familie günstiger sein als das Darlehen der Bank. Das Prinzip heißt: Ich gebe dir, was ich habe, du gibst mir, was du kannst. Eine Hand wäscht die andere. Problem dabei: Was im inländischen Bausektor funktioniert, stößt ausländische Investoren ab. Zumal wenn nicht nur Wohnhäuser, sondern Fabriken entstehen sollen.

Auf diese Weise ist in Kosovo ein prekärer Gegensatz entstanden: Der private Bausektor boomt, aber die restliche Wirtschaft fällt zurück. Geld ist da, aber nicht dort, wo es dringend benötigt wird.

Schwarze BMWs, Blaulicht auf dem Dach und zwischen dem Kühlergrill - so jagen sie durch die Stadt: kosovarische Minister und einflussreiche Abgeordnete, wenn sie zu einem wichtigen Termin unterwegs sind. "Die 'Old Boys' sind in der Stadt - und sie sind übermächtig", sagt Ramadan Ilazi, wenn er die Kolonnen vorbeirasen sieht. Geld wird verwaltet, ausgegeben, Ausgaben werden bilanziert - und kontrolliert. Das ist die eine, glänzende Seite der Medaille für Ramadan Ilazi. Für ihn gibt es eine andere, schmutzige Seite der Medaille. Ilazi gilt als einer der schärfsten Analytiker des Landes, wenn es um das Geflecht der Korruption und Vetternwirtschaft geht.

Ilazi wühlt sich durch brisante Dokumente, die viele Fragen aufwerfen: Es sind die Erklärungen der Abgeordneten über ihre persönlichen Vermögensverhältnisse. Für ihn eine interessante Pflichtübung, die voller Fallen steckt für Volksvertreter, die ihren Reichtum verschleiern wollen. Denn meistens müssen die Abgeordneten - in kurzen Abständen - mehrere Formulare ausfüllen, an unterschiedliche Behörden, die von den Parlamentariern Vermögenstransparenz einfordern:

"Wir haben die Zahlen analysiert, die Abgeordnete an die Antikorruptionsbehörde und an die zentrale Wahlkommission lieferten: Wir fanden heraus, dass 28 Abgeordnete widersprüchliche Angaben gemacht haben. Der Gesamtbetrag, der sich aus den Differenzen ergibt, ist etwa sieben Millionen Euro."

Millionen, die plötzlich da sind. Aber woher kommen sie? Und nicht bei jedem Einzelnen bewegt sich die Summe nur bei ein paar Hunderttausend Euro.

Weder Staatsanwaltschaften, noch Polizei, noch die kosovarischen Gerichte hätten sich den erstaunlich üppigen Einkommensverhältnissen mancher Parlamentarier in einer Weise angenommen, die zufrieden stellend sei. Die Politiker selbst hätten gar nicht erst versucht, überzeugende Begründungen abzugeben:

"Im Allgemeinen sind die gewählten Volksvertreter gescheitert mit ihren
Erklärungsversuchen, dass ihr Reichtum redlich verdient ist."

Redlich verdienter Reichtum? Das bezweifelt Ramadan Ilazi und nimmt als Beispiel
nicht nur den ehemaligen kosovarischen Verkehrsminister Fatmir Limaj, der in Verdacht steht, Millionen unterschlagen zu haben, sondern auch den Kreis jener Politiker, die bisher kaum auffallen, normale Abgeordnetendiäten beziehen, keinen großen Betrieb führen und trotzdem sehr wohlhabend sind:

"Ich glaube nicht, dass es möglich ist, seinen Reichtum so stark zu vermehren, wenn man kein eigenes Unternehmen hat. Aber es geht auch anders. Einige kosovarische Politiker in Kosovo sind gleichzeitig die Bosse der Mafia. Auf diese Weise kontrollieren sie unterschiedliche Bereiche der kosovarischen Wirtschaft."

Das Ergebnis ist Wohlstand. Die feinen Restaurants der kosovarischen
Hauptstadt sind gut besucht, die Preise haben europäisches Niveau. Nur Betuchte haben das nötige Kleingeld. Ein scharfer Kontrast zu den oft ärmlichen Verhältnissen im Umland von Pristina:

"Wir haben im Moment viele Millionäre in Kosovo. Unser Parlament hat viele Millionäre. Viele Politiker sind Millionäre, obwohl sie nicht als großartige Geschäftsleute bekannt sind. Es gibt also eine Menge Fragen. Und diese Fragen werden um so drängender, je mehr die verantwortlichen Behörden und die Staatsanwaltschaften versagen, wenn Untersuchungen zu diesen Fragen durchgeführt werden sollen."