Die Blackbox der spanischen Demokratie
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Seit über 40 Jahren liegt Spaniens Diktator Franco in einem monumentalen Mausoleum begraben - für viele Opfer seiner Diktatur unerträglich. Doch das oberste Gericht hat jetzt die Umbettung auf einen normalen Friedhof vertagt.
Zornig erregte Menschen unterschiedlichen Alters haben sich in den Bergen nördlich von Madrid versammelt. Sie skandieren den Namen des Diktators und heben die Hand zum faschistischen Gruß.
Seitdem das spanische Parlaments im Mai 2017 die Exhumierung Francos forderte, wurde Spaniens extreme Rechte nervös. Das steigerte sich noch, als der sozialistische Regierungschef Pedro Sanchez im vergangenen Sommer die baldige Umbettung ankündigte.
Hier im "Valle de los caidos", dem "Tal der Gefallenen", wurde Francisco Franco am 23. November 1975 nach fast vierzigjähriger Herrschaft zu Grabe getragen. Mit dem weltweit größten freistehenden Kreuz und der katholischen Basilika ist der Gebäudekomplex das größte Denkmal, das der Diktator für sein Regime errichten ließ. Neben ihm und dem Gründer der faschistischen Falange José Antonio Primo de Rivera ruhen in der Basilika auch die die Überreste von 30.000 Bürgerkriegstoten, Unterstützer Francos ebenso wie Anhänger der Republik. Das faschistische Regime inszenierte das erzwungene Nebeneinander 1959 als "Geste nationaler Versöhnung".
Gegen die Umbettung des Diktators ist die rechtsradikale Partei VOX. Seit den Wahlen vom 28. Februar ist sie mit mehr als 10 Prozent im Parlament vertreten. Gegen die Umbettung ist auch die Volkspartei, der Partido Popular. Denn, so der Tenor der Konservativen, es sollten "keine alten Wunden wieder aufgerissen werden".
Ein reinigender Akt für die spanische Demokratie
Für viele andere ist die Exhumierung Francos hingegen ein wichtiger symbolischer Akt für die spanische Demokratie. Etwa für Baltasar Garzón, der vor elf Jahren vom obersten Gerichtshof aus versuchte, die Verbrechen der Diktatur zur Anklage zu bringen und von seinem Richteramt suspendiert wurde:
"Es scheint so, als wäre das eine titanische Aufgabe. Dabei wird eine Maßnahme, die in jeder anderen Demokratie völlig normal wäre, hier zu etwas Außergewöhnlichen stilisiert, als wäre es nach so vielen Jahren etwas Übertriebendes oder besonders Exaltiertes", sagt Garzón. "Die Opfer sehen das anders. Ihnen kommt es ungewöhnlich vor, dass der Täter hier zwischen seinen Opfern liegt. Die wurden aus ihren Gräbern geholt, für eine staatlich verordnete Versöhnung, wie sie Diktaturen gerne inszenieren."
Der Umgang mit den Opfern der Diktatur war von Anfang an ein neuralgischer Punkt der spanischen Demokratie. Denn im Gegensatz zum Nachbarland Portugal, das die Diktatur mit der so genannten "Nelkenrevolution" beendete, steuerten in Spanien die Eliten der Diktatur den Übergang in die Demokratie und bestanden auf einem Pakt des Schweigens. Die "Transición" war eine schwierige Gratwanderung, immer gefährdet.
"Pakt des Schweigens" statt Aufarbeitung
1981 scheiterte ein Putsch von Zivilgardisten und Militärs gegen die junge Demokratie. Aber das alte Regime blieb im spanischen Alltag noch jahrzehntelang präsent: So kursierten die Münzen mit dem Konterfei des Diktators und dem Spruch, dass Franco mit Gottes Gnade ein großes freies Spanien geschaffen haben, noch bis 2002, als der Euro die spanische Peseta ersetzte.
In dem Land, das in den späten 1970er-Jahren nach fast vierzig Jahren Diktatur endlich einen kulturellen Frühling, freie Wahlen und ab 1982 sogar eine sozialdemokratische Regierung erlebte, blieb die Vergangenheitsbewältigung ein Tabu, sagt der Berliner Hispanist Dieter Ingenschay:
"Die Transición hatte ja zuerst, nicht nur bei den deutschen Historikern und Hispanisten, ein recht positives Echo gefunden, wir waren alle begeistert davon, wie europäisch und wie weltoffen, wie pornografisch und alles mögliche die Literatur und die Kultur waren, und dann haben wir eben gemerkt, dass der Pakt des Schweigens und alles, was damit einherging, eben doch sehr wenig Raum ließen für das, was wir mit dem schönen deutschen Terminus der Vergangenheitsbewältigung so treffend bezeichnen. Und das haben die Spanier natürlich auch gemerkt, zunehmend, und haben sich aber dabei zunehmend polarisiert."
Erst sehr spät, im Jahr 2000, hatten Bürgerinitiativen, meist Angehörige, mit der systematischen Suche nach den Opfern der Diktatur begonnen. Die Toten in den Massengräbern, die ohne staatliche Hilfe gefunden und identifiziert wurden, verschärften die öffentliche Diskussion über den Umgang mit der Vergangenheit, bis sich auch auf juristischer Ebene etwas bewegte: Das "Ley de Memoria Histórica", das Gesetz des historischen Andenkens aus dem Jahre 2007, regelt die Identifizierung der Opfer in den Massengräbern und die Rücknahme faschistischer Symbole im öffentlichen Raum. Auf dieser gesetzlichen Grundlage steht auch die geplante Umbettung Francos. Noch bis heute gibt es zahlreiche weltliche und kirchliche Gedenkstätten, Straßen- und Ortsnamen, die die Diktatur verherrlichen, wenn auch immer weniger:
"Man hat das eigentlich nicht für möglich gehalten, dass tatsächlich diese Verabschiedung von einem historischen Element, wenn es noch so belastet ist, in der Konsequenz durchgeführt werden kann", sagt Ingenschay. "Weil ja eben große Teile der Bevölkerung, die Franco-Stiftung, die katholische Kirche immer noch sehr stark an diesen vermeintlich positiven Errungenschaften der Franco-Diktatur festgehalten haben, indem sie weiter von der 'cruzada', vom 'Kreuzzug' statt von dem Krieg gesprochen haben und so weiter. Also, das hat einen sehr großen symbolischen Wert, selbst unter Historikern."
140.000 Regimegegner wurden getötet
Nicht abgedeckt durch das Gesetz ist allerdings die juristische Dimension der Vergangenheit. Ein 1977 beschlossenes Amnestiegesetz macht bis heute die strafrechtliche Verfolgung der Verbrechen der Diktatur unmöglich. Für den Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck wäre ein solches Gesetz nach den gegenwärtigen internationalen Menschenrechtskonventionen unmöglich:
"Man muss halt klar sagen, nach heutigen Maßstäben ist vieles von dem, was in der Franco-Periode passiert ist, als Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafrechtlich zu bewerten", betont er. "Das muss man sich schon mal auf der Zunge zergehen lassen: Während immer noch Leute das euphemistisch mit, ja, 'Franquistische Periode' oder Reaktion auf Kommunismus oder wie auch immer versuchen zu beschönigen, handelt es sich nach heutigen Kriterien um eines der schlimmsten Verbrechen, die die Menschheit kennt. Und nicht umsonst wird dieses Verbrechen daher als ein solches bezeichnet, dass sich gegen die Menschheit als Ganzes richtet."
In den fast vierzig Jahren Franco-Herrschaft über Spanien töteten dessen Schergen nach Schätzungen von Historikern 140.000 Regimegegner und verscharrten sie in Massengräbern. 185 Konzentrationslager wurden errichtet, und bis in die letzten Jahre folterten und ermordeten sie Gegner der Diktatur.
"Wenn Verbrechen einer bestimmten Dimension begangen werden, hat erstens der Staat die Pflicht, das anständig aufzuklären, unabhängig vom Strafrecht", sagt Wolfgang Kaleck. "Und zweitens: Die Einzelnen, die Betroffenen, haben das Recht auf Wahrheit. Und genau das, diese beiden Regeln werden im Falle von Spanien konstant gebrochen, sowohl das Recht der Betroffenen wird nicht geachtet, als auch der Staat missachtet permanent seine eigene Verpflichtung das aufzuklären."
Exhumierung Francos "absolut notwendig"
Die Umbettung Francos soll das bisher deutlichste Zeichen gegen die Präsenz der Diktatur im öffentlichen Leben sein. Fast 45 Jahre nach ihrem Ende. Das Ausmaß ihrer verbrecherischen Gewalt ist bis heute noch nicht völlig geklärt. Ein Beispiel ist der in die Zehntausende gehende Raub von Neugeborenen, die in regimetreue Familien gegeben wurden. Soledad Luque Delgado ist Präsidentin der Opfervereinigung "Todos los niños robados son también mis niños" (Alle geraubten Kinder sind auch meine Kinder):
"Alles was hilft, die Geschichte aufzuklären, die Wahrheit zu sagen und für Gerechtigkeit zu sorgen, ist für uns, die Opfer des Franquismus, eine Art Wiedergutmachung. Daher ist die Exhumierung Francos, die Änderung von Straßennamen und die Beseitigung franquistischer Symbole absolut notwendig, weil wir in einer Demokratie und in einem Rechtsstaat leben. Da darf es keine faschistischen Symbole mehr geben."