Wo sich alle begegnen
Im öffentlichen Nahverkehr in Jerusalem gehen sich Juden und Araber weitgehend aus dem Weg. Denn das alte Bussystem läuft meist getrennt im Ost- und Westteil der Stadt. Doch seit 2011 verbindet eine Straßenbahn jüdische und arabische Gegenden miteinander.
An der großen Haltestelle drängen sich Trauben von Menschen. Sie alle warten auf die moderne grau-glänzende Straßenbahn, die sie zügig nach Hause oder zur Arbeit bringen soll - und nicht in den heillos verstopften Straßen der Heiligen Stadt stecken bleiben wird.
Nur Shalom steigt in keinen der Züge, stattdessen schreitet er jede einfahrende Bahn ab, macht sich Notizen. Der junge Israeli, rot gehäkelte Kippa auf den schwarzen Locken, ist bei der Stadtverwaltung und sammelt Daten rund um die Straßenbahn. Wenn er die modernen Züge betrachtet, leuchten seine tiefbraunen Augen. Shalom ist überzeugt davon, dass diese Tram noch viel mehr erreicht, als nur einen Verkehrsinfarkt zu verhindern.
"Ich beobachte, wie die Leute in der Tram füreinander aufstehen, vor allem für die älteren Fahrgäste. Ganz egal ob nun der Araber für den betagten Juden aufsteht, oder umgekehrt. Das ist ein Beitrag für den Frieden. Es sind diese kleinen Dinge, die vieles verändern können."
Margaritha und Michael, zwei jüdische Israelis, warten an der Haltestelle. Angst vor Anschlägen haben sie immer, auch in der Tram - trotz Wachschutz und Überwachungskameras, erzählen die beiden.
Margaritha: "Die Busse fuhren nicht durch arabische Wohnviertel, aber die Straßenbahn fährt da nun durch. Also, wenn man sich das so anschaut - eine Tram, die auch in arabischen Gegenden hält - kann man sich doch getrost sagen: Wer sollte schon eine solche Tram in die Luft sprengen? Ich hoffe, dass dies Terroristen von der Bahn als Terrorziel abhalten wird."
Michael: "Ja schon, aber man könnte genauso gut andersherum argumentieren: Die Terroristen wollen ja genau jegliche Kooperation stören. Also gerade weil Juden und Araber hier zusammen durch die Gegend fahren, könnten sie diese Bahn als Terror-Ziel anpeilen."
Die beiden Israelis steigen ein, die Tram braust los, draußen ziehen die antiken Mauern der Altstadt vorbei, die goldene Kuppel des Felsendoms blitzt in der Sonne. Auf den Gehwegen eilen unzählige schwarz gekleidete Männer mit mächtigen Hüten und Schläfenlocken entlang.
Margaritha kommt noch auf ein weiteres Politikum zu sprechen. Es gibt Rabbiner, die verlangen, dass Männer und Frauen getrennt voneinander sitzen. So wie dies auf mehr als 60 Jerusalemer Buslinien bereits der Fall ist. Die junge Israelin mit peruanischen Wurzeln, sieht dies für die neue Bahn aber nicht kommen.
"Ich glaube, dass die Tram an dieser Stelle viel verändert hat. In manchen Bussen haben die Orthodoxen einfach das Ruder übernommen - so dass ich als Frau in manche Busse gar nicht mehr einsteigen konnte. Die Orthodoxen, die in die Tram steigen, sehen wohl, dass sie damit klar kommen müssen, mit allen gemeinsam zu reisen."
Entspannt ist auch eine junge, elegante Araberin, die täglich mit der Tram durch das Orthodoxenviertel "Mea Scharim" fährt. Aus einem bestimmten Grund macht sie sich keine großen Sorgen.
"Ehrlich gesagt glaube ich, dass die Orthodoxen glauben, ich sei auch Jüdin. Weil ich so aussehe. Aber ich bin Araberin! Wenn ich nicht muss, dann spreche nicht mit ihnen. Nur wenn es nötig ist, mache ich das."
Margaritha ist schon wieder ausgestiegen, Michael sitzt noch immer in der Straßenbahn. Er möchte heute mal die insgesamt 42 Minuten lange Strecke vom Hertzl-Berg bis zur Endstation Pisgat Zeev durchfahren. Der Universitäts-Professor wurde 1935 in Israel geboren. Seine Eltern hatten Deutschland kurz nach Hitlers Machtergreifung verlassen.
Inzwischen schlängelt sich die Tram über einige Hügel zu den ersten arabischen Haltestellen empor. Kein heller, geputzte Sandstein mehr, stattdessen gedrungene Beton-Bauten mit blinkenden Leuchtreklamen in arabischer Schrift.
In diesem Moment öffnet sich erneut die Tür, herein kommt eine zahnlose arabische Marktfrau, das bunt gemusterte Kopftuch reicht ihr bis tief in die Stirn. Sie lässt sich samt ihrer gewaltigen Tüten neben Michael fallen, schlüpft aus den Sandalen und legt ihre geschwollenen Füße auf dem gegenüber liegenden Sitz ab. Michael lächelt sie scheu und auch verwundert an, schaut dann schnell wieder weg.
"Bis hier waren wir ja in jüdischen Viertel. Hier sind sie zusammen, da gibt's Orte, die sind genau an der Grenze, oder die frühere Grenze. Man trifft sich funktional, nicht sozial ... "
Michael richtet sich neben der telefonierenden Araberin ein. Dann stürmen zwei arabische Mädchen in die Tram, beide tragen Schleifchen im Haar und große pinke Schultaschen auf dem Rücken. Jamal, die Größere, strahlt die anderen Fahrgäste an.
"Ja, das ist toll, denn Du kannst mit der Tram hinfahren wo Du willst und bist dabei vor allem immer pünktlich! Ja - und natürlich ist das auch gut, dass auf diese Weise alle zusammen fahren, das ist viel besser für den Frieden, wenn Juden und Araber nicht ständig so getrennt unterwegs sind, sondern alle zusammen durch die Stadt fahren."
So schnell, wie sie gekommen sind, steigen die Mädchen auch wieder aus. Michael Romann hat sich inzwischen entspannt und muss jetzt lächeln. Gerade ist ihm ein Gedicht von Friedrich Nietzsche wieder eingefallen, das seine deutsche Großmutter ihm einst beigebracht hatte.
"Die Raben fliegen heftig, in Richtung der Stadt.
Bald gibt's Schnee!
Glücklich sind die, die ein Heim haben.
Und ich sage: Glücklich sind die Jerusalemer:
Die haben jetzt ein´ Tram!"
Nur Shalom steigt in keinen der Züge, stattdessen schreitet er jede einfahrende Bahn ab, macht sich Notizen. Der junge Israeli, rot gehäkelte Kippa auf den schwarzen Locken, ist bei der Stadtverwaltung und sammelt Daten rund um die Straßenbahn. Wenn er die modernen Züge betrachtet, leuchten seine tiefbraunen Augen. Shalom ist überzeugt davon, dass diese Tram noch viel mehr erreicht, als nur einen Verkehrsinfarkt zu verhindern.
"Ich beobachte, wie die Leute in der Tram füreinander aufstehen, vor allem für die älteren Fahrgäste. Ganz egal ob nun der Araber für den betagten Juden aufsteht, oder umgekehrt. Das ist ein Beitrag für den Frieden. Es sind diese kleinen Dinge, die vieles verändern können."
Margaritha und Michael, zwei jüdische Israelis, warten an der Haltestelle. Angst vor Anschlägen haben sie immer, auch in der Tram - trotz Wachschutz und Überwachungskameras, erzählen die beiden.
Margaritha: "Die Busse fuhren nicht durch arabische Wohnviertel, aber die Straßenbahn fährt da nun durch. Also, wenn man sich das so anschaut - eine Tram, die auch in arabischen Gegenden hält - kann man sich doch getrost sagen: Wer sollte schon eine solche Tram in die Luft sprengen? Ich hoffe, dass dies Terroristen von der Bahn als Terrorziel abhalten wird."
Michael: "Ja schon, aber man könnte genauso gut andersherum argumentieren: Die Terroristen wollen ja genau jegliche Kooperation stören. Also gerade weil Juden und Araber hier zusammen durch die Gegend fahren, könnten sie diese Bahn als Terror-Ziel anpeilen."
Die beiden Israelis steigen ein, die Tram braust los, draußen ziehen die antiken Mauern der Altstadt vorbei, die goldene Kuppel des Felsendoms blitzt in der Sonne. Auf den Gehwegen eilen unzählige schwarz gekleidete Männer mit mächtigen Hüten und Schläfenlocken entlang.
Margaritha kommt noch auf ein weiteres Politikum zu sprechen. Es gibt Rabbiner, die verlangen, dass Männer und Frauen getrennt voneinander sitzen. So wie dies auf mehr als 60 Jerusalemer Buslinien bereits der Fall ist. Die junge Israelin mit peruanischen Wurzeln, sieht dies für die neue Bahn aber nicht kommen.
"Ich glaube, dass die Tram an dieser Stelle viel verändert hat. In manchen Bussen haben die Orthodoxen einfach das Ruder übernommen - so dass ich als Frau in manche Busse gar nicht mehr einsteigen konnte. Die Orthodoxen, die in die Tram steigen, sehen wohl, dass sie damit klar kommen müssen, mit allen gemeinsam zu reisen."
Entspannt ist auch eine junge, elegante Araberin, die täglich mit der Tram durch das Orthodoxenviertel "Mea Scharim" fährt. Aus einem bestimmten Grund macht sie sich keine großen Sorgen.
"Ehrlich gesagt glaube ich, dass die Orthodoxen glauben, ich sei auch Jüdin. Weil ich so aussehe. Aber ich bin Araberin! Wenn ich nicht muss, dann spreche nicht mit ihnen. Nur wenn es nötig ist, mache ich das."
Margaritha ist schon wieder ausgestiegen, Michael sitzt noch immer in der Straßenbahn. Er möchte heute mal die insgesamt 42 Minuten lange Strecke vom Hertzl-Berg bis zur Endstation Pisgat Zeev durchfahren. Der Universitäts-Professor wurde 1935 in Israel geboren. Seine Eltern hatten Deutschland kurz nach Hitlers Machtergreifung verlassen.
Inzwischen schlängelt sich die Tram über einige Hügel zu den ersten arabischen Haltestellen empor. Kein heller, geputzte Sandstein mehr, stattdessen gedrungene Beton-Bauten mit blinkenden Leuchtreklamen in arabischer Schrift.
In diesem Moment öffnet sich erneut die Tür, herein kommt eine zahnlose arabische Marktfrau, das bunt gemusterte Kopftuch reicht ihr bis tief in die Stirn. Sie lässt sich samt ihrer gewaltigen Tüten neben Michael fallen, schlüpft aus den Sandalen und legt ihre geschwollenen Füße auf dem gegenüber liegenden Sitz ab. Michael lächelt sie scheu und auch verwundert an, schaut dann schnell wieder weg.
"Bis hier waren wir ja in jüdischen Viertel. Hier sind sie zusammen, da gibt's Orte, die sind genau an der Grenze, oder die frühere Grenze. Man trifft sich funktional, nicht sozial ... "
Michael richtet sich neben der telefonierenden Araberin ein. Dann stürmen zwei arabische Mädchen in die Tram, beide tragen Schleifchen im Haar und große pinke Schultaschen auf dem Rücken. Jamal, die Größere, strahlt die anderen Fahrgäste an.
"Ja, das ist toll, denn Du kannst mit der Tram hinfahren wo Du willst und bist dabei vor allem immer pünktlich! Ja - und natürlich ist das auch gut, dass auf diese Weise alle zusammen fahren, das ist viel besser für den Frieden, wenn Juden und Araber nicht ständig so getrennt unterwegs sind, sondern alle zusammen durch die Stadt fahren."
So schnell, wie sie gekommen sind, steigen die Mädchen auch wieder aus. Michael Romann hat sich inzwischen entspannt und muss jetzt lächeln. Gerade ist ihm ein Gedicht von Friedrich Nietzsche wieder eingefallen, das seine deutsche Großmutter ihm einst beigebracht hatte.
"Die Raben fliegen heftig, in Richtung der Stadt.
Bald gibt's Schnee!
Glücklich sind die, die ein Heim haben.
Und ich sage: Glücklich sind die Jerusalemer:
Die haben jetzt ein´ Tram!"