Wölfe im Schafspelz
Für viele war es ein Schock: Am 19. September letzten Jahres gelang der NPD der Einzug in den sächsischen, der DVU der Wiedereinzug in den brandenburgischen Landtag. Hatten sich doch beide Parteien zuvor darauf geeinigt, nicht gegeneinander anzutreten. Die Empörung über Hartz IV kam dazu - scharenweise liefen die Wähler zu den rechtsextremen Parteien. Wie sich die sechs DVU-Abgeordneten im Potsdamer Landtag verhalten und wie die anderen Parteien mit ihnen umgehen - ein Länderreport von Claudia van Laak.
Landtagspräsident: "Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist Punkt 10 Uhr."
Landtagspräsident Gunter Fritsch ruft die 88 Abgeordneten des Potsdamer Landtags zusammen, die Plenarsitzung beginnt. Vom Präsidium gesehen rechts außen sitzen die sechs Abgeordneten der DVU-Fraktion. Wie immer sind sie gemeinsam in den Plenarsaal gekommen und bleiben unter sich, während die Abgeordneten von SPD, CDU und Linkspartei sich begrüßen. Landtagspräsident Fritsch erinnert an den 1.September und verliest eine Erklärung.
Fritsch: "Am 1. September 1939 begann mit dem Überfall des nationalsozialistischen Deutschlands auf Polen die schlimmste Periode in der Geschichte des Zusammenlebens der Völker Europas. "
Die Erklärung ist von CDU, SPD und Linkspartei gemeinsam verfasst worden, von den demokratischen Parteien im Landtag, wie Landtagspräsident Fritsch sagt. Die DVU ist außen vor geblieben.
Fritsch: "Gerade Deutschland hat heute eine besondere Verantwortung für den Erhalt von Frieden und Demokratie, dem sollen wir uns alle verpflichtet fühlen (Applaus). "
Das Protokoll wird vermerken: Applaus bei SPD, CDU und Linkspartei, Schweigen bei der DVU. Der Schulterschluss gegen die Rechtsextremen ist gelungen. Das ist nicht immer so. Nach wie vor gibt es unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie mit ihnen in- und außerhalb des Parlaments umgegangen werden soll.
Ein Rückblick: Im Sommer letzten Jahres befanden sich die Anti-Hartz-IV-Proteste auf ihrem Höhepunkt. Montagsdemonstrationen allerorten, PDS, DVU und NPD gelang es im September, die Proteststimmung in Wählerstimmen umzumünzen. "Hartz IV, Schnauze voll", plakatierte die DVU. Ihre Wahlspots klangen so:
Wahlspot DVU: "(Telefon klingelt, Dialog): Hier Platzeck, wer ist denn da. Ich bin das Volk. Mein Gott, das Volk. Ich hab die Schnauze voll, am 19. September wird abgerechnet, dann kriegt ihr alles heimgezahlt. "
Wie bereits fünf Jahre zuvor setzte die DVU nicht auf einen direkten Wahlkampf vor Ort, sondern auf eine Materialschlacht. Sie klebte kurz vor der Landtagswahl mehr Plakate als alle anderen Parteien zusammen und schickte Postwurfsendungen an alle Haushalte. Die millionenschwere Kampagne wurde vom DVU-Bundesvorsitzenden Gerhard Frey finanziert und hatte Erfolg. 6,1 Prozent der Wählerinnen und Wähler in Brandenburg machten ihr Kreuz bei den Rechtsextremen, die DVU zog gestärkt in den Potsdamer Landtag ein.
Enkelmann: "Dass rechte Kräfte in unserem Haus einen Zulauf haben, dass die rechtsextreme DVU erneut in diesem hohen Haus sitzt, ist eine bittere Niederlage für alle demokratischen Kräfte, und wir sind gefordert, das als zentrale Herausforderung in der politischen Auseinandersetzung der nächsten Jahre zu begreifen. Es geht ja nicht nur um die sechs Vertreter hier im Parlament, es geht um das rechte Potenzial in Brandenburg insgesamt und da ist mehr zu tun als nur eine Auseinandersetzung im Parlament. "
Die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei Dagmar Enkelmann in der ersten Landtagssitzung nach der Wahl. Auch SPD-Ministerpräsident Mathias Platzeck nannte in seiner Regierungserklärung die Bekämpfung des Rechtsextremismus ein zentrales Thema – ohne jedoch die DVU explizit zu erwähnen.
Platzeck: "Die neue Regierungskoalition ist sich einig, dass der Bekämpfung des Rechtsextremismus in Brandenburg eine herausragende Bedeutung zukommt. Der Rechtsextremismus ist eine Gefahr für unser Land, er schadet unserem Land und dem Wirtschaftsstandort Brandenburg. "
Von 1999 bis 2004 saß die DVU mit fünf Abgeordneten im Landtag und wurde von allen totgeschwiegen. Eine nicht offizielle Absprache zwischen Parteien und Journalisten besagte: die DVU wird ignoriert. Alle hofften, dadurch den Wiedereinzug der Rechtsextremen in den Landtag zu verhindern. Die Rechung ging nicht auf, die DVU konnte sogar ihr Wahlergebnis verbessern. Die demokratischen Parteien mussten zur Kenntnis nehmen, dass die Rechtsextremen besonders bei Erst- und Jungwählern, bei Arbeitslosen und wenig Gebildeten punkten konnten, bei denjenigen, die sich ausgegrenzt fühlten. Was tun? Weiter die DVU im Parlament totschweigen oder sich offensiv mit ihren Vertretern auseinandersetzen? Der CDU-Fraktionsvorsitzende Thomas Lunacek.
Lunacek: " Der Umgang in der Vergangenheit hat sich bewährt, davon bin ich überzeugt, und die Tatsache, dass die DVU noch einmal in den Landtag eingezogen ist, mit einem leicht verbesserten Wahlergebnis, das war nicht der Behandlung der DVU geschuldet, im Gegenteil, das hat die DVU eher kleiner gemacht. "
Der Erfolg der DVU sei ganz allein den Protesten gegen Hartz IV geschuldet, meint der CDU-Fraktionsvorsitzende. Die Union verfährt also genau wie in der letzten Legislaturperiode: Die parlamentarischen Anträge der DVU werden kühl und geschäftsmäßig abgearbeitet, die Abgeordneten und ihre Arbeit möglichst ignoriert.
Lunacek: "Ich halte das auch für richtig, diese DVU auch nicht aufzuwerten, in dem man ihnen eine besondere Behandlung zuteil werden lässt. Es ist schon richtig, dass man die DVU so behandelt und meidet. "
SPD und Linkspartei sehen das etwas anders. "Wir wollen die DVU entlarven" - das hatten sich die Sozialisten zu Beginn der Legislaturperiode vorgenommen. Das gelingt nicht immer, gibt die Abgeordnete der Linkspartei Anita Tack zu.
Tack: "Totschweigen macht ja keinen Sinn, es stehen ja immer Wähler dahinter, deshalb kann man nur die Auseinandersetzung suchen, aber die ist eben schwierig, weil sie sich oftmals nicht zu erkennen geben. "
Die DVU gibt sich bürgerlich und zeigt im Parlament nur manchmal ihr wahres Gesicht. Anfragen und Anträge zum Thema "Bleimunition bei der Jagd auf Wasservögel", "Auswirkungen der Novellierung des Baugesetzbuches" oder "Studiengebühren an Brandenburger Hochschulen" könnten so oder so ähnlich auch aus der Feder der anderen Fraktionen stammen. Genau das macht die DVU so gefährlich, sagt Thomas Bittner, landespolitischer Redakteur des RBB-Fernsehens.
Bittner: "All das, was sie machen, wirkt sehr spießbürgerlich konservativ, national, sie versuchen im Parlament, anders als die NPD in Sachsen, nicht zu provokativ aufzutreten, sie kommen nicht daher wie eine gefährliche rechtsradikale Bande, insofern agiert man geschickt, wenn auch nicht intelligent. "
Einige Anträge der DVU muss man ganz genau lesen, um den rechtsextremen und ausländerfeindlichen Hintergrund zu erkennen. So forderte die DVU, das Konzept "Tolerantes Brandenburg" – ein Projekt gegen Rechtsextremismus - finanziell zu überprüfen und berief sich dabei auf den Landesrechnungshof. Die DVU-Abgeordnete Birgit Fechner.
Fechner: "In Zeiten knapper Kassen muss jede Ausgabe auf den Prüfstand. Welcher Nutzen entsteht dem Land aus diesen ausgegebenen Steuergeldern? Wenn die Landesregierung nicht in der Lage ist, diese Frage zu beantworten, dann muss sie dieses Handlungskonzept einstampfen. "
Schulze: "Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kollegen, wieder mal werden wir von der DVU mit einem Antrag konfrontiert, der aufs Erste harmlos und nett aussieht, aber wie das bei vielen Anträgen ist, das Gift ist tückisch und man sieht es nicht. "
Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion Christoph Schulze hat das Wort ergriffen. Eine Abmachung der anderen drei Fraktionen besagt: bei DVU-Anträgen reden weder Minister noch Fraktionschefs, um die Rechtsextremen nicht aufzuwerten. Der SPD-Politiker Schulze ist bekannt für seine verbalen Rundumschläge gegen die DVU – an diesem Tag verwendet der Arzt einen Vergleich aus der Medizin.
Schulze: "Für Pockenviren, Pest oder Cholerabakterien gibt es auch keinen Artenschutz, die werden auch bekämpft und sie müssen ausgerottet werden, weil sie sonst die gesamte Bevölkerungspopulation hinwegraffen. "
Unruhe bei der DVU-Fraktion - wird das Protokoll vermerken.
Schulze: "Und dieses rechtsextreme menschenfeindliche Gedankengut würde ich an dieser Stelle vergleichen, das muss bekämpft und kurz gehalten werden, damit es nicht zu einer Epidemie kommt. "
Der massige DVU-Abgeordnete Sigmar-Peter Schuldt springt auf. Nehmen Sie diesen Vergleich zurück, ruft der Rechtsextreme wütend in den Saal. Doch Christoph Schulze lässt sich nicht beirren.
Schulze: "Wir wissen wo sie hingehören, und wir werden uns von ihnen nichts einreden oder unterschieben lassen, und insofern ist es eine besondere Unverfrorenheit, uns so einen Antrag zuzureichen, aber wir sind ja den Missbruch des Antragsrechts durch sie gewohnt und werden deshalb den Antrag konsequent ablehnen, ich bedanke mich. (Applaus) "
Nun ergreift Sigmar-Peter Schuldt das Wort. Der DVU-Landesvorsitzender und Spitzenkandidat auf der NPD-Liste für die Bundestagswahl ist der starke Mann der rechtsextremen Partei, die in Brandenburg rund 300 Mitglieder hat.
Schuldt: "Kollege Schulze, weder ist meine Partei, ist meine Fraktion rechtsextremistisch, noch ausländerfeindlich, noch antisemitisch. Wir sind weltoffen, wir sind tolerant. "
Die Behauptungen des DVU-Landesvorsitzenden klingen in den Ohren der anderen Landtagsabgeordneten wie Hohn. Ein Blick auf die Internetseite der DVU genügt, um zu belegen, dass die Partei sehr wohl rechtsextremistisch und ausländerfeindlich ist, dass sie weder weltoffen noch tolerant ist. Das sieht auch Brandenburgs Verfassungsschutz so, der die DVU beobachtet. Verfassungsschutzchefin Winfriede Schreiber.
Schreiber: "Wir haben die DVU in unserem Verfassungsschutzbericht 2004 unter Rechtsextremismus erwähnt, also steht sie nach unserer Auffassung nicht auf dem Boden des Grundgesetzes. "
Außerdem gibt es eindeutige Verbindungen zwischen der DVU und Neonazi-Kameradschaften in Brandenburg. So stellte die DVU-Fraktionsvorsitzende Liane Hesselbarth mehrere parlamentarische Anfragen zu einem links-alternativen Jugendprojekt in ihrer Heimatstadt Strausberg. Später stellte sich heraus: Der Sohn der DVU-Abgeordneten – ein einschlägig bekannter Neonazi – hatte kurz zuvor zusammen mit anderen Mitgliedern der mittlerweile verbotenen Neonazi-Kameradschaft A-NSDAP-O den alternativen Jugendclub überfallen. Beim diesjährigen Sommerfest der DVU-Fraktion waren ebenfalls Mitglieder bekannter Neonazi-Kameradschaften anwesend. Verfassungsschutzchefin Schreiber:
Schreiber: "Die NPD hat sich mit den Neonazis verbunden, sie zieht Neonazis heran im Wahlkampf, Neonazis kandidieren auf den Listen der NPD, also haben wir eine ganz klare Verknüpfung NPD – Neonazis. Wenn die DVU mit der NPD einen Deutschlandpakt schließt, dann nimmt sie die Neonazis mit rein und es gibt keine klare Distanzierung von den Kameradschaften. "
NPD und DVU konnten in den sächsischen bzw. brandenburgischen Landtag einziehen, weil sie zuvor beschlossen hatten, nicht gegeneinander zu kandidieren. Diese Absprache bewährte sich, daraufhin schlossen NPD und DVU den so genannten Deutschlandpakt. Dieser legt fest, bei welchen Wahlen die NPD und bei welchen die DVU antritt. Da die NPD in Brandenburg keine Basis hat, kandidierte auf der Bundestagsliste der NPD der DVU-Landesvorsitzende.
Lunacek: "Und somit hat sie sich damit selbst in die Ecke gestellt, sie hat das Stigma der NPD und eine Zusammenarbeit gab es sowieso nicht, aber eine wie auch immer geartete Kommunikation mit der DVU verbietet sich von daher, und deshalb ist es ein Nicht-Verhältnis. "
Als Nicht-Verhältnis beschreibt der CDU-Fraktionsvorsitzende Lunacek den Umgang mit den DVU-Abgeordneten. Und doch muss es eine klammheimliche Zustimmung einiger Abgeordneter zu den rechtsextremen Positionen der Partei geben – haben doch bei einigen geheimen Abstimmungen DVU-Abgeordnete mehr Stimmen erhalten als die Fraktion Mitglieder hat. Zudem muss sich jeder und jede Abgeordnete irgendwie positionieren. Schenkt man dem Kollegen von der DVU einen Kaffee ein, obwohl man seine politischen Positionen grundlegend ablehnt? Trinkt man vielleicht sogar ein Bier zusammen? Geben CDU, SPD oder Linkspartei-Abgeordnete den DVU-Vertretern die Hand?
Umfrage verschiedene Abgeordnete: "
Selten, ja, aber ich tue es.
Manchmal reicht es nicht zum Handgeben.
Man begrüßt sich, ganz normal.
Ick hab da null Kontakt, ick hab auch fünf Jahre neben Frau Hesselbarth im Präsidium gesessen, ick hab ihr vielleicht einmal Kaffee eingegossen, das war´s dann auch schon. "
Anita Tack von der Linkspartei ist Mitglied im Ausschuss für Infrastruktur und Raumordnung, der von der DVU-Fraktionsvorsitzenden Hesselbarth geleitet wird. SPD, CDU und Linkspartei verständigten sich bereits vor einigen Jahren darauf, der DVU diesen Ausschuss zuzuweisen. In dieser Position könnten die Rechtsextremen am wenigsten Schaden anrichten, dachte man sich. Anita Tack über die DVU-Abgeordnete.
Tack: "Inhaltlich kann man sich mit der Frau nicht auseinandersetzen, denn sie sagt nix als eigene Meinung in dem Ausschuss, ich kenne keine Meinung von ihr, keine drei zusammenhängenden Sätze, dann leiden wir darunter, dass der Vorsitz von der DVU besetzt wird. Der Ausschuss ist als parlamentarisches Gremium nicht zum Wirken gekommen. "
So verzichtet der Ausschuss weitgehend darauf, auswärtige Termine wahrzunehmen – die DVU-Fraktionsvorsitzende soll sich nicht in der Öffentlichkeit produzieren können. Eine Gratwanderung – die DVU ist eine demokratisch gewählte Partei, ihr müssen die parlamentarischen Rechte einer Oppositionsfraktion zugestanden werden. Andererseits sollen die Einflussmöglichkeiten der DVU so gering wie möglich bleiben. Der SPD-Landtagsabgeordnete Thomas Günther, ebenfalls Mitglied im DVU-geleiteten Infrastrukturausschuss.
Günther: "Je doller man auf sie draufhaut, desto mehr macht man sie zu Opfern. Man darf nicht vergessen, Auseinandersetzung mit DVU findet in erster Linie nicht im Parlament statt, sondern findet statt, wenn man sich auch im persönlichen Umfeld gegen Rechtsextremismus wehrt, wenn man da ganz klar Nein und Stopp sagt, wenn man da, wo Rechte auftreten, auch von den demokratischen Parteien aus dagegen hält. "
Denn, so meint der SPD-Abgeordnete, die DVU werde mitnichten wegen ihrer Arbeit im Landtag gewählt. Die rechtsextreme Partei bündele den Frust derjenigen, die sich ausgegrenzt und zurückgesetzt fühlten. Genau gegen dieses Gefühl müsse Politik gemacht werden.
Günther: "Etwas tun gegen Arbeitslosigkeit, gegen dieses Gefühl, weniger wert zu sein, und einfach die soziale Basis Brandenburgs sichern. Den Leuten das Gefühl geben, dass sie gebraucht werden und dass sie auch bei der Politik Gehör finden. "
Die rechtsextreme Szene ist durch die kontinuierliche Landtagsarbeit der DVU – mittlerweile sind es sechs Jahre – immens gestärkt worden. Die sechs Abgeordneten bekommen ordentliche Bezüge, können wissenschaftliche Mitarbeiter beschäftigen, haben einen Zugang zu wichtigen Informationen der Landesregierung und erhalten sogar einen Oppositionszuschlag.
Bei der Bundestagswahl am Sonntag konnten die Rechtsextremen ihr gutes Landtagswahlergebnis glücklicherweise nicht wiederholen. Mit dem Brandenburger DVU-Landesvorsitzenden an der Spitze erhielt die NPD 3,2 Prozent der Stimmen.
Landtagspräsident Gunter Fritsch ruft die 88 Abgeordneten des Potsdamer Landtags zusammen, die Plenarsitzung beginnt. Vom Präsidium gesehen rechts außen sitzen die sechs Abgeordneten der DVU-Fraktion. Wie immer sind sie gemeinsam in den Plenarsaal gekommen und bleiben unter sich, während die Abgeordneten von SPD, CDU und Linkspartei sich begrüßen. Landtagspräsident Fritsch erinnert an den 1.September und verliest eine Erklärung.
Fritsch: "Am 1. September 1939 begann mit dem Überfall des nationalsozialistischen Deutschlands auf Polen die schlimmste Periode in der Geschichte des Zusammenlebens der Völker Europas. "
Die Erklärung ist von CDU, SPD und Linkspartei gemeinsam verfasst worden, von den demokratischen Parteien im Landtag, wie Landtagspräsident Fritsch sagt. Die DVU ist außen vor geblieben.
Fritsch: "Gerade Deutschland hat heute eine besondere Verantwortung für den Erhalt von Frieden und Demokratie, dem sollen wir uns alle verpflichtet fühlen (Applaus). "
Das Protokoll wird vermerken: Applaus bei SPD, CDU und Linkspartei, Schweigen bei der DVU. Der Schulterschluss gegen die Rechtsextremen ist gelungen. Das ist nicht immer so. Nach wie vor gibt es unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie mit ihnen in- und außerhalb des Parlaments umgegangen werden soll.
Ein Rückblick: Im Sommer letzten Jahres befanden sich die Anti-Hartz-IV-Proteste auf ihrem Höhepunkt. Montagsdemonstrationen allerorten, PDS, DVU und NPD gelang es im September, die Proteststimmung in Wählerstimmen umzumünzen. "Hartz IV, Schnauze voll", plakatierte die DVU. Ihre Wahlspots klangen so:
Wahlspot DVU: "(Telefon klingelt, Dialog): Hier Platzeck, wer ist denn da. Ich bin das Volk. Mein Gott, das Volk. Ich hab die Schnauze voll, am 19. September wird abgerechnet, dann kriegt ihr alles heimgezahlt. "
Wie bereits fünf Jahre zuvor setzte die DVU nicht auf einen direkten Wahlkampf vor Ort, sondern auf eine Materialschlacht. Sie klebte kurz vor der Landtagswahl mehr Plakate als alle anderen Parteien zusammen und schickte Postwurfsendungen an alle Haushalte. Die millionenschwere Kampagne wurde vom DVU-Bundesvorsitzenden Gerhard Frey finanziert und hatte Erfolg. 6,1 Prozent der Wählerinnen und Wähler in Brandenburg machten ihr Kreuz bei den Rechtsextremen, die DVU zog gestärkt in den Potsdamer Landtag ein.
Enkelmann: "Dass rechte Kräfte in unserem Haus einen Zulauf haben, dass die rechtsextreme DVU erneut in diesem hohen Haus sitzt, ist eine bittere Niederlage für alle demokratischen Kräfte, und wir sind gefordert, das als zentrale Herausforderung in der politischen Auseinandersetzung der nächsten Jahre zu begreifen. Es geht ja nicht nur um die sechs Vertreter hier im Parlament, es geht um das rechte Potenzial in Brandenburg insgesamt und da ist mehr zu tun als nur eine Auseinandersetzung im Parlament. "
Die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei Dagmar Enkelmann in der ersten Landtagssitzung nach der Wahl. Auch SPD-Ministerpräsident Mathias Platzeck nannte in seiner Regierungserklärung die Bekämpfung des Rechtsextremismus ein zentrales Thema – ohne jedoch die DVU explizit zu erwähnen.
Platzeck: "Die neue Regierungskoalition ist sich einig, dass der Bekämpfung des Rechtsextremismus in Brandenburg eine herausragende Bedeutung zukommt. Der Rechtsextremismus ist eine Gefahr für unser Land, er schadet unserem Land und dem Wirtschaftsstandort Brandenburg. "
Von 1999 bis 2004 saß die DVU mit fünf Abgeordneten im Landtag und wurde von allen totgeschwiegen. Eine nicht offizielle Absprache zwischen Parteien und Journalisten besagte: die DVU wird ignoriert. Alle hofften, dadurch den Wiedereinzug der Rechtsextremen in den Landtag zu verhindern. Die Rechung ging nicht auf, die DVU konnte sogar ihr Wahlergebnis verbessern. Die demokratischen Parteien mussten zur Kenntnis nehmen, dass die Rechtsextremen besonders bei Erst- und Jungwählern, bei Arbeitslosen und wenig Gebildeten punkten konnten, bei denjenigen, die sich ausgegrenzt fühlten. Was tun? Weiter die DVU im Parlament totschweigen oder sich offensiv mit ihren Vertretern auseinandersetzen? Der CDU-Fraktionsvorsitzende Thomas Lunacek.
Lunacek: " Der Umgang in der Vergangenheit hat sich bewährt, davon bin ich überzeugt, und die Tatsache, dass die DVU noch einmal in den Landtag eingezogen ist, mit einem leicht verbesserten Wahlergebnis, das war nicht der Behandlung der DVU geschuldet, im Gegenteil, das hat die DVU eher kleiner gemacht. "
Der Erfolg der DVU sei ganz allein den Protesten gegen Hartz IV geschuldet, meint der CDU-Fraktionsvorsitzende. Die Union verfährt also genau wie in der letzten Legislaturperiode: Die parlamentarischen Anträge der DVU werden kühl und geschäftsmäßig abgearbeitet, die Abgeordneten und ihre Arbeit möglichst ignoriert.
Lunacek: "Ich halte das auch für richtig, diese DVU auch nicht aufzuwerten, in dem man ihnen eine besondere Behandlung zuteil werden lässt. Es ist schon richtig, dass man die DVU so behandelt und meidet. "
SPD und Linkspartei sehen das etwas anders. "Wir wollen die DVU entlarven" - das hatten sich die Sozialisten zu Beginn der Legislaturperiode vorgenommen. Das gelingt nicht immer, gibt die Abgeordnete der Linkspartei Anita Tack zu.
Tack: "Totschweigen macht ja keinen Sinn, es stehen ja immer Wähler dahinter, deshalb kann man nur die Auseinandersetzung suchen, aber die ist eben schwierig, weil sie sich oftmals nicht zu erkennen geben. "
Die DVU gibt sich bürgerlich und zeigt im Parlament nur manchmal ihr wahres Gesicht. Anfragen und Anträge zum Thema "Bleimunition bei der Jagd auf Wasservögel", "Auswirkungen der Novellierung des Baugesetzbuches" oder "Studiengebühren an Brandenburger Hochschulen" könnten so oder so ähnlich auch aus der Feder der anderen Fraktionen stammen. Genau das macht die DVU so gefährlich, sagt Thomas Bittner, landespolitischer Redakteur des RBB-Fernsehens.
Bittner: "All das, was sie machen, wirkt sehr spießbürgerlich konservativ, national, sie versuchen im Parlament, anders als die NPD in Sachsen, nicht zu provokativ aufzutreten, sie kommen nicht daher wie eine gefährliche rechtsradikale Bande, insofern agiert man geschickt, wenn auch nicht intelligent. "
Einige Anträge der DVU muss man ganz genau lesen, um den rechtsextremen und ausländerfeindlichen Hintergrund zu erkennen. So forderte die DVU, das Konzept "Tolerantes Brandenburg" – ein Projekt gegen Rechtsextremismus - finanziell zu überprüfen und berief sich dabei auf den Landesrechnungshof. Die DVU-Abgeordnete Birgit Fechner.
Fechner: "In Zeiten knapper Kassen muss jede Ausgabe auf den Prüfstand. Welcher Nutzen entsteht dem Land aus diesen ausgegebenen Steuergeldern? Wenn die Landesregierung nicht in der Lage ist, diese Frage zu beantworten, dann muss sie dieses Handlungskonzept einstampfen. "
Schulze: "Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kollegen, wieder mal werden wir von der DVU mit einem Antrag konfrontiert, der aufs Erste harmlos und nett aussieht, aber wie das bei vielen Anträgen ist, das Gift ist tückisch und man sieht es nicht. "
Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion Christoph Schulze hat das Wort ergriffen. Eine Abmachung der anderen drei Fraktionen besagt: bei DVU-Anträgen reden weder Minister noch Fraktionschefs, um die Rechtsextremen nicht aufzuwerten. Der SPD-Politiker Schulze ist bekannt für seine verbalen Rundumschläge gegen die DVU – an diesem Tag verwendet der Arzt einen Vergleich aus der Medizin.
Schulze: "Für Pockenviren, Pest oder Cholerabakterien gibt es auch keinen Artenschutz, die werden auch bekämpft und sie müssen ausgerottet werden, weil sie sonst die gesamte Bevölkerungspopulation hinwegraffen. "
Unruhe bei der DVU-Fraktion - wird das Protokoll vermerken.
Schulze: "Und dieses rechtsextreme menschenfeindliche Gedankengut würde ich an dieser Stelle vergleichen, das muss bekämpft und kurz gehalten werden, damit es nicht zu einer Epidemie kommt. "
Der massige DVU-Abgeordnete Sigmar-Peter Schuldt springt auf. Nehmen Sie diesen Vergleich zurück, ruft der Rechtsextreme wütend in den Saal. Doch Christoph Schulze lässt sich nicht beirren.
Schulze: "Wir wissen wo sie hingehören, und wir werden uns von ihnen nichts einreden oder unterschieben lassen, und insofern ist es eine besondere Unverfrorenheit, uns so einen Antrag zuzureichen, aber wir sind ja den Missbruch des Antragsrechts durch sie gewohnt und werden deshalb den Antrag konsequent ablehnen, ich bedanke mich. (Applaus) "
Nun ergreift Sigmar-Peter Schuldt das Wort. Der DVU-Landesvorsitzender und Spitzenkandidat auf der NPD-Liste für die Bundestagswahl ist der starke Mann der rechtsextremen Partei, die in Brandenburg rund 300 Mitglieder hat.
Schuldt: "Kollege Schulze, weder ist meine Partei, ist meine Fraktion rechtsextremistisch, noch ausländerfeindlich, noch antisemitisch. Wir sind weltoffen, wir sind tolerant. "
Die Behauptungen des DVU-Landesvorsitzenden klingen in den Ohren der anderen Landtagsabgeordneten wie Hohn. Ein Blick auf die Internetseite der DVU genügt, um zu belegen, dass die Partei sehr wohl rechtsextremistisch und ausländerfeindlich ist, dass sie weder weltoffen noch tolerant ist. Das sieht auch Brandenburgs Verfassungsschutz so, der die DVU beobachtet. Verfassungsschutzchefin Winfriede Schreiber.
Schreiber: "Wir haben die DVU in unserem Verfassungsschutzbericht 2004 unter Rechtsextremismus erwähnt, also steht sie nach unserer Auffassung nicht auf dem Boden des Grundgesetzes. "
Außerdem gibt es eindeutige Verbindungen zwischen der DVU und Neonazi-Kameradschaften in Brandenburg. So stellte die DVU-Fraktionsvorsitzende Liane Hesselbarth mehrere parlamentarische Anfragen zu einem links-alternativen Jugendprojekt in ihrer Heimatstadt Strausberg. Später stellte sich heraus: Der Sohn der DVU-Abgeordneten – ein einschlägig bekannter Neonazi – hatte kurz zuvor zusammen mit anderen Mitgliedern der mittlerweile verbotenen Neonazi-Kameradschaft A-NSDAP-O den alternativen Jugendclub überfallen. Beim diesjährigen Sommerfest der DVU-Fraktion waren ebenfalls Mitglieder bekannter Neonazi-Kameradschaften anwesend. Verfassungsschutzchefin Schreiber:
Schreiber: "Die NPD hat sich mit den Neonazis verbunden, sie zieht Neonazis heran im Wahlkampf, Neonazis kandidieren auf den Listen der NPD, also haben wir eine ganz klare Verknüpfung NPD – Neonazis. Wenn die DVU mit der NPD einen Deutschlandpakt schließt, dann nimmt sie die Neonazis mit rein und es gibt keine klare Distanzierung von den Kameradschaften. "
NPD und DVU konnten in den sächsischen bzw. brandenburgischen Landtag einziehen, weil sie zuvor beschlossen hatten, nicht gegeneinander zu kandidieren. Diese Absprache bewährte sich, daraufhin schlossen NPD und DVU den so genannten Deutschlandpakt. Dieser legt fest, bei welchen Wahlen die NPD und bei welchen die DVU antritt. Da die NPD in Brandenburg keine Basis hat, kandidierte auf der Bundestagsliste der NPD der DVU-Landesvorsitzende.
Lunacek: "Und somit hat sie sich damit selbst in die Ecke gestellt, sie hat das Stigma der NPD und eine Zusammenarbeit gab es sowieso nicht, aber eine wie auch immer geartete Kommunikation mit der DVU verbietet sich von daher, und deshalb ist es ein Nicht-Verhältnis. "
Als Nicht-Verhältnis beschreibt der CDU-Fraktionsvorsitzende Lunacek den Umgang mit den DVU-Abgeordneten. Und doch muss es eine klammheimliche Zustimmung einiger Abgeordneter zu den rechtsextremen Positionen der Partei geben – haben doch bei einigen geheimen Abstimmungen DVU-Abgeordnete mehr Stimmen erhalten als die Fraktion Mitglieder hat. Zudem muss sich jeder und jede Abgeordnete irgendwie positionieren. Schenkt man dem Kollegen von der DVU einen Kaffee ein, obwohl man seine politischen Positionen grundlegend ablehnt? Trinkt man vielleicht sogar ein Bier zusammen? Geben CDU, SPD oder Linkspartei-Abgeordnete den DVU-Vertretern die Hand?
Umfrage verschiedene Abgeordnete: "
Selten, ja, aber ich tue es.
Manchmal reicht es nicht zum Handgeben.
Man begrüßt sich, ganz normal.
Ick hab da null Kontakt, ick hab auch fünf Jahre neben Frau Hesselbarth im Präsidium gesessen, ick hab ihr vielleicht einmal Kaffee eingegossen, das war´s dann auch schon. "
Anita Tack von der Linkspartei ist Mitglied im Ausschuss für Infrastruktur und Raumordnung, der von der DVU-Fraktionsvorsitzenden Hesselbarth geleitet wird. SPD, CDU und Linkspartei verständigten sich bereits vor einigen Jahren darauf, der DVU diesen Ausschuss zuzuweisen. In dieser Position könnten die Rechtsextremen am wenigsten Schaden anrichten, dachte man sich. Anita Tack über die DVU-Abgeordnete.
Tack: "Inhaltlich kann man sich mit der Frau nicht auseinandersetzen, denn sie sagt nix als eigene Meinung in dem Ausschuss, ich kenne keine Meinung von ihr, keine drei zusammenhängenden Sätze, dann leiden wir darunter, dass der Vorsitz von der DVU besetzt wird. Der Ausschuss ist als parlamentarisches Gremium nicht zum Wirken gekommen. "
So verzichtet der Ausschuss weitgehend darauf, auswärtige Termine wahrzunehmen – die DVU-Fraktionsvorsitzende soll sich nicht in der Öffentlichkeit produzieren können. Eine Gratwanderung – die DVU ist eine demokratisch gewählte Partei, ihr müssen die parlamentarischen Rechte einer Oppositionsfraktion zugestanden werden. Andererseits sollen die Einflussmöglichkeiten der DVU so gering wie möglich bleiben. Der SPD-Landtagsabgeordnete Thomas Günther, ebenfalls Mitglied im DVU-geleiteten Infrastrukturausschuss.
Günther: "Je doller man auf sie draufhaut, desto mehr macht man sie zu Opfern. Man darf nicht vergessen, Auseinandersetzung mit DVU findet in erster Linie nicht im Parlament statt, sondern findet statt, wenn man sich auch im persönlichen Umfeld gegen Rechtsextremismus wehrt, wenn man da ganz klar Nein und Stopp sagt, wenn man da, wo Rechte auftreten, auch von den demokratischen Parteien aus dagegen hält. "
Denn, so meint der SPD-Abgeordnete, die DVU werde mitnichten wegen ihrer Arbeit im Landtag gewählt. Die rechtsextreme Partei bündele den Frust derjenigen, die sich ausgegrenzt und zurückgesetzt fühlten. Genau gegen dieses Gefühl müsse Politik gemacht werden.
Günther: "Etwas tun gegen Arbeitslosigkeit, gegen dieses Gefühl, weniger wert zu sein, und einfach die soziale Basis Brandenburgs sichern. Den Leuten das Gefühl geben, dass sie gebraucht werden und dass sie auch bei der Politik Gehör finden. "
Die rechtsextreme Szene ist durch die kontinuierliche Landtagsarbeit der DVU – mittlerweile sind es sechs Jahre – immens gestärkt worden. Die sechs Abgeordneten bekommen ordentliche Bezüge, können wissenschaftliche Mitarbeiter beschäftigen, haben einen Zugang zu wichtigen Informationen der Landesregierung und erhalten sogar einen Oppositionszuschlag.
Bei der Bundestagswahl am Sonntag konnten die Rechtsextremen ihr gutes Landtagswahlergebnis glücklicherweise nicht wiederholen. Mit dem Brandenburger DVU-Landesvorsitzenden an der Spitze erhielt die NPD 3,2 Prozent der Stimmen.