Ökologen sind erfreut, dem Bürger ist unwohl
In Sachsen tötete unlängst ein Wolf ein Schaf und verletzte mehrere andere schwer. Die mythischen Räuber sind also wieder da. Doch was bedeutet das für die Freilandhaltung von Nutzvieh?
Der Wolf ist erfolgreich nach Deutschland zurückgekehrt. Ökologen sind erfreut, dem Bürger ist unwohl und die Landwirte ziehen Konsequenzen. Für viele ist jetzt Schluss mit lustig. Die Freilandhaltung von Schafen ist passe. In Frankreich – dort sind bereits hunderte von Wölfen unterwegs – reißt jedes Tier pro Jahr über 20 Schafe. Deutschlands Bauern wird empfohlen, ihr Vieh mit Elektrozäunen zu schützen. Dafür genügt der übliche Weide-Elektrozaun aber nicht. Wölfe sind schlau und wühlen sich unten durch oder springen drüber. Und der Stromschlag sollte so schwach sein, dass er den Lämmern nicht schadet.
Also wird man um eine systematische Sicherung der Weiden nicht umhinkönnen, natürlich mit entsprechenden Kosten für den Landwirt und Folgen für die Landschaft. Auf den Almen ist das sowieso aussichtslos. Die Rudel werden dort in den nächsten Jahren erwartet – und sie werden ein ideales Gelände vorfinden. Das Schicksal der in Deutschland lebenden etwa 8000 Wildschafe dürfte besiegelt sein.
Wölfe töten mehr Tiere als sie fressen können, sie reißen auf Vorrat. In den Medien wird dann beruhigt, die Wölfe seien so tierlieb, dass sie ihr Opfer mit einem gezielten Biss in die Kehle sofort töten. Beim letzten öffentlich gewordenen Fall in Sachsen fand der Landwirt am nächsten Morgen nicht nur ein totes Schaf vor. Drei weitere lebten noch und mussten aufgrund ihrer schweren Bisswunden fachmännisch notgeschlachtet werden. Der Wolf ist ein Raubtier, das seine Beute im Rudel angreift und kein gelernter Metzger, der darauf achtet, dass das liebe Vieh nicht unnötig leidet.
Resozialisierung für Raubtiere
In Frankreich setzt man deshalb auf Umerziehung. Ja, Sie haben richtig gehört. Falls man einen Wolf beim Reißen von Schafen erwischen sollte, erhält er im Rahmen des "Nationalen Wolfsplans" ein Brandzeichen. Das soll ihn so erschrecken, dass er daraus lernt, seinem Lieblingsfutter aus dem Weg zu gehen und andere Tiere zu reißen. Resozialisierung für Raubtiere. Wir wollen die Wölfe im Land, aber doch nicht so wie sie sind. Wie wär‘s mit einem Friedenscamp für Wölfe, Bären und Luchse? Mit einer veganen Salatbar, serviert von engagierten Schafsköpfen. Na dann man tau!
Doch warum fürchten sich viele Menschen so reflexartig vor dem Wolf? Warum schärften früher die Märchen schon den Kleinsten ein, sich vor dem Wolf zu hüten, wenn er sich freundlich nähert? Etwa weil er Kinder frisst? Nein, dann müsste man auch vor Bären warnen – die sind ungleich kräftiger. Wölfe meiden den Menschen, solange sie genug zu fressen finden. Zumindest im Normalfall.
Unsere Wolfsfurcht hat einen ganz konkreten Grund. Der Wolf überträgt eine schlimme Krankheit: Die Tollwut. Im Mittelalter führten Kriege zur Entvölkerung Europas, zur Verwilderung des Ackerlandes, zu einer massiven Zunahme des Wildes und damit der Wölfe. Die Wolfsrudel, schreibt Stefan Winkle, einer der namhaftesten Seuchenhistoriker, "überfielen die Bauern auf dem Feld und ihr Vieh sofern sie noch welches hatten, bissen sich mit den Hunden, töteten und verletzten … Menschen und Haustiere und ließen fast immer die Tollwut zurück".
Zurzeit ist Deutschland tollwutfrei
Infizierte Tiere verlieren ihre Scheu vor dem Menschen – deshalb sollte Rotkäppchen vor jedem Wolf, der sich entgegen seiner sonstigen Gewohnheit dem Menschen nähert, Reißaus nehmen. Wölfe verbreiten Krankheiten viel rasanter als Mücken, Zecken oder Ratten. Für 1000 Kilometer genügen ihnen wenige Wochen. Da die Inkubationszeit bei der Tollwut bis zu einem Jahr betragen kann, sind einer Verbreitung Tür und Tor geöffnet. Deutschland ist heute tollwutfrei – aber wie lange noch?
Glücklicherweise haben wir im Gegensatz zur Zeit der Entstehung der Märchen Medikamente, um die Tollwut zu behandeln. Aber wir sollten bei aller Euphorie über den Wolf auch die Folgen für die Tierwelt und die gesundheitlichen Risiken nicht aus den Augen verlieren. Mahlzeit!
Literatur
Ministère de L’Ecologie, du Développement durable et de L’Energie, Ministère de L’Agroalimentaire et de la Foret: Projet de Plan d’action national loup 2013-2017. 5. Feb. 2013
Körner P: Wölfe löschen Mufflons in Deutschland aus. Die Welt 27.5.2013
Pfuhl A, Niehaus M: Rotkäppchen und die Angst vorm bösen Wolf. EU.L.E.n-Spiegel 2013; H. 1-2: S.5
Winkle S: Kulturgeschichte der Seuchen. Artemis und Winkler, Düsseldorf 1997
Iben B: Tollwut des Menschen („Lyssa humana“). Großtierpraxis 2005; 6 (4): 16-23