"Viele Frauen sind alt oder fettleibig"

Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff gruselte sich in der "SZ" vor "unschön geformten" Frauenkörpern. Und auch sonst wimmelte es in der vergangenen Woche nur so an fürchterlichen Geschichten in den Feuilletons.
Da konnte man ja richtig Angst bekommen: In den Kulturseiten wimmelte es nur so von Gefahren, von scheinbaren, echten und überraschenden.
"Ein Mann versucht, eine Weinflasche zu entkorken, während seine Frau im Hintergrund in der Küche einen elektrischen Quirl benutzt und vor sich hin singt",
schrieb Katja Nicodemus in der ZEIT über eine Szene aus Roy Anderssons Film "Eine Taube saß auf einem Ast und dachte über die Existenz nach", der mit dem Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen von Venedig ausgezeichnet wurde.
"Der Mann müht sich immer mehr ab, ächzt, geht in die Knie – er fällt und stirbt an einem Herzinfarkt. Indessen quirlt und singt seine nichts ahnende Frau in der Küche weiter vor sich hin."
Tod durch Entkorkung. Angesichts dieser Gefahr kann man schon mal ins Grübeln kommen, ob man überhaupt noch Weinflaschen selbst öffnen oder das nicht doch der gehassten Schwiegermutter überlassen sollte. Oder der Ex-Geliebten, die wiederum selbst zur Gefahr werden kann.
"Die gefährliche Geliebte"
nannte ZEIT-Redakteurin Iris Radisch ihre Besprechung jenes Enthüllungsbuchs, das Valérie Trierweiler, die Ex des französischen Präsidenten François Hollande, veröffentlicht hat. Darin stelle sie, die aus einer armen Familie stammende politische Journalistin, Hollande als entscheidungsschwaches Muttersöhnchen und verwöhnten Kaviar-Sozialisten hin, der auf ihre soziale Herkunft herabgesehen und die armen Leute als die 'Zahnlosen' verspottet" habe. Zwar verletze Valérie Trierweiler
"mit ihren Indiskretionen schamlos die Grenzen des Anstandes".
Dennoch sei ihr ein "ehrliches und sympathisch zorniges Buch" gelungen.
Nils Minkmar geht in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG auf die Gefahr ein, die Hollande angeblich für Valérie Trierweiler bedeutet. Sie behauptet, der Präsident habe sie in eine psychiatrische Klinik verfrachten lassen, als sie ihm geraten hatte, über seine aufgeflogene Affäre mit einer Schauspielerin öffentlich Buße zu tun. Außerdem habe er ihr, Trierweiler, absichtlich zu hochdosierte Beruhigungsmittel gegeben, um sie politisch kaltzustellen. Kommentar von Nils Minkmar:
"Das wäre, wenn es sich beweisen ließe, eine schwere Straftat."
Der Fernsehmoderator und Schauspieler Joachim Fuchsberger starb in dieser Woche. Er wäre vor vielen Jahren, in einer Ausgabe von "Auf los geht’s los" fast zur Gefahr für die damals 15-jährige Désirée Nosbusch geworden. Daran erinnert Stefan Niggemeier in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG. Fuchsberger habe das Mädchen über das Knie gelegt und zum Schlag ausgeholt, dann allerdings mit der Erklärung abgebrochen, er sei gegen "körperliche Züchtigung". Nosbusch hatte, so Niggermeier,
"einen passend-kritischen Kommentar über das Gewicht von Franz Josef Strauß" gemacht.
Dicke Menschen empfindet Sibylle Lewitscharoff als eine Gefahr. Sind sie doch, besonders im Sommer, ein Angriff für das sensible ästhetische Empfinden der Schriftstellerin. In ihrer Dresdner Rede hatte sie im Frühjahr durch künstliche Befruchtung entstandene Kinder als "Halbwesen" bezeichnet. Nun beklagte sie sich in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG über dicke und alte Menschen, die sich ärmellos oder beinfrei in die Öffentlichkeit begeben:
"[…] viele Frauen sind alt oder fettleibig oder sonstwie unschön geformt, und da wird der Anblick üppig oder seltsam wuchernden Fleisches für den Betrachter zur Qual."
Was wohl Irina Dowgan zu diesem Satz sagen würde? Denn sie hat wirklich Qualen ausstehen müssen, hatte gar Angst um ihr Leben. Davon berichtet die Ukrainerin in der FAS. Die Kosmetikerin hatte im umkämpften Osten des Landes ukrainischen Soldaten Lebensmittel gebracht und zur Erinnerung Fotos davon gemacht. Die Separatisten gelangten an die Fotos, nahmen die Frau gefangen, folterten und demütigten sie. Bis sie durch das beherzte Eingreifen von zwei amerikanischen Journalisten wieder freigelassen wurde. Nach schier unfassbarem Leid:
"Einer lud seine Pistole und gab mehrere Schüsse ab, direkt an meinem Ohr. Ich wurde taub, und bis heute höre ich schlecht. […] Jemand machte ein Schild, darauf stand, dass ich Faschistin sei und Kinder töte. Sie hängten es mir um, wickelten mich in die ukrainische Fahne ein […] und fuhren mit mir nach Donezk. Es war eine große Kreuzung. Ich wurde an einen Mast gestellt, aber nicht angebunden. Immer wieder schrien sie mir zu: ‚Sieg Heil! Still gestanden!‘"
Wer Putin und die russische Propaganda verstehen wolle, der müsse George Orwells Roman "1984" lesen, schrieb der Historiker Timothy Snyder im TAGESSPIEGEL. Er erwähnte Orwells Begriff
"Doppeldenk", mit dem Menschen "gleichzeitig zwei Meinungen vertreten können, die sich widersprechen, und trotzdem an beide glauben".
Eines von Snyders Beispielen:
"Einerseits führt Russland Kriege, um die Welt vorm Faschismus zu retten."
Andererseits sei in der Logik der russischen Propaganda "Faschismus gut". Zitat:
"In Russland wurde Hitler inzwischen als Staatsmann rehabilitiert, die Juden werden für den Holocaust verantwortlich gemacht und Homosexuelle gelten als Teil einer internationalen Verschwörung."
Überall fühlen sich Menschen bedroht. Selbst in der Sprache. Peter Körte amüsiert sich amüsant in der FAS über den vom "Verein Deutsche Sprache" ausgerufenen "Tag der deutschen Sprache":
"Man muss da jetzt nicht gleich mit Adornos Aphorismus kommen, Fremdwörter seien die Juden der Sprache, aber ein bisschen erinnert das sprachliche Reinheitsgebot an eine Hausmeisterbrigade, die in eine normale Dreizimmerwohnung mit einer Batterie Hochdruckreiniger einrückt."
So fordert der sprachpuristische Verein, "dass wir unsere eigene Sprache schätzen" sollten, "weil sie nur dann auch im Ausland ernstgenommen" werde. Peter Körte hat da
"deutsche Touristen vor Augen, die auch in Jakarta oder Lima erwarten, ihr Jägerschnitzel auf Deutsch bestellen zu können".