Wo steht die Katholische Kirche?

Von Hartmut Kriege, Deutschlandfunk |
"Roma locuta, causa finita." Rom hat sich geäußert, damit ist die Sache erledigt. So hieß es noch vor Jahren in der katholischen Kirche, wenn sich der Vatikan zu irgendeiner Sache - wichtig oder unwichtig - zu Wort gemeldet hatte. Und die meisten Katholiken waren dieser Devise unwidersprochen gefolgt.
Es scheint, dass angesichts der Tollpatschigkeit, mit der im Vatikan die "Causa Lefebvre" gehandelt worden ist, die Sache keineswegs erledigt ist: "Causa non est finita", müsste man feststellen.

War der Wunsch nach der Herstellung der alten "Einheit in der Kirche" in Rom wirklich so stark, dass die kurialen Stellen der schismatischen Pius-Bruderschaft einen Blankoscheck ausgestellt haben, als sie beschlossen, die Exkommunikation, also das Dekret zum Abbruch der sakramentalen Communio aufzuheben?

Die Exkommunikation, die schärfste Klinge im vatikanischen Strafarsenal, ist Chefsache. Und so folgerte der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff auch messerscharf, dass der Papst durch diesen Gnadenerweis möglicherweise selbst zum Hindernis für die notwendige Einheit in der Kirche werden könnte. Denn, wenn der Papst durch sein Entgegenkommen den Eindruck erweckt, zentrale Glaubensaussagen der Kirche stünden zu seiner strategischen Disposition, dann schade dies, so Schockenhoff, "der Glaubwürdigkeit seines Amtes".

Der Papst selbst wäre dann kein verlässlicher Garant des katholischen Glaubens mehr, wie ihn das jüngste Konzil verbindlich verkündet habe.

Nach dem 21. Januar ist in der römisch-katholischen Kirche nichts mehr so wie es vor dem 21. gewesen ist. Die Kirche steht an einem Wendepunkt. Denn es geht, nach den allerorten von Presse und Politik künstlich hochgeschraubten Empörungen über die Äußerungen von Richard Williamson, zentral nicht mehr um die Frage der Leugnung der Shoa.

Es geht um die, binnenkirchlich, sehr viel wichtigere Frage nach dem Selbstverständnis der Katholischen Kirche zu Beginn des dritten Jahrtausends.

Es geht – wie nach der Reformation, die Martin Luther 1517 losgetreten hatte – auch heute um die Frage: Was ist römisch-katholisch?

Wo die Kirche steht, das haben die am Konzil Beteiligten mehr als überzeugend zum Ausdruck gebracht, als sie vor 50 Jahren mit geradezu überwältigenden Mehrheiten im Namen der Kirche verbindlich sich bekannten zum universalen Heilswillen Gottes, zur Religions- und Gewissensfreiheit, zur Erneuerung des Verhältnisses zu den Juden, zur uneingeschränkten Förderung der Ökumene, zur Neubestimmung des Verhältnisses von Kirche und Welt, zur Kollegialität der Bischöfe und zum gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen, sowie zu der damit verbundenen Neubesinnung auf den Geist der Liturgie.

Nach 50 Jahren des Taktierens und Hinhaltens - auch und gerade seitens der kirchlichen Hierarchie - muss heute endlich geklärt werden, ob die Kirche aus den Impulsen und Aufbrüchen dieses Jahrhundert-Ereignisses, das dieses Konzil darstellt, leben will oder nicht.

Wenn die Kirche endlich das ganz entschiedene "Ja" zum Konzil sprechen sollte, wäre für die Lefebvre-Bewegung kaum Platz in dieser Kirche. Das hat ihr Gründer, Marcel Lefebvre bereits in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts erkannt und diese Haltung bis zu seinem Tod unverdrossen verteidigt. Denn anders als die Pius-Bruderschaft kalkuliert und hofft, wird die Kirche kaum den Forderungen zur Rückkehr in die Wagenburg, die die Pius-Päpste zwischen 1870 und 1914 mit Hilfe des Unfehlbarkeitsdogmas zusammenstellten, entsprechen.

Die Kirche kann in den Auseinandersetzungen mit den historischen, theologischen wie pastoralen Überzeugungen der Lefebvre-Bewegung nicht mehr - wie geschehen - die Beschlüsse und Empfehlungen dieses Konzil verdrängen.

Sie zwingen - endlich möchte man sagen - zu einem klaren Bekenntnis.

Denn, wenn jetzt - wie geschehen - ein ranghoher Vertreter der Lefebvre-Bruderschaft in Italien im Konzil eine "Cloaca Maxima" voller Irrlehren sieht, so ist die Trennungslinie mehr als klar gezogen.