Wohin mit all der Wut?
Im April haben die Truppen des neuen Präsidenten der Elfenbeinküste mit Hilfe französischer Einheiten den Amtsvorgänger Laurent Gbagbo aus seinem Bunker geholt. Der neue Präsident des Landes steht nun vor Herkulesaufgaben. Die Gesellschaft ist nach dem blutigen Machtkampf tief gespalten.
Ismail Malloh kann sich einfach nicht von dem Foto trennen. Auch wenn es weh tut, es ständig anzuschauen. Seine Schwester Syllah ist darauf zu sehen. Sie trägt ein rosafarbenes Kleid, lächelt schüchtern. Syllah lebt nicht mehr. Sie wurde erschossen, beim Einkaufen auf dem Markt, am 2. März. Es war die Zeit, als in der Elfenbeinküste der Kampf ums Präsidentenamt eskalierte. Als die Milizen von Laurent Gbagbo in die Hochburgen seines Gegners Alassane Ouattara einfielen und Jagd machten auf seine Wähler. Auch auf Frauen und Kinder, auch mitten in den ärmlichen Vierteln von Abobo, im Norden von Abidjan. Dort sind die Häuserwände noch immer voller Einschusslöcher.
"Diese gepanzerten Wagen sind angerollt, mit großen Gewehren auf dem Dach. Man hat uns gesagt, sie seien zu unserer Sicherheit da. Aber dann haben sie plötzlich angefangen, auf die Menschen zu schießen. Ich bin aus dem Haus gerannt, und ich habe viele Verletzte gesehen, und dann habe ich meine Schwester gefunden – eine Kugel hatte sie im Rücken getroffen, überall war Blut. Da habe ich sie ins Krankenhaus getragen... Der Arzt wollte es mir nicht sagen. Aber ich habe in seinen Augen gesehen, dass meine Schwester keine Chance mehr hat."
Syllah starb nur wenige hundert Meter von ihrem Haus entfernt. Sie wurde 24 Jahre alt und hinterlässt eine einjährige Tochter. Das Baby mit den großen braunen Augen zappelt auf dem Schoß ihres Großvaters Usman herum, im einzigen Raum des Hauses. An der Wand über dem Sofa klebt ein riesiges Plakat, darauf der lächelnde Wahlsieger: Alassane Ouattara.
"Der neue Präsident kann uns unser Kind nicht zurückholen. Geld wollen wir nicht, wie könnte man uns auch für diesen Verlust entschädigen? Wir beten - und legen unser Schicksal in Gottes Hand."
Während die einen trauern, feiern die anderen. Die Marktfrauen am Hafen von Abidjan tragen weiße T-Shirts mit Fotos von Alassane Dramane Ouattara. Sie tanzen und singen, laufen mit dem Megaphon über die Straße und verschenken vor lauter Freude Mangos und Papayas. ADO, ihr Mann aus dem Norden, ist endlich Präsident.
"Wir sind stolz, dass unser Mann jetzt an der Macht ist – Laurent Gbagbo war doch nur ein Dieb und ein Mörder. Er hat nichts für sein Land getan. Ouattara sagt: Lasst mich fünf Jahre regieren, dann werdet ihr sehen – alles wird besser."
"Solutions" – Lösungen: Das war Ouattaras Wahlkampfslogan. ADO, das sollten die Menschen wissen, habe die Antworten auf die massiven Probleme des Landes. Ouattara will Investoren ins Land holen, bei der Internationalen Gemeinschaft um Finanzhilfen werben – sein Hilfsprogramm für die zusammengebrochene Wirtschaft soll 15 Milliarden Euro kosten. Die Erwartungen sind riesengroß. Ouattaras Anhänger, seine Gegner - alle Menschen hoffen, dass es aufwärts geht. Dass die Plünderungen und Schießereien aufhören, dass es Arbeit gibt. Darauf wartet auch Até Konaté, bislang vergeblich. Mit seinen Freunden sitzt er apathisch vor einem Bretterverschlag in Williamsville. Auch hier haben viele Menschen Angehörige verloren, als der Kampf ums Präsidentenamt eskalierte.
"Wenn ich eine Waffe gehabt hätte, ich hätte für Ouattara gekämpft. Ich hätte unser Land von diesen Verbrechern befreit, die unsere Frauen und Kinder niedergemetzelt haben. Ich hätte sie alle umgebracht. Wenn hier jetzt einer von Gbagbos Milizen vorbeikäme... er wäre ein toter Mann. Und daran wird sich nichts ändern, bis auf weiteres."
Der Hass auf Laurent Gbagbo und seine Truppen ist in Abobo und den anderen muslimisch geprägten Vierteln von Abidjan riesengroß. Der Ex-Präsident habe schließlich auf sein eigenes Volk schießen lassen, nur um seinen politischen Gegner zu schwächen. Der aberwitzige Kampf um die Macht an der Elfenbeinküste wurde zum Krieg der Ethnien, und es scheint, als sei er noch lange nicht vorbei. Viele Ouattara-treue Zivilisten - Mechaniker, Taxifahrer, Metzger, Schüler, Arbeitslose – melden sich zum Dienst bei den FRCI, Ouattaras Republikanischen Kräften der Elfenbeinküste. Gemeinsam mit französischen Truppen und den Vereinten Nationen haben sie Alassane Ouattara den Weg ins Präsidentenamt frei gebombt – nun haben sie Oberwasser. Manche hoffen auf eine Karriere beim Militär – viele haben einen anderen Grund: Rache.
Junge Männer, manche kaum älter als 17 oder 18, stehen mit Sonnenbrille, Kalaschnikow, zerrissener Tarnuniform und Plastiksandalen in Reih und Glied vor einem heruntergekommenen Mietshaus. Dabei ist auch Ahmed Dosso. Er hört lieber auf den Kampfnamen "Kader" und hat sich der Kompanie der Freiheitskämpfer von Abobo angeschlossen. Die Bürgerwehr hat das Viertel gegen Gbagbos Leute verteidigt und soll jetzt in die FRCI integriert werden.
Kaders Gewehr hat umgerechnet 30 Euro gekostet und soll einmal einem Gbagbo-Krieger gehört haben, einem Söldner aus Liberia. Mit 21 ist Kader schon Kriegsversehrter. Im Gefecht hatte ihm eine Kugel beinahe die rechte Hand zerfetzt, die Wunde wurde notdürftig genäht, sie ist immer noch dick geschwollen, die Finger sind taub. Immerhin, sagt Kader, seine Beine seien in Ordnung – eigentlich will er Fußballprofi werden.
"Versöhnung ja, aber das ist sehr schwer. Die Verbrechen hier waren einfach unvorstellbar. Ich habe selbst gesehen, wie sie in Yopougon einen Freund lebendig begraben haben, nur weil er Moslem war. Ich war auch Zeuge, als Gbagbos Söldner aus Liberia einen ganzen Bus voller Menschen mit Benzin übergossen und angezündet haben. Wir reden immer von Versöhnung... aber wie sollen wir jemals wieder an einem Tisch sitzen und gemeinsam essen? Vor der Versöhnung ist die Justiz gefordert."
Die Justiz – oder das, was manche Ouattara-Anhänger darunter verstehen - genau davor hat nun das Gbagbo-Lager Angst. Denn die FRCI, das sind eben nicht nur Offiziere der Forces Nouvelles, der Rebellenarmee aus dem Norden – darunter sind auch Söldner aus Burkina Faso und Mali, viele schwer kontrollierbare Truppenteile. Manche beschlagnahmen Autos, errichten Straßensperren, bedrohen Gbagbo-treue Viertel und kritische Journalisten, spielen Polizei. Die Stimmung droht zu kippen, und Eugene Djué macht das große Sorgen. Der Studentenführer, Gbagbo-Zögling und Mitbegründer der gefürchteten Jungen Patrioten hat selbst Blut an den Händen. Er wurde mit UN-Sanktionen belegt, seine Konten sind eingefroren, ausreisen darf er nicht. Aber seit Ouattara Präsident ist, muss Djué sich in einer Kaserne der Feuerwehr verstecken – er hat Angst, gelyncht zu werden.
"Wir alle sind zu weit gegangen. Viel zu weit. Die Sieger mögen heute das Recht des Stärkeren durchsetzen wollen. Aber sie müssen wissen: Auch sie haben dazu beigetragen, dass die Elfenbeinküste heute am Boden liegt. Auch ich bin dafür mitverantwortlich, und ich bin weiß Gott nicht stolz darauf. Was geschehen ist, ist eine Schande für uns alle – wir haben alle mitgemacht bei der Zerstörung unseres Landes."
Damit spielt Djué auf die Massaker im Westen der Elfenbeinküste an, für die auch Ouattaras Truppen verantwortlich gemacht werden. Mehr als 800 Menschen sollen allein in Duékoué systematisch ermordet worden sein, weil sie zur Gbagbo-treuen Ethnie der Guéré gehörten. Und in Abidjan hätten die Ouattara-treuen Unsichtbaren Kommandos auch keine Gefangenen gemacht.
Alle Verbrechen müssten aufgeklärt werden, betont Djué. Ouattara müsse sich nun messen lassen an einem der wichtigsten Sätze seiner Antrittsrede: Die Zeit der Straflosigkeit sei vorbei, die Strafverfolgung werde auch vor Ouattaras eigenen Truppen nicht halt machen. Siegerjustiz, warnt Djué, führe geradewegs zurück in die Vergangenheit. Ouattara habe das verstanden – bei den Anhängern des neuen Präsidenten ist sich der ehemalige Gbagbo-Jünger da nicht so sicher.
"Man kann einen Krieg gewinnen, wenn man militärisch stärker ist. Aber danach beginnt der eigentliche Kampf um den Frieden. Es ist leicht, einfach alle umzubringen, die einem im Weg stehen. Aber mehr als 40 Prozent der Bevölkerung haben Gbagbo gewählt. Und die wollen auch Teil der neuen Elfenbeinküste sein. Wer das unterschlägt und sich als Sieger aufspielt – der riskiert, dass eines Tages alles wieder von vorne losgeht."
Manche ehemalige Kriegstreiber überraschen mit späten Einsichten. In der Elfenbeinküste seien die Menschen während der letzten zehn, zwanzig Jahre vom Satan besessen gewesen, so redet mittlerweile auch Paul Yao N’Dré, ein enger Freund Laurent Gbagbos und Chef des Verfassungsrats. Tatsächlich hat es seit dem Tod von Staatsgründer Houphouet-Boigny 1993 kein Politiker geschafft, das Land zu einen. Stattdessen versank die Elfenbeinküste immer tiefer im Morast von Staatsstreichen, Korruption, Bürgerkrieg, Lügen und ethnischem Hass – bis heute. Die Gesellschaft, so Patrick N’Gouan vom Netzwerk der Zivilgesellschaft in Abidjan, habe sich in ihre Einzelteile aufgelöst. Um so wichtiger sei nun die Kraft der Ivorer zur Versöhnung. "Plus Jamais Cela" – "Nie wieder" – das sei nicht umsonst das Motto der Versöhnungskommission, die Präsident Ouattara eingesetzt habe. Bedauerlicherweise nicht mit einem unabhängigen Kopf an der Spitze, sondern mit einem seiner engsten Vertrauten, dem ehemaligen Premier Charles Konan Banny.
"Wir haben in der Elfenbeinküste viel zu lange einfach nur Schwarz und Weiß gesehen, Gut gegen Böse. So einfach ist das aber nicht. Beide Seiten haben ihre Extremisten. Deswegen ist es so wichtig, darauf zu achten, wie sich diese Versöhnungskommission aufstellt. Wir hätten durchaus Mister X oder Mister Y finden können, Persönlichkeiten, die von beiden Lagern akzeptiert werden. Aber von vornherein die Leitung dieser so dermaßen wichtigen Kommission dem Postengeschacher zu opfern, war falsch. Gbagbo hat das auch schon versucht, und es ist schiefgegangen."
In Abobo hat Yusuf Konaté gerade seine Nachbarn besucht, die Eltern der erschossenen Syllah. Dioe Tränen laufen ihm übers Gesicht. Syllah ist immer noch nicht begraben - die Leiche wird nicht freigegeben, sagt er, die Justiz wolle sie als Beweis möglicher Kriegsverbrechen durch Gbagbos Leute behalten. Konaté schüttelt fassungslos den Kopf. Er ist auf dem Weg zur Moschee, will für die vielen Toten beten, und für Präsident Ouattara.
"Alle sind völlig traumatisiert. Die Kinder, die Eltern, alle. Man kann nicht mehr schlafen, nicht mehr essen, es gibt keine Liebe mehr zwischen den Menschen. Wir sind am Ende. Wir brauchen Frieden. Ich hoffe, dass es dazu kommt. Wir dürfen nicht aufgeben oder den bösen Gedanken freien Lauf lassen, auch wenn das Gefühl der Rache stark ist. Gott gibt mir Kraft, und deswegen glaube ich an die Zukunft."
Vielleicht sind sie es, die in diesen Zeiten der tiefen Verunsicherung am meisten Hoffnung auf Versöhnung verbreiten: Die Kinder, die nebenan im Krankenhaus "Abobo Sud" zur Welt kommen. Da, wo die 24-jährige Syllah im März gestorben ist. Ursprünglich auf gerade mal 12 Betten ausgelegt, platzt diese heruntergekommene Klinik heute mit über 130 Betten aus allen Nähten – monatelang war es das einzige noch funktionierende Spital in der ganzen Stadt. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen tut alles, um die Patienten zu versorgen – überall liegen Menschen mit Schussverletzungen, Malaria – oder schwangere Frauen. Patience ist sehr stolz, dass sie wieder Hebamme sein darf. Während der Kämpfe um den Präsidentenpalast hatte auch sie sich wochenlang in ihrem Haus verstecken müssen. Jetzt hilft sie wieder kleinen Ivorern ins Leben.
"Ich bin froh, dass ich hier wieder arbeiten kann. Während der Krise stand ja alles still. Die Geschäfte waren geschlossen, die Leute hatten kein Geld mehr. Es ist wunderbar, dass die Frauen jetzt hierher kommen können, dass sie hier in einer sauberen Umgebung gebären können, und dass das nichts kostet. Wir sorgen für die Kleinen, damit sie leben und eine bessere Zukunft haben, damit sie eines Tages für uns da sein können, wenn wir alt sind..... oh, ich glaube, da ist es soweit, ich muss da hinten mal einer Frau helfen, das Kind kommt."
ADO-Kinder – so nennt Patience die Neugeborenen. Sie gehören zur nächsten Generation, die eines Tages vielleicht die tiefe Spaltung des Landes überwinden kann. Den blutigen Kampf um die Macht an der Elfenbeinküste haben die Babys im Bauch ihrer Mütter überlebt. Jetzt müssen auch sie auf den neuen Präsidenten vertrauen: ADO. Alassane Dramane Ouattara. Den Mann mit den "Solutions" – den Lösungen für sein geschundenes Land.
"Diese gepanzerten Wagen sind angerollt, mit großen Gewehren auf dem Dach. Man hat uns gesagt, sie seien zu unserer Sicherheit da. Aber dann haben sie plötzlich angefangen, auf die Menschen zu schießen. Ich bin aus dem Haus gerannt, und ich habe viele Verletzte gesehen, und dann habe ich meine Schwester gefunden – eine Kugel hatte sie im Rücken getroffen, überall war Blut. Da habe ich sie ins Krankenhaus getragen... Der Arzt wollte es mir nicht sagen. Aber ich habe in seinen Augen gesehen, dass meine Schwester keine Chance mehr hat."
Syllah starb nur wenige hundert Meter von ihrem Haus entfernt. Sie wurde 24 Jahre alt und hinterlässt eine einjährige Tochter. Das Baby mit den großen braunen Augen zappelt auf dem Schoß ihres Großvaters Usman herum, im einzigen Raum des Hauses. An der Wand über dem Sofa klebt ein riesiges Plakat, darauf der lächelnde Wahlsieger: Alassane Ouattara.
"Der neue Präsident kann uns unser Kind nicht zurückholen. Geld wollen wir nicht, wie könnte man uns auch für diesen Verlust entschädigen? Wir beten - und legen unser Schicksal in Gottes Hand."
Während die einen trauern, feiern die anderen. Die Marktfrauen am Hafen von Abidjan tragen weiße T-Shirts mit Fotos von Alassane Dramane Ouattara. Sie tanzen und singen, laufen mit dem Megaphon über die Straße und verschenken vor lauter Freude Mangos und Papayas. ADO, ihr Mann aus dem Norden, ist endlich Präsident.
"Wir sind stolz, dass unser Mann jetzt an der Macht ist – Laurent Gbagbo war doch nur ein Dieb und ein Mörder. Er hat nichts für sein Land getan. Ouattara sagt: Lasst mich fünf Jahre regieren, dann werdet ihr sehen – alles wird besser."
"Solutions" – Lösungen: Das war Ouattaras Wahlkampfslogan. ADO, das sollten die Menschen wissen, habe die Antworten auf die massiven Probleme des Landes. Ouattara will Investoren ins Land holen, bei der Internationalen Gemeinschaft um Finanzhilfen werben – sein Hilfsprogramm für die zusammengebrochene Wirtschaft soll 15 Milliarden Euro kosten. Die Erwartungen sind riesengroß. Ouattaras Anhänger, seine Gegner - alle Menschen hoffen, dass es aufwärts geht. Dass die Plünderungen und Schießereien aufhören, dass es Arbeit gibt. Darauf wartet auch Até Konaté, bislang vergeblich. Mit seinen Freunden sitzt er apathisch vor einem Bretterverschlag in Williamsville. Auch hier haben viele Menschen Angehörige verloren, als der Kampf ums Präsidentenamt eskalierte.
"Wenn ich eine Waffe gehabt hätte, ich hätte für Ouattara gekämpft. Ich hätte unser Land von diesen Verbrechern befreit, die unsere Frauen und Kinder niedergemetzelt haben. Ich hätte sie alle umgebracht. Wenn hier jetzt einer von Gbagbos Milizen vorbeikäme... er wäre ein toter Mann. Und daran wird sich nichts ändern, bis auf weiteres."
Der Hass auf Laurent Gbagbo und seine Truppen ist in Abobo und den anderen muslimisch geprägten Vierteln von Abidjan riesengroß. Der Ex-Präsident habe schließlich auf sein eigenes Volk schießen lassen, nur um seinen politischen Gegner zu schwächen. Der aberwitzige Kampf um die Macht an der Elfenbeinküste wurde zum Krieg der Ethnien, und es scheint, als sei er noch lange nicht vorbei. Viele Ouattara-treue Zivilisten - Mechaniker, Taxifahrer, Metzger, Schüler, Arbeitslose – melden sich zum Dienst bei den FRCI, Ouattaras Republikanischen Kräften der Elfenbeinküste. Gemeinsam mit französischen Truppen und den Vereinten Nationen haben sie Alassane Ouattara den Weg ins Präsidentenamt frei gebombt – nun haben sie Oberwasser. Manche hoffen auf eine Karriere beim Militär – viele haben einen anderen Grund: Rache.
Junge Männer, manche kaum älter als 17 oder 18, stehen mit Sonnenbrille, Kalaschnikow, zerrissener Tarnuniform und Plastiksandalen in Reih und Glied vor einem heruntergekommenen Mietshaus. Dabei ist auch Ahmed Dosso. Er hört lieber auf den Kampfnamen "Kader" und hat sich der Kompanie der Freiheitskämpfer von Abobo angeschlossen. Die Bürgerwehr hat das Viertel gegen Gbagbos Leute verteidigt und soll jetzt in die FRCI integriert werden.
Kaders Gewehr hat umgerechnet 30 Euro gekostet und soll einmal einem Gbagbo-Krieger gehört haben, einem Söldner aus Liberia. Mit 21 ist Kader schon Kriegsversehrter. Im Gefecht hatte ihm eine Kugel beinahe die rechte Hand zerfetzt, die Wunde wurde notdürftig genäht, sie ist immer noch dick geschwollen, die Finger sind taub. Immerhin, sagt Kader, seine Beine seien in Ordnung – eigentlich will er Fußballprofi werden.
"Versöhnung ja, aber das ist sehr schwer. Die Verbrechen hier waren einfach unvorstellbar. Ich habe selbst gesehen, wie sie in Yopougon einen Freund lebendig begraben haben, nur weil er Moslem war. Ich war auch Zeuge, als Gbagbos Söldner aus Liberia einen ganzen Bus voller Menschen mit Benzin übergossen und angezündet haben. Wir reden immer von Versöhnung... aber wie sollen wir jemals wieder an einem Tisch sitzen und gemeinsam essen? Vor der Versöhnung ist die Justiz gefordert."
Die Justiz – oder das, was manche Ouattara-Anhänger darunter verstehen - genau davor hat nun das Gbagbo-Lager Angst. Denn die FRCI, das sind eben nicht nur Offiziere der Forces Nouvelles, der Rebellenarmee aus dem Norden – darunter sind auch Söldner aus Burkina Faso und Mali, viele schwer kontrollierbare Truppenteile. Manche beschlagnahmen Autos, errichten Straßensperren, bedrohen Gbagbo-treue Viertel und kritische Journalisten, spielen Polizei. Die Stimmung droht zu kippen, und Eugene Djué macht das große Sorgen. Der Studentenführer, Gbagbo-Zögling und Mitbegründer der gefürchteten Jungen Patrioten hat selbst Blut an den Händen. Er wurde mit UN-Sanktionen belegt, seine Konten sind eingefroren, ausreisen darf er nicht. Aber seit Ouattara Präsident ist, muss Djué sich in einer Kaserne der Feuerwehr verstecken – er hat Angst, gelyncht zu werden.
"Wir alle sind zu weit gegangen. Viel zu weit. Die Sieger mögen heute das Recht des Stärkeren durchsetzen wollen. Aber sie müssen wissen: Auch sie haben dazu beigetragen, dass die Elfenbeinküste heute am Boden liegt. Auch ich bin dafür mitverantwortlich, und ich bin weiß Gott nicht stolz darauf. Was geschehen ist, ist eine Schande für uns alle – wir haben alle mitgemacht bei der Zerstörung unseres Landes."
Damit spielt Djué auf die Massaker im Westen der Elfenbeinküste an, für die auch Ouattaras Truppen verantwortlich gemacht werden. Mehr als 800 Menschen sollen allein in Duékoué systematisch ermordet worden sein, weil sie zur Gbagbo-treuen Ethnie der Guéré gehörten. Und in Abidjan hätten die Ouattara-treuen Unsichtbaren Kommandos auch keine Gefangenen gemacht.
Alle Verbrechen müssten aufgeklärt werden, betont Djué. Ouattara müsse sich nun messen lassen an einem der wichtigsten Sätze seiner Antrittsrede: Die Zeit der Straflosigkeit sei vorbei, die Strafverfolgung werde auch vor Ouattaras eigenen Truppen nicht halt machen. Siegerjustiz, warnt Djué, führe geradewegs zurück in die Vergangenheit. Ouattara habe das verstanden – bei den Anhängern des neuen Präsidenten ist sich der ehemalige Gbagbo-Jünger da nicht so sicher.
"Man kann einen Krieg gewinnen, wenn man militärisch stärker ist. Aber danach beginnt der eigentliche Kampf um den Frieden. Es ist leicht, einfach alle umzubringen, die einem im Weg stehen. Aber mehr als 40 Prozent der Bevölkerung haben Gbagbo gewählt. Und die wollen auch Teil der neuen Elfenbeinküste sein. Wer das unterschlägt und sich als Sieger aufspielt – der riskiert, dass eines Tages alles wieder von vorne losgeht."
Manche ehemalige Kriegstreiber überraschen mit späten Einsichten. In der Elfenbeinküste seien die Menschen während der letzten zehn, zwanzig Jahre vom Satan besessen gewesen, so redet mittlerweile auch Paul Yao N’Dré, ein enger Freund Laurent Gbagbos und Chef des Verfassungsrats. Tatsächlich hat es seit dem Tod von Staatsgründer Houphouet-Boigny 1993 kein Politiker geschafft, das Land zu einen. Stattdessen versank die Elfenbeinküste immer tiefer im Morast von Staatsstreichen, Korruption, Bürgerkrieg, Lügen und ethnischem Hass – bis heute. Die Gesellschaft, so Patrick N’Gouan vom Netzwerk der Zivilgesellschaft in Abidjan, habe sich in ihre Einzelteile aufgelöst. Um so wichtiger sei nun die Kraft der Ivorer zur Versöhnung. "Plus Jamais Cela" – "Nie wieder" – das sei nicht umsonst das Motto der Versöhnungskommission, die Präsident Ouattara eingesetzt habe. Bedauerlicherweise nicht mit einem unabhängigen Kopf an der Spitze, sondern mit einem seiner engsten Vertrauten, dem ehemaligen Premier Charles Konan Banny.
"Wir haben in der Elfenbeinküste viel zu lange einfach nur Schwarz und Weiß gesehen, Gut gegen Böse. So einfach ist das aber nicht. Beide Seiten haben ihre Extremisten. Deswegen ist es so wichtig, darauf zu achten, wie sich diese Versöhnungskommission aufstellt. Wir hätten durchaus Mister X oder Mister Y finden können, Persönlichkeiten, die von beiden Lagern akzeptiert werden. Aber von vornherein die Leitung dieser so dermaßen wichtigen Kommission dem Postengeschacher zu opfern, war falsch. Gbagbo hat das auch schon versucht, und es ist schiefgegangen."
In Abobo hat Yusuf Konaté gerade seine Nachbarn besucht, die Eltern der erschossenen Syllah. Dioe Tränen laufen ihm übers Gesicht. Syllah ist immer noch nicht begraben - die Leiche wird nicht freigegeben, sagt er, die Justiz wolle sie als Beweis möglicher Kriegsverbrechen durch Gbagbos Leute behalten. Konaté schüttelt fassungslos den Kopf. Er ist auf dem Weg zur Moschee, will für die vielen Toten beten, und für Präsident Ouattara.
"Alle sind völlig traumatisiert. Die Kinder, die Eltern, alle. Man kann nicht mehr schlafen, nicht mehr essen, es gibt keine Liebe mehr zwischen den Menschen. Wir sind am Ende. Wir brauchen Frieden. Ich hoffe, dass es dazu kommt. Wir dürfen nicht aufgeben oder den bösen Gedanken freien Lauf lassen, auch wenn das Gefühl der Rache stark ist. Gott gibt mir Kraft, und deswegen glaube ich an die Zukunft."
Vielleicht sind sie es, die in diesen Zeiten der tiefen Verunsicherung am meisten Hoffnung auf Versöhnung verbreiten: Die Kinder, die nebenan im Krankenhaus "Abobo Sud" zur Welt kommen. Da, wo die 24-jährige Syllah im März gestorben ist. Ursprünglich auf gerade mal 12 Betten ausgelegt, platzt diese heruntergekommene Klinik heute mit über 130 Betten aus allen Nähten – monatelang war es das einzige noch funktionierende Spital in der ganzen Stadt. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen tut alles, um die Patienten zu versorgen – überall liegen Menschen mit Schussverletzungen, Malaria – oder schwangere Frauen. Patience ist sehr stolz, dass sie wieder Hebamme sein darf. Während der Kämpfe um den Präsidentenpalast hatte auch sie sich wochenlang in ihrem Haus verstecken müssen. Jetzt hilft sie wieder kleinen Ivorern ins Leben.
"Ich bin froh, dass ich hier wieder arbeiten kann. Während der Krise stand ja alles still. Die Geschäfte waren geschlossen, die Leute hatten kein Geld mehr. Es ist wunderbar, dass die Frauen jetzt hierher kommen können, dass sie hier in einer sauberen Umgebung gebären können, und dass das nichts kostet. Wir sorgen für die Kleinen, damit sie leben und eine bessere Zukunft haben, damit sie eines Tages für uns da sein können, wenn wir alt sind..... oh, ich glaube, da ist es soweit, ich muss da hinten mal einer Frau helfen, das Kind kommt."
ADO-Kinder – so nennt Patience die Neugeborenen. Sie gehören zur nächsten Generation, die eines Tages vielleicht die tiefe Spaltung des Landes überwinden kann. Den blutigen Kampf um die Macht an der Elfenbeinküste haben die Babys im Bauch ihrer Mütter überlebt. Jetzt müssen auch sie auf den neuen Präsidenten vertrauen: ADO. Alassane Dramane Ouattara. Den Mann mit den "Solutions" – den Lösungen für sein geschundenes Land.