Wofür Enkel ihre Großeltern brauchen - und umgekehrt

Von Sybil Gräfin Schönfeldt |
Das Verhältnis von Großeltern und Enkeln ist neben der Eltern-Kind- die wichtigste familiäre Beziehung. Sie sind wichtige Personen und Gesprächspartner füreinander. Großeltern können manchmal besser als Eltern sagen und fragen lassen, was im Leben wichtig ist.
Was sind Großeltern? Ein Junge, der zum ersten Mal mit seinen Eltern zu den weit entfernt lebenden mütterlichen Großeltern gereist war, sagte beim Mittagessen befriedigt: "Das gefällt mir. Bei Leuten zu sein, die meinen Eltern etwas befehlen können." Das sind Großeltern, die Zauberer, die Tiefe ins Familienbild bringen.

Da ist nicht nur die Direktbeziehung Kind und Eltern mit den tausend eindimensionalen Bindungen und Verstrickungen, ewig wiederholt, nein: Gesprächspartner in einer dritten ganz frischen und neuen Position. Eltern als Kinder, Großeltern als doppelte Eltern. Wie waren die Eltern damals? Kinder wie ich oder ganz anders? Was für Sprüche hatten die Großeltern drauf? Dieselben, die nun an uns weitergegeben werden? Oder andere? Und warum andere und welche?

Nach solchen Fragen kommt vielleicht das Ungesagte zu Wort, das, was die Eltern von damals den Kindern immer hatten sagen und mitgeben wollen, aber da war keine Zeit oder alle Kinder kriegten Keuchhusten, und dann war der Moment vorbei. Nun aber, nun sind die Enkelkinder da, und Großeltern können manchmal besser als Eltern sagen und fragen lassen, was im Leben wichtig ist. Dass man seinen Standpunkt gewinnen und auch halten muss. Das es einem nie erspart bleibt, sich immer wieder zu entscheiden – für das Redliche und Wahre und Gute und gegen die Gier, die Eigensucht und die Rücksichtslosigkeit.

Was sind Großeltern? Ein Kind im Ausstellungspark der Dinosaurierfiguren. Der Großvater erklärt: "...und sie haben vor langer, langer Zeit gelebt!" Das Kind, fast ehrfürchtig: "Hast du sie gekannt?"
Großvater also als Hüter von Erinnerungen, die – für das Enkelkind – unvorstellbar weit in die Vergangenheit zurückgehen. Was gibt es da zu erzählen, zu ergänzen, zurechtzurücken, auch zu bekennen. Das kann ein endloses Gespräch werden, über die Jahre hinweg, bis das Enkelkind erwachsen ist und nun manche Fragen anders, richtiger stellen kann, weil es begreift, wie viel die Vergangenheit mit ihm selber zu tun hat, die Vergangenheit der Familie und die der Historie, deren Zeugen die Großeltern sind.


Ein letztes Bild: Ein Kind schaut seine verwitwete Großmutter, die immer noch Trauer trägt, nachdenklich an und sagt: "Ich weiß, warum du schwarze Kleider anhast. Weil du auch bald in die schwarze, schwarze Erde kommst." Die Großmutter sagt, sie habe nach Luft geschnappt, aber dann begriffen, dass sie dem Kind leibhaftig zeigt, was Vergänglichkeit ist und dass sie ihm sagen kann, wie der Tod nicht nur etwas Selbstverständliches ist, sondern mitten unter uns wohnt, so unbeschreiblich nah wie einst der Gevatter Tod im Märchen.

Und wieder, wie bei der Frage was im Leben wichtig ist: nicht ausweichen, auch den Fragen der Enkelkinder nicht, keine Ausflüchte. Damit würde man die Enkel nur betrügen. Großeltern können es sich leisten standzuhalten. Sie sind alt. Sie haben viel erlebt. Sie brauchen nicht mehr zu beschwichtigen. Sie können zeigen und sagen, was für ein Geschenk das Leben ist - auch das Leben mit den Kindern - wenn man sich seiner Endlichkeit bewusst ist.


Das Gespräch zum Thema mit dem Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Thomas Rauschenbach, Leiter des Deutschen Jugendinstituts München, können Sie bis zu acht Wochen nach der Sendung in unserem Audio-On-Demand-Player hören.