Wochenkommentar "Tierethik"

Kritik an Massentierhaltung hat kaum Folgen

Ein Schwein
Ein Schwein hinter einem Gatter © picture-alliance / dpa / Foto: Carsten Rehder
Von Friederike Schmitz |
In Brandenburg wurde durch einen Kompromiss zwischen Regierung und einem Aktionsbündnis ein Volksentscheid gegen Massentierhaltung vermieden und damit eine Polarisierung, so die Regierung. Dabei bräuchten es für ein besseres Tierwohl gerade das, kommentiert Friederike Schmitz.
Schweine sind sehr intelligente und neugierige Tiere. Zu ihrem natürlichen Verhalten gehört es, im Boden zu wühlen, die Umgebung zu erkunden und in komplexen Sozialstrukturen zusammenzuleben. In modernen Schweineanlagen, auf wenigen Quadratmetern Spaltenboden, können sie das alles aber gar nicht tun.
Der Gegensatz zwischen den Bedürfnissen der Schweine und den Bedingungen ihrer Haltung ist frappant. Genauso frappant ist der Gegensatz zwischen gesellschaftlich verbreiteten Überzeugungen darüber, wie wir mit Tieren umgehen sollten, und der Realität. Die meisten Leute sind schockiert, wenn sie Bilder aus Tieranlagen sehen, und lehnen die Massentierhaltung ab.

Moralisch widersprüchlich

Trotzdem werden die Zustände geduldet. Trotzdem essen die meisten Menschen Fleisch und andere Tierprodukte, die genau in solchen Anlagen hergestellt wurden. Der Rechtsphilosoph Gary Francione hat das als moralische Schizophrenie bezeichnet. Gemeint ist, dass unsere Überzeugungen und unser Verhalten im Widerspruch zueinander stehen.
Dabei sind die Überzeugungen, um die es geht, nicht etwa zufällig. Tatsächlich lässt sich der gegenwärtige Umgang mit Tieren, wenn wir ihn einer ethischen Überprüfung unterziehen, schlicht nicht rechtfertigen. Sofern Tiere überhaupt moralisch zählen – und das bestreitet auch in der philosophischen Tierethik so gut wie niemand mehr – dürfen wir ihre wesentlichen Bedürfnisse nicht aus bloß wirtschaftlichem Kalkül verletzen. Als fühlende Subjekte sind sie keine Mittel zum Zweck, sondern haben Anspruch auf echte Berücksichtigung.

In den letzten Jahren bricht der Gegensatz zwischen unseren Überzeugungen und der Realität immer wieder auf – und wird öffentlich thematisiert. Ändern tut sich aber fast nichts. Gary Francione meint, dass dieser Gegensatz durch ein Faktum ermöglicht und aufrechterhalten wird: Dadurch, dass Tiere als Waren gelten, die wirtschaftlich genutzt werden können. Das führe dazu, dass in jeder Diskussion letztlich die Interessen der Tierwirtschaft gegenüber den Bedürfnissen der Tiere gewinnen.
Potsdam
Aktivisten des Volksbegehrens gegen Massentierhaltung in Potsdam. Mehr als 100.000 Menschen hatten bis zum 14. Januar 2016 dafür unterschrieben. © picture-alliance / dpa / Foto: Ralf Hirschberger

Viele Menschen haben unterschrieben

Genau das wird auch jetzt in Brandenburg bestätigt. Viele Menschen haben unterschrieben, weil sie über den Umgang mit Tieren empört sind. Jetzt aber gibt es einen Deal, durch den sich die Situation der Tiere nur minimal verändern wird. Die krasse Missachtung der Bedürfnisse von Rindern, Schweinen, Hühnern und anderen Tieren bleibt bestehen.
Mit dem Kompromiss wird der Gegensatz zwischen gesellschaftlichen Überzeugungen und Realität also nicht verkleinert, sondern einmal mehr übertüncht. Hier greift die Diagnose von Gary Francione: Tiere werden zu allererst als ökonomische Einheiten, als Waren angesehen, und erst in zweiter Linie als fühlende, moralisch zu berücksichtigende Individuen. Deshalb haben wieder einmal die Interessen der Tierwirtschaft gegenüber den Bedürfnissen der Tiere gewonnen.
Nicht nur die agrarpolitische Sprecherin der Linken im Landtag zeigte sich erfreut, dass ein Volksentscheid vermieden wurde. Dieser hätte zu einer Polarisierung geführt. Dabei ist es aber gerade eine Polarisierung, die wir brauchen. Denn die Gegensätze müssen auf den Tisch. Wir müssen darüber diskutieren, wie wir mit Tieren umgehen wollen – und zwar ohne dabei ihre Rolle als Ware schon vorauszusetzen.
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