"Wohlfahrt für alle"

Von Stefan Schmid |
Vor 50 Jahren, am 4. Februar 1957, genau zum 60. Geburtstag des Autors, erscheint ein Buch, von dem in wenigen Monaten über 40.000 Exemplare verkauft werden. Es ist kein Roman, kein Thriller, sondern ein Sachbuch zu einer nicht eben als spannend bekannten Materie. Ludwig Erhard formuliert in "Wohlfahrt für alle" seine wirtschaftspolitischen Leitsätze und skizziert die Grundzüge der sozialen Marktwirtschaft.
"Wir treten damit sozusagen in eine neue Phase der sozialen Marktwirtschaft ein, in der Wohlstand dem Einzelnen mehr als nur Befreiung von materieller Not und sozialer Sicherheit bringen, sondern ein neues Lebensgefühl wecken soll. Zu der materiellen Befreiung soll sich die geistige und seelische Befreiung des Menschen gesellen."

Originalton 1957, Ludwig Erhard, Bundeswirtschaftsminister.

Markus: "Wir erleben einen großen Zulauf bei den Mittagstischen und bei den Kleiderkammern. Die Zahl der Tafeln in der Bundesrepublik hat sich im letzten Jahr von 350 auf 580 erhöht."

Originalton 2006, Hans Jürgen Markus, Sprecherin der deutschen Armutskonferenz.

Fast 50 Jahre liegen zwischen diesen beiden Statements. Fünf Jahrzehnte, in denen die westdeutsche Volkswirtschaft unterm Strich gewaltig gewachsen ist. Für Ostdeutschland ist ja kein fairer Vergleich möglich, weil es dort keine Marktwirtschaft gab. "Wohlstand für Alle" war das Buch überschrieben, in dem Erhard am 4. Februar des Jahres 1957 seine wirtschaftspolitischen Ideen wortgewaltig ausbreitete, – hier ist eine Kostprobe:

"Wohlstand für alle und Wohlstand durch Wettbewerb gehören untrennbar zusammen: das erste Postulat kennzeichnet das Ziel, das zweite den Weg, der zu diesem Ziel führt… Auf dem Wege über den Wettbewerb wird eine Sozialisierung des Fortschritts und des Gewinns bewirkt und dazu noch das persönliche Leistungsstreben wach gehalten. Immanenter Bestandteil der Überzeugung, auf solche Art den Wohlstand am Besten mehren zu können, ist das Verlangen, allen arbeitenden Menschen nach Maßgabe der fortschreitenden Produktivität auch ständig wachsenden Lohn zukommen zu lassen."

1957 war Deutschland ein armes Land. Ein Ehepaar mit zwei Kleinkindern musste damals in München so zurechtkommen:

Toni: "Ich war bei einer Bank beschäftigt, im normalen Dienst, und da hab ich brutto 420 verdient, also ich glaube, dass ich im Schnitt lag von normal arbeitenden Menschen."

Steffi: "Die Wohnung hatte 45 Quadratmeter cirka, und es war ein kleiner Flur, von dem aus es in die winzig kleine Küche ging, mit einem Kohleherd und einer Gasflamme, und ein Bad, aber auch im Bad musste man das Badewasser mit Kohle und mit Holz heizen."

Solche Lebensumstände waren nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Martin Werding, Leiter der Abteilung Sozialpolitik und Arbeitsmarkt am Münchner Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung:
Werding: "Damals gab es noch Hunger, Wohnraummangel, wir waren ein Niedriglohnland, eine Tatsache, die wir nachher im Wirtschaftswunder ganz erfolgreich ausgespielt haben, und wir haben in den Jahren darauf wirklich aufgeschlossen in den ersten Kreis der Industrienationen, das ist ein bemerkenswerter Zuwachs an Wohlstand."

1957 erarbeiteten die Einwohner Westdeutschlands inflationsbereinigt ein Bruttoinlandsprodukt von knapp 400 Milliarden Euro.1991, kurz nach dem Fall der Mauer waren es fast vier mal so viele Milliarden, nämlich 1555. Nach der Wiedervereinigung wuchs der Kuchen weiter, ein genauer Vergleich bis 2007 ist aber nicht möglich, weil die Statistik dazu keine brauchbaren Zahlen bietet.

Sicher ist aber: Deutschland ist ein reiches Land. Professor Gert Wagner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin:

Wagner: "Wenn man international vergleicht und das Pro-Kopf-Einkommen sich anschaut, dann liegt Deutschland in der Spitzengruppe, ohne jede Frage. Das kann man auch leicht erkennen, wenn Sie ins Ausland reisen, wie die Infrastruktur dort aussieht, wie die Häuser dort aussehen, dann stellen sie fest, Deutschland gehört nach wie vor zu den ganz, ganz reichen Ländern auf dieser Welt, auch wenn sie in die USA gehen, wo statistisch gesehen das Pro-Kopf-Einkommen höher ist als in Deutschland, werden sie den Eindruck gewinnen, dass der materielle Wohlstand hier in Deutschland eigentlich solider ist als in einem Land wie den USA, von Großbritannien ganz zu schweigen."

Grob skizziert lassen sich seit 1957 zwei Phasen des Wohlstandswachstums in Westdeutschland unterscheiden:

In der ersten Phase, die bis in die Mitte der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts reichte, wuchs der Wohlstand sehr schnell. Gleichzeitig nahm auch der Wohlstand für alle spürbar zu. Professor Werner Abelshauser, Wirtschaftshistoriker an der Universität Bielefeld:

Abelshauser: "Am fühlbarsten war der steigende Wohlstand am Besitz von Konsumgütern, also Radio, Fernsehen, Kühlschränke, Autos und so weiter, und da konnte man spürbar merken, dass es besser wurde. Das hat auch das Lebensgefühl der Menschen im Wirtschaftswunder geprägt."

Toni: "Allerdings muss man dazusagen: Es ist jedes Jahr Gehaltssteigerung gewesen, es ging damals einfach aufwärts, und man hat normale Tarifsteigerungen gehabt, aber man ist dann mit der Zeit auch aufgestiegen, also das lief dann immer besser."

In der zweiten Phase wuchs der Wohlstand langsamer. Und der Wohlstand nahm, besonders in den letzten Jahren auch in Westdeutschland nicht mehr für alle spürbar zu. Hans Barbier, Präsident der Ludwig- Erhard-Stiftung in Bonn:

Barbier: "Es ist ganz offensichtlich so, dass wir es schwer haben, aus einer Reihe von Gründen, unser Wohlstandsniveau für alle zu halten, und das ist nicht nur eine optische Täuschung, das ist nicht nur eine Frage des Anspruchsniveaus, sondern es steht zu befürchten, dass ganze Schichten, ganze Gruppen, den Anschluss an eine weitere Wohlstandsentwicklung versäumen könnten."

So ergab eine Umfrage unter Europas Einwohnern zum subjektiven Wohlbefinden jüngst, dass die Deutschen unter allen Europäern die größten Pessimisten sind. Nur 24 Prozent glauben, dass es Ihnen in fünf Jahren besser gehen wird.

Obwohl der Wohlstand viel größer ist als 1957, schaut man skeptisch in die Zukunft. Zu Erhards Zeiten galt das Gegenteil: Die Lage war schlecht, aber die Stimmung war gut. Weil es aufwärts ging. Politiker wie Erhard, die bessere Zeiten versprachen, wurden damals von der Wirklichkeit nicht Lügen gestraft, sondern übertroffen.

Erhard: "Fünf Jahre lang habe ich mich der Missdeutung und Verdächtigung ausgesetzt, mit dieser meiner Wirtschaftspolitik die Unternehmer begünstigen, die Reichen reicher, und die Armen ärmer machen zu wollen. Obwohl ich immer und immer wieder darauf verwiesen habe, dass ich damit umgekehrt dem deutschen Unternehmer ein Höchstmaß von Leistung zu Gunsten von 50 Millionen deutscher Verbraucher abverlange. Hat man mir etwa nicht geglaubt, dass diese Aussage ehrlich gemeint war? Man wird ja auch zugeben müssen, dass ich in der harten Auseinandersetzung dieser Jahre nicht um die Gunst der Masse gebuhlt, sondern meinen Kurs gehalten habe. Und niemand kann es mir darum auch verdenken, wenn ich Befriedigung darüber empfinde, dass diese Treue zur Idee in der Resonanz des deutschen Volkes heute Anerkennung findet."

Ludwig Erhard wird oft als Vater jenes "Wirtschaftswunders" angesehen - das der deutschen Wirtschaft über mehrere Jahre hinweg im Durchschnitt sagenhafte Wachstumsraten von acht Prozent pro Jahr bescherte.

Erhard gab zwar wichtige Anstöße für wachstumsfördernden Wettbewerb. Doch das so genannte "Wirtschaftswunder" ist vor allem auf die günstigen Startbedingungen nach 1950 zurückzuführen. Professor Werner Abelshauser:

Abelshauser: "Es gab in den Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg besondere Wachstumsbedingungen, höhere Wachstumsraten waren möglich, einfach deswegen weil sehr viel Kapital den Krieg überdauert hat, es noch viel mehr qualifizierte Arbeitskräfte gab, und von daher die Wirtschaft der Bundesrepublik zurückkommen konnte auf ihren alten Wachstumspfad. Und während dieser Zeit, die bis Anfang der 60er Jahre reichte, stiegen die Reallöhne beachtlich."

Und damit auch Erhards Popularität – er brachte es sogar zum Bundeskanzler. Weil der deutsche Arbeitsmarkt bald leergefegt war, folgten zahlreiche Ausländer dem Lockruf des Geldes nach Deutschland. Professor Gert Wagner:

Wagner: "Das wichtigste ist ganz simpel Wirtschaftswachstum, was den Wohlstand steigen lässt, das haben wir dann in den 60er Jahren noch mal kräftig durch das Hereinholen von Gastarbeitern angeheizt, die große Gruppe von ungelernten Menschen, die wir damals geholt haben, ist heute zumindest eine Bremse für die Wohlstandsentwicklung, denn viele der damals geholten Menschen waren ungelernte Arbeiter, und das deutsche Schulsystem hat es nicht geschafft, die Kinder dieser Arbeiter besser auszubilden, so dass auch viele von diesen wieder ungelernt, und damit arbeitslos sind."

Auch Versäumnisse von gestern trüben also die Wohlstandsbilanz von heute. Im Wirtschaftswunder sorgten die ausländischen Zuwanderer noch für Glanz in der Wohlstandsbilanz – und die Deutschen konnten sich immer mehr Luxus leisten – etwa ein gutes Radiogerät:

Werbung: "Am Wohlsklang kennt man Schaub. Hallo gnädige Frau, gestern sind sie an mir vorübergegangen, Ihre schönen Augen haben mich gestreift, seitdem stehe ich und warte ich auf Sie. Ich bin der Rundfunkempfänger Schaub-Kongress. Ich bin noch zu haben, gnädige Frau. Für 235 Mark gehöre ich Ihnen mit meinem ganzen Wohlklang. Als Schaub-Kongress stehe ich im Schaufenster des Radiogeschäftes an Ihrer Ecke. Ich sehne mich danach, gnädige Frau, Ihr Gehör zu finden. Kommen Sie, hören sie mich an. Und Sie wissen ja: Am Wohlklang kennt man Schaub."

Mit dem wachsenden Wohlstand wuchsen auch die Ansprüche an den Staat. Die Regierung verteilte immer mehr Geschenke, auch unter Ludwig Erhard, obwohl der lautstark zum Maßhalten aufrief:

Erhard: "So Erstaunliches das deutsche Volk mit letzter Hingabe geleistet hat, droht ihm mit zunehmendem Wohlstand und sozialer Sicherheit immer wieder das Gefühl für die rechten Maße, für Besinnung und Verantwortung verloren zu gehen. Es scheint nur allzu leicht geneigt, der seichten Verführung der Gruppen zu erliegen, deren Funktionäre um des Nachweises ihrer eigenen Existenzberechtigung willen den Wahn der Unzufriedenheit und des Unbehagens nähren. Sie stören durch eine ständige Überforderung der Volkswirtschaft nicht nur deren inneres sinnvolles Gefüge, sondern sie gefährden ihre Leistungskraft selbst."

Solche Parolen waren bald nicht mehr gefragt. 1966 musste Erhard Platz machen für eine Große Koalition von CDU/CSU und SPD. Und für eine neue Art der Wirtschaftspolitik, die dem Staat eine aktivere Rolle zuwies. Wirtschaftsminister Karl Schiller:
Schiller: "Das Ziel der Wirtschaftspolitik für 1967 heißt: Aufschwung nach Maß. Nach dem Maß des Möglichen unserer Wirtschaft. Der neue Aufschwung, den wir einleiten wollen, muss unter der Kontrolle der Wirtschaftspolitik bleiben, aber er darf auch nicht durch übergroße Vorsicht verhindert werden."

Die Regierung sollte nun die Menschen vor Konjunktureinbrüchen schützen, mit kreditfinanzierten Staatsausgaben:

Ein theoretisch schlüssiges Konzept, das im politischen Alltag aber nicht funktionierte. Sondern den Staat in den Schuldturm führte – weil er überfordert war. Besonders, als 1973 nach dem arabischen Ölboykott der extrem billige Treibstoff Öl plötzlich teuer wurde. Danach erlebte das Land die erste große Wirtschaftsflaute, die den deutschen Wohlstandsexpress abrupt bremste. Dazu kam noch ein tief greifender Wandel in der Arbeitswelt. Professor Werner Abelshauser:

Abelshauser: "Bis in die 70er Jahre expandierte die Fließbandproduktion, die standardisierte Massenproduktion in Deutschland, und das ermöglichte die Beschäftigung niedrig qualifizierter Arbeitskräfte. Seit Anfang, Mitte der 70er Jahre ist dieser Sektor notleidend geworden, so dass seitdem wir ein Problem haben, niedrig qualifizierte Arbeitskräfte zu beschäftigen, von daher der wachsende Sockel der Massenarbeitslosigkeit, das ist sicher der gravierendste Einbruch gewesen."

1975 stieg die Arbeitslosenquote auf fünf Prozent, 1985 waren neun Prozent der Erwerbsfähigen ohne Arbeit. Gleichzeitig schnellte der Anteil der Sozialleistungen am Sozialprodukt, die so genannte "Sozialleistungsquote", um fünf Prozentpunkte nach oben, auf mehr als 30 Prozent. Erst ab 1985 erholte sich die Wirtschaft wieder, Arbeitslosen- und Sozialquote fielen etwas.

Doch dann fiel auch die Mauer:

Kohl: "Es wird niemandem schlechter gehen als zuvor, dafür vielen besser. Nur die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion bietet die Chance, ja die Gewähr dafür, dass sich die Lebensbedingungen rasch und durchgreifend bessern."

Was der Kanzler Helmut Kohl verschwieg: Mit der Wiedervereinigung kam ein Kostenschub, der den westdeutschen Wohlstandsexpress erneut bremste. Professor Gert Wagner:

Wagner: "Wenn es die Wiedervereinigung nicht gegeben hätte, wäre unser Wohlstandsniveau in Westdeutschland wahrscheinlich ein bisschen höher, allerdings nicht viel höher, denn man muss ja sehen: Ostdeutschland ist gewissermaßen ein kleines Land, es macht ja nur ein Fünftel der Gesamtbevölkerung aus, und die Transfers, die in Ostdeutschland viel wert sind, weil sie auf eine kleine Bevölkerung treffen, machen in Westdeutschland ja nur wenige Prozent des Einkommens aus."

Der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser schätzt den Wohlstandsverlust für die Westdeutschen etwas größer ein. Er verweist auf die versteckten Geldströme, die aus den Sozialkassen nach Ostdeutschland flossen und immer noch fließen:

Abelshauser: "Die Wiedervereinigung hat eine bis heute andauernde Belastung des Sozialproduktes ergeben, in einer Größenordnung, die bei zehn Prozent liegt, das ist doch eine außerordentlich große Belastung, allerdings nicht zu Lasten der realen Löhne, sie ist vor allem zu Lasten der Kassen, der Beitragszahler gegangen in der Krankenversorgung, in der Rentenversicherung, die mussten die große finanzielle Last der Wiedervereinigung zunächst tragen."

Zu Erhards Zeiten der Vollbeschäftigung waren die Sozialabgaben noch viel geringer.

Toni: "Im dritten Berufsjahr war das, da habe ich brutto 420 verdient, was ungefähr netto 340 ergeben hat, in dieser Zeit."

Damit durfte dieser Familienvater ungefähr 80 Prozent seines Bruttoeinkommens behalten, 20 Prozent flossen teils an den Fiskus, teils in die Sozialkassen. Heute summieren sich die Beitragssätze zu den Sozialversicherungen auf 40 Prozent des Bruttoeinkommens, dazu kommt noch die Steuerlast.

All das macht sozialversicherungspflichtige Arbeit zu teuer. Deswegen können die Unternehmen nicht mehr genügend dieser Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Hans Barbier, Präsident der Ludwig-Erhard-Stiftung:
Barbier: "Ein ganz schwerwiegender Fehler ist es gewesen, die Vorsorgeaufwendungen eines ganzen Landes als Kostenfaktor an die Löhne zu binden. Denn dadurch entsteht der merkwürdige Effekt, dass auf der einen Seite viele Arbeitnehmer den Eindruck haben, dass ein ganzer Monat Arbeit eigentlich mit dem Nettolohn, den man Ihnen dann überweist, eigentlich nicht gut abgegolten sei, auf der anderen Seite besteht aber in den Unternehmungen der Eindruck, dass der Nettolohn plus Steuern plus diese so genannten Lohnnebenkosten sich zu einem Bündel addieren, das auf dem Markt nicht als Preis reinzuholen ist. Und dann werden eben viele Menschen zunächst einmal brotlos. Und die Lage bessert sich für diese Menschen auch nicht, weil, wenn sie sich wo anders bewerben, kommen sie mit dem gleichen Kostenrucksack an, der schon ihren bisherigen Arbeitsplatz gekostet hat. Insofern wäre es dringend an der Zeit, diese Sicherungselemente, die für sich wichtig sind, in eine Form zu bringen, die es den Menschen möglich macht, Arbeit zu finden."

Werbung Spritz und Persil: "Spritzfeines Kick. Schon die Flasche, so praktisch. Vor Gebrauch kräftig schütteln. Deckel auf, Spritzen, Deckel wieder zu. Es gibt Persil und Persil D beide sind gleich geht, nur Persil D ist anders zusammengesetzt – für hartes Wasser zum Beispiel, ganz großartig."

Steffi: "Wir hatten auch keine Waschmaschine, wir haben die erste Zeit Windeln im Topf auf dem Herd ausgekocht, wir haben auch keine Papierwindeln gekauft, weil das zu teuer war. Wir hatten am Anfang noch keinen Kühlschrank, da war ja schon der erste Sohn da, dann hat die Schwiegermutter mitgeholfen, dass wir uns einen Kühlschrank kaufen konnten, damit wir die Milch kühlen konnten."

Abelshauser: "Damals waren noch längst nicht alle Haushalte mit Kühlschränken oder Waschmaschinen ausgestattet, heute sind es 100 Prozent aller Haushalte, viele davon sogar doppelt damit versehen, also hier liegt eigentlich der fühlbare Wohlstandseffekt."

Dem aber der "Gewöhnungseffekt" entgegenwirkt. Was alle haben, ist selbstverständlich – und zählt damit nicht mehr zum gefühlten Wohlstand. Das gilt auch fürs Geld: Steigen alle Einkommen, so nimmt man den eigenen Fortschritt kaum mehr war.

Selbstverständlich geworden - und damit kaum fühlbar - ist auch das Wohlstandspolster mit Ansprüchen auf Altersvorsorge, auf dem viele Deutsche mittlerweile thronen. Professor Werner Abelshauser.
Abelshauser: "Und dieses Vermögen ist vom Bundesverfassungsgericht den Anspruchstellern zugesichert worden, so dass sie einen Anspruch darauf haben, und das macht sehr viel mehr aus als das Geldvermögen, das die Menschen besitzen, die Rentenansprüche."

Auch wenn die Rentenpolster wieder dünner werden: Sie sind immer noch deutlich komfortabler als zu Erhards Zeiten. Und vielen Menschen in Westdeutschland winken nach 50 wachstumsreichen Wirtschaftsjahren ohne Krieg zusätzlich ansehnliche Erbschaften:

Abelshauser: "Bis 1961 gab es diese allgemeine Absicherung nicht, man war angewiesen auf die Familie, man war angewiesen auf die Kommune, man war angewiesen auf andere Netzwerke und auf die traditionelle Bismarck’sche Sozialversicherung, es gab Altersarmut, die Durchschnittsrente lag bei 50 Mark, und deswegen kam dann die Rentenreform 1957, gegen die Erhard sich so vehement gewehrt hat."

Fünf Jahrzehnte später ist extreme Altersarmut Geschichte. Viele aus der "Generation Wirtschaftswunder" leben tatsächlich im Wohlstand:

Steffi: "Heute geht’s mir gut, heute bin ich zufrieden, ich kann meine Interessen wahrnehmen, mir geht’s gut."
Und wer nicht im Wohlstand lebt, fällt nicht ins Bodenlose, sondern ins soziale Netz. Das viel höher aufgespannt und dichter geknüpft ist. Martin Werding:

Werding: "Wir haben als unterstes Auffangnetz die Sozialhilfe beziehungsweise für erwerbsfähige Personen das Arbeitslosengeld II, wo das gesichert werden soll, was wir das soziokulturelle Existenzminimum nennen. Dann kriegt man angemessenen Wohnraum bezahlt, auch die Warmmiete."

In der Stadt München bekommt eine vierköpfige Familie zum Beispiel 1063 Euro bar ausbezahlt, außerdem übernimmt die Stadt 720 Euro an Miete und Nebenkosten für 65 bis 90 Quadratmeter Wohnfläche.

Dazu kommen noch einige Vergünstigungen:

Arme Familien müssen meist weder Kindergartengebühren noch Büchergeld bezahlen. Auch Rundfunk und Fernsehen können sie zum Nulltarif empfangen. Öffentliche Bibliotheken bieten kostenlos Bücher, Zeitschriften, Zeitungen, viele haben auch kostenlose Zugänge zum Internet im Angebot. Darüber hinaus bieten Wohlfahrtsverbände und Kirchen kostenloses Essen, günstige Kleidung und andere Hilfen für Menschen mit leerem Geldbeutel.

So gesehen steht eine arme Familie im Jahr 2007 wahrscheinlich besser da als eine Durchschnittsfamilie im Jahr 1957:

Toni: "Zum Einkaufen sind wir gar nicht gegangen, ich schon, ich musste ja in dem Beruf immer Anzug und Krawatte tragen, also musste man da ein, zwei Anzüge im Jahr kaufen, die musste man natürlich auch wegsparen. Gut, ich glaub, wir haben damals immer noch Weihnachtsgeld oder so eine Zusatzzahlung gehabt, vielleicht in Höhe von einem Gehalt, da hat man dann solche Sachen gemacht. Sonst, für die Kinder, hat meine Frau alles selbst genäht und zusammengebastelt."

Steffi: "Ein Klavier wollte ich haben, aber das war natürlich zehn Mal nicht drin. Das wäre schon für mich Wohlstand gewesen. Ich hab sehr viel selber gemacht, ich hab den Kindern Strümpfe gestrickt, ich hab dem jüngeren Sohn den Kommunionsanzug aus einem Mantel meines Vaters genäht."

Natürlich sind solche Rückblenden nicht fair. Denn Wohlstand ist relativ, und damit gebunden an die jeweilige Zeit und den durchschnittlichen Lebensstandard. Und der ist deutlich höher nach 50 Jahren, in denen die Wirtschaft zumeist gewachsen ist. Zu Erhards Zeiten waren Restaurantbesuche und Auslandsreisen dagegen noch elitäre Vergnügungen:

Steffi: "Nein, das war nicht üblich, aber man hatte nicht so das Verlangen danach. Das war nicht ‚in’, da hat man auch nicht diese Gedanken gehabt. Urlaub nein, war auch nicht so ‚in’, wir sind mal nach Straubing gefahren, zum Badeurlaub, im Schwimmbad gegenüber, die Schwiegermama hat uns verwöhnt, das war der erste Urlaub."

Der erste Euro kauft dir ein Stück vom Glück, jeder weitere Euro kauft dir ein Stück weniger!

Lehrt die so genannte Wohlfahrtsökonomie, die Wissenschaft vom Wohlstand aller. Steigende Einkommen in einer Volkswirtschaft sagen also nichts aus über die Zufriedenheit der Menschen. Im Gegenteil:

Wenn Menschen im Aufschwung hinter anderen zurückbleiben, fühlen Sie sich sogar ärmer. Aus diesem Blickwinkel ist die gefühlte Armut zuletzt größer geworden in Deutschland. Gert Wagner:

Wagner: "Die Einkommensungleichheit hat in den letzten Jahren zugenommen, das hat aus meiner Sicht zwei Gründe: Zum einen die deutsche Wiedervereinigung. Dadurch dass Ostdeutschland dazukam, mit dort niedrigeren Einkommen, hat das dazu geführt, dass die Gesamtverteilung ungleicher wurde. Und wir haben es nicht geschafft, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren, im Gegenteil, wir haben noch eine höhere Arbeitslosigkeit in den 90er Jahren aufgebaut, und dadurch ist die Einkommensungleichheit auch wieder angestiegen."

Auch das so genannte "Armutsrisiko" hat zugenommen. Das Statistische Bundesamt meldete jüngst, dass über zehn Millionen Deutsche von Armut bedroht sind, 13 Prozent der Bevölkerung.

Menschen gelten statistisch gesehen als armutsgefährdet, wenn sie mit weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens auskommen müssen. Das wären momentan 856 Euro. Eine Familie mit zwei Kindern ist statistisch von Armut bedroht, wenn das Nettoeinkommen unter 1800 Euro fällt.

Das statistische Armutsrisiko bei 60 Prozent des Mittelwertes anzusiedeln, ist freilich eine Konvention über die man streiten kann. Hans Barbier, Präsident der Ludwig Erhard-Stiftung:

Barbier: "Alle solche Zahlen sind einmal sehr willkürlich, man muss auch sehen, dass solche Zahlen auch eine falsche Signalwirkung aussenden. Es gibt sicherlich eine ganze Reihe Leute, die nicht in der Lage sind, 60 Prozent des Durchschnittseinkommens aus eigener Kraft zu verdienen. Die Frage, ob das bereits eine Hilfsaktion auslöst, ist damit noch nicht beantwortet. Man muss ja auch fragen, mit welchem Maß an Anstrengung verdient jemand, der keine 60 Prozent auf die Beine bringt, dieses Einkommen, das er hat. Solche Maßzahlen setzen sich dann rasch als eine politische Forderung durch. Wenn man das wiederum bedient, muss man diejenigen, die aus eigenem Antrieb viel arbeiten, unangenehme Arbeiten tun, muss man die in einem Maße besteuern, dass dann auch nicht mehr gerecht ist."

Daneben tragen auch gesellschaftliche Entwicklungen zum Anstieg des Armutsrisikos bei. Entwicklungen, die auf privaten Entscheidungen beruhen. Etwa auf der Entscheidung vieler Mütter, Kinder alleine aufzuziehen. Oder auf der Entscheidung vieler Ehepaare, sich zu trennen. Gert Wagner:

Wagner: "So rutschen Alleinerziehende und ihre Kinder immer öfter in die statistische Armutszone, und viele bleiben auch dauerhaft darin gefangen. Doch der Sozialstaat springt auch in solchen Fällen ein. Die Gegenwart ist also besser als ihr Ruf."

Das zeigt auch eine Rückblende auf die Freizeitmenge, die Arbeitnehmer 1957 zu Verfügung hatten:

Toni: "Wir haben damals noch am Samstag gearbeitet, 45, 46, 48 Stunden waren das in der Woche; Jahresurlaub war in der Zeit ungefähr drei Wochen."

Heute sind sechs Wochen Jahresurlaub üblich, die durchschnittliche Wochenarbeitszeit liegt unter 40 Stunden.

Auch das ist ein Posten in der Wohlstandsrechnung, der häufig übersehen wird. Ist der fromme Wunsch des Ludwig Erhard, mit Wohlstand für alle Menschen in der westdeutschen Marktwirtschaft zu schaffen, also erfüllt? Hans Barbier, Präsident der Ludwig-Erhard-Stiftung, zieht eine zwiespältige Bilanz:
Barbier: "Aus der damaligen Perspektive noch einmal gesehen würde ich sagen: das Versprechen ‚Wohlstand für alle’ hat sich sicherlich erfüllt. Allerdings sind wir jetzt in einer Situation geraten, wo aus verschiedenen Gründen doch schon nicht unbeachtliche Teile der Bevölkerung an ihre eigenen Wohlstandsperspektiven nicht ohne Grund zweifeln."

Denn die Stücke des Wohlstandskuchens werden nicht mehr so gleichmäßig verteilt wie früher: Die Realeinkommen breiter Bevölkerungsschichten fielen in den letzten Jahren, während die Reichen immer reicher wurden.
Arbeiter polieren 1955 den millionsten Volkswagen, nachdem er das Produktionsband in Wolfsburg verlassen hat.
Arbeiter polieren 1955 den millionsten Volkswagen© AP Archiv
Lebensmittelverteilung an Bedürftige in München
Lebensmittelverteilung an Bedürftige in München© AP